notifications
Luzern

Weshalb dürfen Luzerner Kanti-Schüler fünf Monate lang nicht zur Schule? Bildungsdirektor Schwerzmann nimmt Stellung

Im Gegensatz zu den Primar-, Sek- und Berufsschulen bleiben die Luzerner Gymnasien weiterhin geschlossen. Der Präsident der Mittelschullehrer warnt vor massiven Konsequenzen.
Die Kanti Musegg in Luzern.


(Bild: Roger Grütter (Luzern, 29. September 2019))
Markus Elsener.
(Bild: Nadia Schärli)
Marcel Schwerzmann.
(Bild: Eveline Beerkircher)

Robert Knobel

Robert Knobel

Robert Knobel

Am 6. Juni tritt ein weiterer Lockerungsschritt in Kraft: Nachdem die Volksschulen ihren Präsenzunterricht bereits am 11. Mai wieder aufgenommen haben, dürfen nun auch Gymi-Schüler, Berufsschüler und Studenten wieder richtig «zur Schule» gehen. Ob die Kantone von diesem Recht Gebrauch machen, bleibt aber ihnen überlassen. Und der Kanton Luzern hat hier eine klare Haltung: Viele Schulen bleiben geschlossen, insbesondere in den oberen Klassen der Gymnasien findet der Unterricht weiterhin aus der Distanz statt. Das hat teils absurde Konsequenzen: So müssen alle Schülerinnen und Schüler der 3. Sek seit dem 11. Mai wieder zur Schule – während ihre Altersgenossen im 3. Gymnasium weiterhin zu Hause bleiben. Einzig die Kantonsschüler der 1./2. Klasse besuchen den regulären Unterricht. Kein Wunder sind bei unserer Zeitung massenhaft Reaktionen von verärgerten Eltern eingegangen: Sie hätten sich gewünscht, dass alle Kinder endlich wieder zur Schule gehen können (wir berichteten).

Auch für viele Lehrpersonen war der Entscheid der Luzerner Regierung ein «Schock», wie es Markus Elsener, Präsident des Verbands Luzerner Mittelschullehrerinnen und Mittelschullehrer (VLM), auf den Punkt bringt. Die Vorstellung, dass die Gymnasien erst nach den Sommerferien – nach fünfmonatiger Pause – ihren regulären Betrieb wieder aufnehmen dürfen, erfüllt Elsener mit «grosser Sorge um diejenigen Schülerinnen und Schüler, die aus verschiedensten Gründen abgehängt haben und deren Schwierigkeiten, Motivationsprobleme und Wissenslücken wir im Fernunterricht nicht auffangen können.» Elsener sieht den Bildungsauftrag in Frage gestellt: «Die digitalen Kommunikationskanäle können die reale Begegnung in der Schule höchstens kurzfristig ersetzen.»

Wenn Schüler von der Bildfläche verschwinden

Und selbst wenn viele Gymi-Schülerinnen und -schüler die schwierige Situation «engagiert, motiviert und mit grossem Verantwortungsbewusstsein» gemeistert hätten, dürfe man sich keine Illusionen machen: Es habe Fälle gegeben, in denen Schüler von der digitalen Bildfläche zu verschwinden drohten. «Die Lehrpersonen haben dabei einen ausserordentlichen Aufwand geleistet, um Unterstützung anzubieten. Sie haben telefoniert und in schwierigen Fällen auch mit den Eltern Kontakt aufgenommen.» Trotzdem habe sich die soziale Schere «gnadenlos geöffnet» – zwischen selbstständigen, technisch gut ausgerüsteten Schülern und solchen mit schlechtem Internetempfang und geteilten Computerplätzen. Die Lernziele zu erreichen, sei bei guten Rahmenbedingungen schon sehr schwierig, für diese Kinder aber fast ein Ding der Unmöglichkeit. «Es wird sehr viel Zeit, Raum und Energie brauchen, um diese Schere wieder zu schliessen.» Besonders schwer nachvollziehbar ist aus Sicht der Mittelschullehrer die Ungleichbehandlung zwischen Sek und Kanti im 9. Schuljahr. Elsener: «Denn die 3.-Gymnasiasten sind aufgrund ihres Alters und ihrer Erfahrung diejenige Klassenstufe, die am schlechtesten auf den Fernunterricht vorbereitet ist.»

