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Luzern

«Reformierte Gebiete erschliessen» – weshalb der Luzerner CVP-Präsident für den Namenswechsel seiner Partei ist

Christian Ineichen spricht sich für den Namenswechsel der CVP aus. Ohne Veränderung drohe der Niedergang, sagt der Luzerner Parteichef.
Christian Ineichen vor dem Porträt des Urvaters der CVP, dem Luzerner Bauernführer Josef Leu. Im Gasthof Rössli in Ruswil gründete Leu mit dem Ruswiler Verein die Vorläuferorganisation der CVP. (Bild: Pius Amrein (Ruswil, 15. September 2020))
Christian Ineichen im Sonderbundsaal des «Rössli». (Pius Amrein)

Dominik Weingartner

Dominik Weingartner

Der Gasthof Rössli in Ruswil ist ein zentraler Ort für die Schweizer CVP. Hier verfassten 1840 Katholiken um den Bauernführer Josef Leu die Ruswiler Erklärung, aus der später die Partei entstand, die wir heute als CVP kennen. An diesem Ort erläutert 180 Jahre später Christian Ineichen, Präsident der Luzerner CVP, wieso die Abkehr vom «C» eine Chance für die Partei sein kann.

Was halten Sie vom Parteinamen «Die Mitte»?Christian Ineichen: Ich hatte zunächst das Gefühl, «Die Mitte» sei schwer zu verorten und mit Inhalten zu befüllen. Ich bin aber mittlerweile überzeugt, dass dieser Name eine mehrheitsfähige Variante ist und er sich innerhalb des politischen Spektrums klar verorten lässt. Es ist eine Umstellungssache, wie der Wechsel von Raider zu Twix, oder noch passender: von Orange zu Salt. Ich bin der Meinung: Wir sollten es wagen.«Die Mitte» hat im Gegensatz zu CVP keine inhaltliche Aussage. Ist das kein Problem?Wir bekommen mit einem neuen Namen kein komplett neues Parteiprogramm. Aber wir haben die Erfahrung von 50 Jahren «C». Und wir haben die Erfahrung von 40 Jahren Wahlergebnissen damit. Wir tun gut daran, zu überlegen, ob wir uns bewegen müssten, und dürfen nicht nur von der Wählerschaft eine Veränderung erwarten.Ist das «C» hinderlich bei Wahlen?Offensichtlich ja. Seit 40 Jahren verlieren wir kontinuierlich Wähleranteile, von national 23 Prozent auf mittlerweile ziemlich genau die Hälfte. Da muss man nicht mehr gross interpretieren. Wir sind zwar 2019 gut weggekommen, aber es wäre naiv oder geradezu fatal, sich darauf auszuruhen.Aber wieso ist das «C» an schlechten Wahlergebnissen schuld? Ausserhalb der Stammlande, wie etwa dem Kanton Luzern, wo die CVP noch staatstragend ist, erhalten wir oft die Rückmeldung, unsere Inhalte seien gut, wir seien kompromissfähig und wir könnten zwischen Extrempositionen vermitteln. Aber man könne uns nicht wählen, weil man das «C» mit katholisch gleichsetzt und man keine konfessionsgebundene Partei wählen will. Wir leben in einer säkularisierten Gesellschaft. Dennoch oder gerade deswegen müssen CVP-Politiker ungeachtet eines Zusammenhangs vor Beginn einer Diskussion sehr oft zunächst deklarieren, wie sich eine Sachfrage gegenüber dem «C» verhält.Wie stehen Sie persönlich zum «C»?Ich komme aus einem klassischen CVP-Milieu. Meine Familie väterlicherseits stammt aus dem Kanton Luzern, war immer in dieser Partei und hat auch Funktionen wahrgenommen. Ich habe im CVP-Stammlandekanton Freiburg studiert und bin Mitglied einer entsprechenden Studentenverbindung. Das möchte ich überhaupt nicht missen. Und ich habe dabei viel gelernt, immer aber im Wissen, dass die Vergangenheit dazu dienen muss, die Zukunft aktiv zu gestalten. Daher müssen wir stets auch nach vorne schauen.Wie wichtig ist Religion für Sie?Die Relevanz der Religion ist auch bei mir tendenziell abnehmend. Aber ich bin ein gläubiger Mensch. Ich finde es nicht gut, wenn man sich über Menschen, die den Glauben stärker pflegen als ich, lustig macht und sie als Hinterwäldler darstellt. Das ist nicht fair. Aber der Glaube sollte privat sein und nicht im Zentrum der Politik stehen. Unterschiedliche Glaubensauffassungen haben auf der ganzen Welt für viele Schwierigkeiten gesorgt, das lehrt uns die Geschichte. Die Trennung zwischen Kirche und Staat ist darum gut.Im Kanton Luzern hat die CVP auch aus religiösen Gründen eine andere Bedeutung als in Zürich oder Bern. Stösst die Abkehr vom «C» hier nicht auf Widerstand?Ich bin selber erstaunt, dass der vorgeschlagene neue Name nicht so hohe Wellen wirft. Nach der Departementsrochade im Nachgang der letzten Regierungsratswahlen erhielt ich eine Woche lang heftigste Reaktionen. Das, was jetzt passiert, ist im Vergleich dazu ein Nasenwasser. Ich habe bislang vielleicht 30 Mails erhalten, was praktisch nichts ist, gemessen an der Bedeutung dieser Frage. Zwei