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Kriens

Spitex in der Kritik: Familie muss Schwerkranken seit Wochen alleine pflegen

Die Angehörigen eines Schwerkranken wehren sich gegen das Vorgehen der Spitex Kriens. Dies im Zusammenhang einer Kündigung der Leistungserbringung. Der Hausarzt des Patienten wirft dem Spitex-CEO Hannes Koch Inkompetenz vor.
Ein Krienser Ehepaar betreut den Bruder der Frau seit Wochen ohne Spitex-Betreuung. (Bild: Symbolbild: Getty)

Thomas Heer

Als Barbara Schoch dem Besucher ihr Fotoalbum zeigt, hebt sie ein Bild besonders hervor. Die Aufnahme wurde in Kitzbühel gemacht, genauer auf dem Hausberg dieser Tiroler Feriendestination, dem Hahnenkamm. Auf dem Bild ist Schochs Bruder zu sehen, wie er im Rollstuhl sitzt und die Umgebung betrachtet. Jenes Umfeld also, wo Winter für Winter die besten Abfahrer der Welt sich hinunterstürzen und in knapp zwei Minuten die schwierigste Piste der Welt bewältigen – die Furcht einflössende Streif. Der Sieger dieses legendären Rennens erhält als Preis jeweils eine goldene Gams. Eine Auszeichnung hätten sich auch Barbara Schoch und ihr Ehemann Gilles Morf verdient. Denn seit knapp 20 Jahren betreut sie ihren Bruder respektive er seinen Schwager rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Der Patient war noch keine 40 Jahr alt, als bei ihm ein Hirntumor diagnostiziert wurde. Der Krebs konnte zwar gebändigt werden. Der heute 60-Jährige entwickelte sich aber trotzdem zu einem schweren Pflegefall.

Für den Hausarzt ist die Gefährdungsmeldung fahrlässig

Aber anstatt dass Barbara Schoch und ihr Gatte für ihr fürsorgliches Engagement ausgezeichnet werden, erhielten sie jüngst von der Spitex Kriens dicke Post. Der Brief, datiert vom 14. November 2018, ist mit folgender Überschrift versehen: «Kündigung der Leistungserbringung». Weiter heisst es: «Wir teilen Ihnen mit diesem Schreiben mit, dass Spitex Kriens die Erbringung der Dienstleistung für Herrn (...) kündigt.» Das ist eine unmissverständliche Ansage. Ein Fragekatalog der Redaktion an die Adresse des Geschäftsleiters der Spitex Kriens und Mitunterzeichners des erwähnten Briefes, Hannes Koch, wurde schliesslich nicht von ihm beantwortet, sondern in schriftlicher Form von Spi­tex-Vizepräsidentin Claudia Rosso Schuler. Zum Brief vom 14. November hält sie fest: «Wir sahen uns gezwungen, die beabsichtigte Kündigung unserer Leistungserbringung mitzuteilen. Im gleichen Schreiben haben wir um ein erneutes Gespräch gebeten.» Gilles Morf entgegnet, auf ein Gesprächsangebot der Angehörigen und des Hausarztes vor der Kündigung sei CEO Koch nicht eingetreten und er habe eine Woche später ohne ausführliche Angaben von Gründen den Vertrag gekündigt.

Rosso Schuler schreibt also von einer «beabsichtigten Kündigung». Von einer blossen Absicht ist im Kündigungsschreiben aber nichts herauszulesen. Es wird lediglich darauf hingewiesen: «Damit Sie die Möglichkeit haben eine Anschlusslösung zu organisieren, bieten wir Ihnen für eine definierte Zeit weiterhin Unterstützung an.» Die «beabsichtigte Kündigung» wird erst in einem Schreiben vom 4. Dezember thematisiert. Darin wird detailliert geschildert, weshalb die Spitex Kriens den Rückzug plant. Am 18. Dezember dann folgt die «Definitive Kündigung der Leistungserbringung», wie es in der Betreffzeile heisst. Der Logik der Spitex Kriens folgend, heisst das also: Am 14. November wurde gekündigt, am 4. Dezember dann ausführlich begründet und am 18. Dezember erfolgte schliesslich die definitive Kündigung. Verständlich, dass sich das Ehepaar Schoch/Morf ob dieser wirren Kündigungskaskade die Haare rauft und die Welt nicht mehr versteht. Seit mehr als einem Monat pflegen die beiden den Kranken nun alleine ohne jegliche Unterstützung der Spitex Kriens.

Ein Fachmann, der den Prozess Spitex Kriens versus Familie Schoch/Morf seit Beginn eng begleitet, ist der Krienser Hausarzt Peter Mattmann. Beim Gespräch mit dem Reporter macht er keine Anstalten, seinen Ärger über das Geschehene zu verbergen. Was Mattmann besonders stört, ist die Tatsache, dass die Kündigung des Pflegeauftrages ohne vorherige Kontaktaufnahme mit ihm wohl von langer Hand geplant wurde. Diesen Eindruck erhält, wer die schriftlichen Ausführungen zur Debatte während der Vorstandssitzung der Spitex Kriens vom 25. Oktober liest. Darin heisst es unter anderem:

«Die Spitex Kriens kann für die Pflege, wie sie zu Hause durch die Angehörigen durchgeführt wird, die Verantwortung nicht übernehmen.»

