Alexander von Däniken
Alexander von Däniken
Rebellion gegen das Aussterben: So lautet die weltweite Bewegung Extinction Rebellion (XR) übersetzt. Was in England seinen Anfang nahm, ist mittlerweile auch in der Schweiz zunehmend ein Thema (mehr Informationen am Textende). Am 6. Juni zum Beispiel protestierten Klimaschützer auf dem Berner Bundesplatz – inklusive Einsatz von Kunstblut. Während die Klimajugend mit Greta Thunberg ihr «Gesicht» hat, handeln die Sympathisanten von XR ohne Galionsfigur von regionalen Gruppen aus.
Eine Gruppe ist XR Luzern. Dort engagiert sich Serge Miserez. Der 41-Jährige aus Meggen kommt gut vorbereitet ans Gespräch, präsentiert auf seinem Laptop Folien, spricht vom neusten Bericht des Weltklimarats IPCC (siehe Box) und wie sehr er sich um die Zukunft seiner Kinder sorgt, wenn die Treibhausgasemissionen nicht möglichst schnell auf null sinken.
Was will Extinction Rebellion?Serge Miserez: Wir haben drei Ziele: Die Wahrheit der klimatischen Veränderung in den Fokus der Öffentlichkeit stellen, mit einem sofortigen Umsteuern der Klimapolitik die Treibhausgasemission bis 2025 auf netto null bringen und mittels Bürgerversammlungen Wege zur Überwindung der Klimakrise entwickeln.Mit Verlaub: Bis in sechs Jahren die Treibhausgasemission auf netto null zu senken, ist unrealistisch.Das wissen wir. Auch die Forderung der Klimajugend, bis 2030 auf netto null zu kommen, dürfte unrealistisch sein. Und ob das Ziel des Pariser Klimaabkommens erreicht wird, die durchschnittliche globale Erwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen, ist höchst fraglich. Kennen Sie die Eiger-Nordwand-Kurve?Nein.(Zeigt eine Folie des Weltklimarats) Hier sehen Sie den globalen Ausstoss von Treibhausgasen. Je nach Berechnung müsste die Kurve bis 2040 oder 2050 steil abfallen. Um überhaupt noch eine Chance zu haben, das zu erreichen, braucht es jetzt einen grundlegenden Wechsel.Wie?Mit Verboten von Plastiksäcken kommt man nicht weit. Die Politik reagiert zu langsam. Es braucht jetzt grosse Lösungen!Welche denn?Es liegt nicht an unserer Bewegung, konkrete Lösungen zu präsentieren. Die Wissenschaft hat schon einige bereit. Es gibt auch nicht ein Patentrezept. Wir müssen überall und auf jeder Ebene so schnell wie möglich beginnen. Je früher dies passiert, desto mehr Zeit haben wir für die grossen Umstellungen.Damit und mit dem Ziel von null Emissionen bis 2025 erwecken Sie stark den Eindruck von Aktivisten, die Weltuntergangsstimmung verbreiten.Das ist sicher nicht unsere Absicht. Aber wir wollen auch keine Fakten beschönigen.Was wir erreichen müssen, scheint gesellschaftspolitisch absolut unrealistisch. Leider interessiert dies das Klima nicht. Physik verhandelt nicht, Physik ist.
Wir müssen das Unmögliche möglich machen. Doch dazu braucht es auch ein Aufrütteln. Die Leute haben ein Anrecht, zu erfahren, welch grosse Veränderungen auf sie zukommen.Und fürs Aufrütteln schüttet XR in Bern Kunstblut aus, provoziert einen Polizeiaufmarsch und nimmt «Massenverhaftungen» in Kauf, wie dies einer der Gründer in England sagte?Wenn immer möglich kündigen wir unsere Aktionen bei der Polizei an. So auch in Bern. Nur haben SVP-Politiker im Vorfeld über eine Abstimmung im Nationalrat einen grossen Polizeiaufmarsch erwirkt, um sich im Nachhinein genau darüber aufzuregen. Ich betone, dass wir gegen Gewalt sind und unsere Mitglieder in Antigewalt-Kurse schicken. Unser Ziel ist nicht das Chaos, sondern das Leben. Wenn die Treibhausgasemissionen nicht gestoppt werden, wird es auf der Erde immer heisser. Um fünf Grad heissere Hitzetage könnte die Schweiz einigermassen verkraften. Aber was ist mit Gebieten in Nordafrika und Südeuropa? Landwirtschaft wird dort bald nicht mehr möglich sein. Es wird zu einem riesigen Flüchtlingsstrom kommen. Von den Schäden in der Natur und dem Artensterben ganz zu schweigen.Dass es je so weit kommt, bezweifeln aber noch einige.Wir berufen uns auf die Berichte des IPCC. Das ist quasi die konservativste wissenschaftliche Arbeit über das Klima der Welt. Hunderte Wissenschafter arbeiten daran, eruieren tonnenweise Daten, lassen alles von weiteren Experten überprüfen. Dann wird das Ganze der UNO vorgelegt und von den Mitgliedstaaten abgesegnet. Wenn dann noch jemand zweifelt, ist das so, als ob 99 von 100 Ärzten Krebs diagnostizieren, aber der Patient die dringende Operation verweigert.Wie stehen Sie eigentlich zu Greta Thunberg und der Klimajugend?Ich habe grossen Respekt vor diesen jungen Menschen. Sie sind sehr gut informiert und haben die Klimakrise in die Öffentlichkeit transportiert. Wir wollen dasselbe wie die Klimajugend, gehen aber etwas anders vor. Interessant ist, dass bei Extinction Rebellion bis jetzt sehr viele Eltern mitmachen. Wir alle sind uns sicher: Es braucht einen weltweiten Katastrophenalarm, um alle wachzurütteln und unser Leben und das unserer Kinder zu schützen.Vom Globalen ins Lokale: Wann starten Sie Ihre nächste Aktion in der Region?Das wird am 14. September in der Stadt Luzern sein. Wir sind auch sonst aktiv, veranstalten Treffen und schreiben Briefe an Politiker. Wenn wir nicht gehört werden, dann werden wir lauter.