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Luzern

Luzerner Infektiologe Marco Rossi über Long Covid: «Treffen kann es alle»

Das Luzerner Kantonsspital beschäftigt sich zunehmend mit Patienten, die an den Folgeerscheinungen einer Covid-Infektion leiden. Marco Rossi, Chefarzt Infektiologie und Spitalhygiene, sieht die Impfung als beste Prävention. Aber ohne Pflicht oder Zwang.
Marco Rossi, Chefarzt Infektiologie und Spitalhygiene, vor dem Luzerner Kantonsspital in Luzern.
(Bild: Dominik Wunderli (10. August, 2021))

Alexander von Däniken

In normalen Zeiten beschäftigt sich Marco Rossi mit Fragen, wie möglichst viele Spitalangestellte zur jährlichen Grippe-Impfung animiert werden können. Oder wie das Spital Patienten noch besser vor Ansteckungen mit Spitalkeimen schützt. Seit knapp eineinhalb Jahren bestimmt vor allem die Bekämpfung von Covid-19 den Alltag des Chefarztes Infektiologie und Spitalhygiene im Luzerner Kantonsspital (Luks). Immer häufiger ein Thema sind auch die Langzeitfolgen wie Long Covid, die im Zusammenhang mit Corona-Infektionen auftreten können. Bis jetzt können nur die Symptome bekämpft werden, sagt Rossi im Interview.