Während dieser Sitzung wurde auch in Erwägung gezogen, dass im Fall Schoch/Morf eine «Gefährdungsmeldung geprüft werden muss». Will heissen, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb aufs Tapet kommt. Was die Verantwortlichkeit betrifft, sagt Peter Mattmann klipp und klar: «Die liegt einzig bei mir und Frau Schoch.» In einem Schreiben unter anderem an Spitex-CEO Hannes Koch übt Mattmann am 26. Dezember auch folgende Kritik: «Die Gefährdungsmeldung ohne Konsultation des Hausarztes auszusprechen, betrachte ich als fahrlässig. Nahm man doch damit in Kauf, dass eine Angehörige, die als Generalbevollmächtigte ihren gelähmten Bruder seit 18 Jahren zu Hause vorbildlich und qualitativ einwandfrei pflegt, ohne einen einzigen stichhaltigen Grund durch eine Gefährdungsmeldung an die Kesb in ihrer Ehre und ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wird.»

Kesb-Bericht stützt das Ehepaar

Peter Mattmann wirft Hannes Koch in Bezug auf den Fall Schoch/Morf «Inkompetenz» vor. Rosso Schuler verteidigt ihren CEO: «Er verfügt über eine sehr breite, ausgewiesene und anerkannte pflegerische Fachausbildung.» Am 14. November, also am Tag, als die erste Kündigung verschickt wurde, textete Hannes Koch in einer E-Mail unter anderem an Rosso Schuler, dass im Fall Schoch/Morf an den CEO, also an ihn, zu verweisen sei. Dies, insbesondere auch dann, wenn zur Angelegenheit Medienanfragen eingehen sollten. Das deutet darauf hin, Hannes Koch ahnte, dass sein Vorgehen zu Nachfragen seitens der Presse führen könnte. In Kochs Überlegungen in der Causa Schoch/Morf spielte nicht nur eine externe Rechtsberaterin eine Rolle. Koch dachte sogar noch einen Schritt weiter und suchte Schützenhilfe bei einem Kommunikationsfachmann und einem Mediator.

Trotz all der Vorkehrungen getraute sich Koch in der medialen Auseinandersetzung nicht aus der Deckung. Wie erwähnt, übernahm Vizepräsidentin Rosso Schuler das Zepter. Sie begründet die Kündigung immer gleich jedoch in unterschiedlichen Varianten. Einmal schreibt sie:

«Für unser Team waren bei Spitalaustritt des Klienten wichtige Voraussetzungen für die tägliche Pflege nicht ausreichend gegeben.»

Oder: «Unserem Pflegeteam, das phasenweise bis zu zweimal täglich den betroffenen Klienten betreut hat, macht der sich verschlechternde Gesundheitszustand des Klienten grosse Sorgen.» Und Rosso Schuler teilt noch mit: «Auf unsere mehrfachen Gesprächsangebote traten die Angehörigen leider nicht ein.» Gilles Morf sagt, sie als Angehörige hätten es als sinnlos erachtet, erst nach der Kündigung Gespräche zu führen. Rosso Schuler betont, Spitex Kriens habe eine solche Gefährdungsmeldung weder beantragt noch beschlossen und Spitex Kriens sei bereit, einen neuen Pflegeauftrag mit den Angehörigen zu verhandeln. E-Mails von Koch, eines versandt am 12. November, deuten jedoch darauf hin, dass die Spitex-Verantwortlichen die Lancierung der Gefährdungsmeldung ernsthaft diskutierten. Denn Koch schreibt: «Erst dann werden wir die Gefährdungsmeldung einreichen.» Und am 16. November hielt Koch schriftlich fest. «Wie gestalten wir die Gefährdungsmeldung?»

Dass zwischen der Familie Schoch/Morf und einzelnen Mitarbeitenden sowie der Führungsperson der Spitex nicht nur eitel Sonnenschein herrscht, geht auch aus der Kesb-Stellungnahme vom 16. Januar hervor. In diesem Bericht heisst es aber unmissverständlich:

«Wir ersuchen Sie daher umgehend, das Notwendige in die Wege zu leiten, damit die Pflege und Betreuung von Herrn (...) weiterhin durch die Spitex Kriens unterstützt wird.»

Weiter heisst es, dass weder von Barbara Schoch noch ihrem Gatten Gilles Morf eine Gefährdung in Bezug auf die Betreuung ihres Bruders respektive Schwagers ausgehe. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass «ein Heimeintritt oder Ähnliches den sicheren Tod für Herrn (...) bedeuten würde.» Ein Facharzt des Kantonsspitals Luzern nimmt indirekt so Stellung: Bezüglich Pflege von Frau Barbara Schoch für ihren Bruder habe er keine Bedenken. Und die von der Spitex Kriens mandatierte Wundchirurgin wird dahingehend zitiert, dass die von Barbara Schoch geleistete Betreuung zu hundert Prozent stimmig sei.

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