Drittel dieser Nachrichten waren negativ, aber anständig. Der Rest war erstaunlicherweise sehr positiv. Zudem gehe ich davon aus, dass sich die Zufriedenen nicht noch zusätzlich vernehmen liessen. Auch in Begegnungen ausserhalb der Partei habe ich gerade auch von älteren Leuten gehört, dass wir Jüngeren das schon gut machten.Die ältere Generation hat Verständnis für die Abkehr vom «C»?Durchaus. Dazu muss man auch sagen: Immer hat man uns aufgefordert, man müsse das «C» mit neuen Inhalten befüllen. Aber wenn das so einfach wäre, hätte man das doch längst gemacht. Es ist eine Pendenz, die gewisse Leute uns weitervererben wollen, die sie aber selbst nicht erledigen konnten. Wir müssen einsehen, dass das halt nicht so einfach ist. Wir sollten uns mit einem Programm profilieren, das möglichst viele Leute unabhängig von einer konfessionellen Bindung und in der ganzen Schweiz anspricht. Und dieser Weg stösst auf Zustimmung.Auch im Kanton Luzern?Ja, bei einer breiten Schicht. Und gerade bei den Jungen. Wenn es hart auf hart kommt, sollen die Jungen entscheiden, wohin die Reise geht. Es kann nicht sein, dass jene, die bereits 1970 über den Parteinamen entschieden haben, dieses Mal auch wieder Hauptdarsteller sind. Das wäre nicht fair gegenüber der jungen Generation.Im Gegensatz zur nationalen Partei hat die CVP im Kanton Luzern aber noch viel zu verlieren.Natürlich, dessen sind wir uns bewusst. Jede Veränderung ist eine Eruption, und der Namenswechsel wird eine grosse Eruption sein. Es geht nicht um eine neue Farbe oder ein Komma im Parteiprogramm, sondern ums Eingemachte. Wir müssen das ehrlich und transparent kommunizieren. Noch vor rund 30 Jahren hatte die CVP im Kanton Luzern die absolute Mehrheit, heute ist davon noch rund die Hälfte übrig. Da bin ich der Ansicht, dass wir uns nun endlich bewegen müssten. Es wäre nämlich naiv von uns zu glauben, nur wegen der letzten erfolgreichen eidgenössischen Wahlen sei die Trendumkehr geschafft.Aber die CVP ist immer noch die stärkste Partei im Kanton.Wenn sich die CVP nicht bewegt, wird sie früher oder später in der Bedeutungslosigkeit versinken. In Luzern würde dieser Prozess zwar länger dauern, aber unsere Fahne würde von immer weniger Leuten getragen, und irgendwann wäre sie dann auch im Kanton Luzern gar nicht mehr da. Die Alternative ist, sich neu auszurichten und die Lage gesamtschweizerisch zu betrachten. Es geht um das grosse Ganze. Die CVP Schweiz hat sich entschlossen, einen neuen Weg einzuschlagen. Es wäre daher unfair, würde die CVP Luzern diese Bestrebung desavouieren. Wir sollten die Neuausrichtung daher mittragen.Wie wichtig ist der Support der Luzerner CVP in diesem Prozess?Innerhalb der CVP Schweiz hat die Luzerner CVP eine Scharnierfunktionen. Die CVP Wallis hat sich bereits positioniert und gesagt, eine Abkehr vom «C» komme nicht in Frage. Meiner Meinung nach war das ein bisschen schnell und eventuell etwas zu wenig reflektiert. Wenn wir ähnlich reagieren würden, stellt sich die Frage, wo es sonst noch eine starke kantonale CVP gibt, die den Kurs der nationalen Parteileitung mitträgt. Als grössere Kantonalparteien blieben wohl nur noch St. Gallen oder Freiburg. Wir haben in diesem Prozess daher wohl die grössere Verantwortung, als wir gemeinhin denken.Wird sich die Luzerner CVP in «Die Mitte» umbenennen?Dieser Entscheid ist noch nicht gefallen. Wir haben uns in der Parteileitung intensiv darüber beraten, warten aber das Resultat der Urabstimmung ab. Wenn die Fusion mit der BDP abgelehnt wird, müssen wir nicht mehr über den Namen diskutieren, denn dann stellen sich zunächst ganz andere Fragen. Die Luzerner Parteileitung steht diesem Prozess aber positiv gegenüber. Und gemessen an den Rückmeldungen im Kanton Luzern bin ich zuversichtlich, dass die Fusion bei der Urabstimmung durchkommt.Wird es im Kanton Luzern eine Fusion mit der BDP geben?Für Luzern ist diese Frage nicht zentral. Die CVP Kanton Luzern würde bei einer Fusion weder gewinnen noch verlieren. National sieht es anders aus. Ich wohne an der Grenze zum Kanton Bern. In Escholzmatt-Marbach haben wir 48 Prozent Wähleranteil. Drei Kilometer weiter, nach der Grenze zum Kanton Bern, liegt die CVP bei weniger als 1 Prozent. Das bringt die Problematik auf den Punkt. Aus historischen Gründen gibt es sehr starre Grenzen. Die BDP ist darum ein sehr interessanter Partner für die CVP, um die reformierten Gebiete zu erschliessen und eine gesamtschweizerische, wählbare Partei zu etablieren.
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