Schwerzmann: Zwei-Meter-Regel ist nicht umsetzbar

Doch weshalb hat die Luzerner Regierung entschieden, die Gymnasien nicht zu öffnen? Der Luzerner Bildungsdirektor Marcel Schwerzmann sagt: «Der Bund verlangt, dass an den überobligatorischen Schulen die Zwei-Meter-Abstände eingehalten werden. Diese Vorgaben gelten, daran rütteln wir nicht.» Doch Präsenzunterricht mit vollzähligen Klassen sei unter diesen Bedingungen schlicht nicht umsetzbar. Schwerzmann betont, dass die Regel explizit für die überobligatorischen Schulen gelte, während die Kinder in der Volksschule untereinander keine Abstandsregeln mehr einhalten müssten.

Dennoch haben andere Kantone, etwa Nidwalden, genauso wie viele Berufsschulen (siehe weiter unten) Wege gefunden, den Präsenzunterricht zu ermöglichen. So wird beispielsweise mit Halbklassen gearbeitet. Wieso geht das bei den Gymnasien nicht? Schwerzmann sagt, dass dies auch eine Frage der Grössenverhältnisse sei: «Stellen Sie sich die Kanti Alpenquai vor: Mit den 1. und 2. Klassen im Präsenzunterricht, den Maturanden und den 3./4. Klassen für Prüfungen und Lehrstandkontrollen befinden sich bereits rund 900 Schülerinnen und Schüler im Schulhaus.» Das sei mehr als die Hälfte der gesamten Schülerzahl. Bei noch mehr Personen wäre an die Einhaltung von Abstandsregeln nicht mehr zu denken. Auch Markus Elsener räumt bei aller Kritik ein, dass die Abstandsregeln an den Luzerner Gymnasien bei Vollbetrieb kaum einzuhalten wären. So gesehen habe er auch Verständnis für den Entscheid des Kantons – «so sehr es mich als Pädagogen und mit Blick auf die Schüler auch schmerzt».

Luzern beruft sich auf eine Regel vom 13. Mai

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die geltenden Abstandsregeln überhaupt noch Sinn machen. Dies will Marcel Schwerzmann nicht beurteilen. «Das ist Sache des Bundes. Wir halten uns an die Vorgaben.» Zur Einordnung: Als der Bundesrat am 27. Mai die Öffnung der höheren Schulen in Aussicht stellte, verlor er kein Wort zu den Schutzmassnahmen. Die Luzerner Regierung beruft sich denn auch auf eine ältere Botschaft des Bundes, datiert vom 13. Mai, in der die Zwei-Meter-Regel explizit erwähnt ist. Dieses Grundsatzpapier behalte seine Gültigkeit bis auf Widerruf, so das Argument der Luzerner Regierung.

Sollte die Abstandsregel fallen, öffnen die Gymnasien noch vor den Sommerferien

Klar ist für Schwerzmann aber: Sollte der Bund in den nächsten Tagen oder Wochen die Abstandsregeln lockern, werde Luzern den vollzähligen Präsenzunterricht umgehend wieder einführen – falls möglich auch noch vor den Sommerferien. «Wir haben immer gesagt, wir wollen so viel Präsenzunterricht wie möglich», so Schwerzmann. Das gelte auch für die Vorbereitungen fürs nächste Schuljahr: «Wir bereiten uns darauf vor, normal mit dem Unterricht zu starten.» Normal bedeutet: Ohne grössere Restriktionen – vorausgesetzt natürlich, dass sich die Lage nicht kurzfristig wieder verschlechtert.

Kommentare (0)