Als Infektiologe und Spitalhygieniker sind Sie massgeblich daran beteiligt, dass der Anteil des geimpften Personals im Luks hohe 85 Prozent beträgt. Wie ist das gelungen?Marco Rossi: Einerseits stand unserem Personal die Corona-Impfung schon früh zur Verfügung. Andererseits sahen die Mitarbeitenden die Folgen einer Covid-Infektion direkt anhand der betroffenen Patientinnen und Patienten. Mein Team und ich haben schon reichlich Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Thema Impfen gemacht; beispielsweise bei der jährlichen Grippe-Impfung. Hier ist es entscheidend, die Zweifel, Sorgen und Ängste der Leute ernst zu nehmen und Fragen zu beantworten. Bei Covid-19 haben wir ein Fragentelefon für das Personal eingerichtet. Bis heute wird der direkte Austausch sehr geschätzt. Und wir sind auch auf anderen Kanälen aktiv geworden.Inwiefern?Ein Instrument der internen Impfkampagne war, in Videos zu bestimmten Impffragen Stellung zu nehmen. Ein solches Gerücht war zum Beispiel, dass eine Corona-Impfung Schwangerschaften bei Frauen verhindern soll. Das Gerücht konnten wir mit Fakten widerlegen. So gibt es mittlerweile einige Mitarbeiterinnen, die wie vorgesehen nach einer Impfung schwanger geworden sind.Was raten Sie Altersheimen und Pflegezentren?Das Führungspersonal sollte da sein und allfällige Fragen möglichst selbst beantworten. Wenn der eigene Chef mit Gerüchten aufräumt, hat das ein anderes Gewicht als eine Mitteilung des Bundesamtes für Gesundheit. Nicht ratsam ist es, die Impfrate mittels Zwang oder Pflicht steigern zu wollen. Das bringt nichts oder kann kontraproduktiv sein.Dass Geimpfte viel seltener eine schwere Covid-Erkrankung durchlaufen, ist bekannt und wissenschaftlich bewiesen. Aber kann eine Impfung auch Long Covid verhindern?Die Wirkung ist indirekt: Eine höhere Impfrate bedeutet weniger Infektionen. Und weniger Infektionen bedeuten auch weniger Long-Covid-Fälle.Empfehlen Sie Genesenen eine Impfung, auch wenn Sie Long Covid haben?Ja, da eine Impfung besser vor einer Zweitinfektion schützt als die durchgemachte Infektion. Es gibt auch Hinweise, dass sich die Long-Covid-Symptome nach einer Impfung bessern. Das ist aber nicht immer der Fall.Was sind eigentlich die Symptome dieser Langzeitfolgen?Es gibt eine Vielzahl an Symptomen, die in unterschiedlichen Kombinationen auftreten. Häufig sind es massive Müdigkeit, Atemnot oder ein schneller Puls auch nach geringster Anstrengung. Dann gibt es Brain Fog, also das Gefühl, nicht wirklich da zu sein und sich nicht konzentrieren zu können. Und auch typische Symptome wie der Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns können sich über eine längere Dauer hinziehen.Und was sind die Ursachen von Long Covid?Diese sind wissenschaftlich noch nicht bekannt. Es wird vermutet, dass das Immunsystem, das nach der Infektion mit dem Coronavirus aktiviert wird, sich bei Long-Covid-Patienten gegen eigene Zellen richtet. Auch im Gehirn, was zum Beispiel das Brain-Fog-Symptom zeigt. Es handelt sich also um eine Überreaktion des Immunsystems. Die genauen Prozesse sind aber noch unbekannt.Dann sind die Therapien gegen Long Covid also Symptombekämpfung?Ja, wobei wir die Therapie jeweils auf die Symptome abstimmen: Bei körperlichen Beschwerden kommt eine Physiotherapie zum Einsatz, bei psychischen Beschwerden entsprechend psychiatrische, psychologische oder psychotherapeutische Therapien. Wichtig ist auch die Anpassung der körperlichen Belastung an die aktuelle Leistungsfähigkeit, das sogenannte Pacing. Wenn immer möglich, erfolgen die Therapien ambulant. Ist dies nicht möglich, empfehlen wir die Luzerner Höhenklinik Montana.Wie lange hält Long Covid an?Das ist sehr unterschiedlich. Manche Patienten haben es wenige Wochen, andere mehrere Monate. Treffen kann es grundsätzlich alle; auch junge Erwachsene und solche, die sich immer fit gefühlt haben. Leider haben wir auch unter dem Luks-Personal einige Betroffene.Wie viele Long-Covid-Patienten gibt es schätzungsweise im Kanton Luzern?Da gibt es keine gesicherten Zahlen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass zwischen 0,5 und 2 Prozent aller Personen, die sich mit dem Coronavirus infizieren, an den Langzeitfolgen leiden. Das klingt nach wenig, ist aber absolut gesehen bei hohen Fallzahlen nicht zu unterschätzen. Und leider steigen im Moment nicht nur die Fallzahlen, sondern auch die Hospitalisierungen.Die Lungenliga forscht an neuen Therapien gegen Long Covid, wie Tina Meyer, die Geschäftsführerin der Zentralschweizer Sektion, kürzlich sagte. Arbeitet das Luks mit der Lungenliga und anderen Institutionen zusammen?Mit der Lungenliga Zentralschweiz pflegen wir generell einen guten Kontakt; hinsichtlich Long-Covid-Forschungsprojekte gibt es aber bis jetzt keinen Austausch.Wird Long Covid dereinst verschwinden oder die Bekämpfung zur Daueraufgabe?Das hängt stark von der Entwicklung der Pandemie ab. Wenn es uns dank der Impfung gelingt, die Pandemie einzudämmen, wird auch Long Covid kein grosses Thema mehr sein. Stichwort Impfung: Hersteller Moderna hat bereits eine dritte Impfdosis vorgeschlagen. Wann werden die Luzernerinnen und Luzerner ein drittes Mal geimpft?Moderna bezieht sich auf Messungen der Antikörper. Deren Menge nimmt eine gewisse Zeit nach der zweiten Impfung ab, was ein natürlicher Prozess ist. Noch unklar ist die Auswirkung dieser Abnahme auf die Schutzwirkung der Impfung. Ob und wann es in der Schweiz eine dritte Impfdosis brauchen wird, entscheidet die Eidgenössische Kommission für Impffragen zusammen mit dem Bundesamt für Gesundheit. Dabei werden auch politische und ethische Fragen diskutiert; zum Beispiel, ob es legitim ist, hier ein drittes Mal zu impfen, während in anderen Ländern oft nicht einmal ein erstes Mal geimpft werden konnte.Am Anfang der Pandemie ist viel ausprobiert und diskutiert worden, jetzt ist es um die Frage ruhig geworden: Wie werden Coronapatienten im Spital mittlerweile therapiert?Es gibt ein Medikament, welches die Virenverbreitung im Körper eindämmt. Das funktioniert aber nur, wenn die Covid-Erkrankung frühzeitig entdeckt wird. Wenn die Patienten zu uns ins Spital kommen, ist es meist zu spät für den Einsatz dieses Medikaments. Hier kontrollieren wir die überschiessende Immunreaktion mit Medikamenten, erleichtern bei einer Covid-Lungenentzündung die Atmung mit der Gabe von Sauerstoff und gegebenenfalls mit künstlicher Beatmung. Ein Wundermittel gibt es nicht, aber mit den mittlerweile ausgearbeiteten Behandlungsstandards konnten wir die Resultate merklich verbessern. Wichtiger ist aber die Verhinderung einer Covid-Infektion durch Impfung und Hygienemassnahmen.Mit welchen Reaktionen sind Sie als Infektiologe im privaten Umfeld konfrontiert, wenn es zum Thema Corona geht?Auch ich habe Menschen im persönlichen Umfeld, die es ablehnen, sich impfen zu lassen. Das respektiere ich. Mühe habe ich eher mit Leuten, die sagen, sie wollen noch zuwarten. Wir wissen heute genug, um die Impffrage beantworten zu können. Die Pandemie wird nicht weggehen, die Infektionszahlen steigen, die Zahl der Coronapatienten in den Spitälern auch. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass wegen steigender Corona-Hospitalisationszahlen wieder andere Patienten benachteiligt werden. Alle wollen wieder ein möglichst normales Leben. Mit einer Impfung kann jeder seinen Beitrag leisten zur Erreichung dieser Normalität.

Marco Rossi (60) arbeitet seit 20 Jahren im Luzerner Kantonsspital; bis 2013 als Leitender Arzt und seither als Chefarzt Infektiologie und Spitalhygiene. Zuvor war Rossi unter anderem am Inselspital Bern tätig.

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