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Luzern

Luzerner Kulturwissenschaftler: «Ohne Fasnacht fehlt uns ein wichtiges Ventil»

Nach der Absage diverser grosser Fasnachtsanlässe wegen Corona: Mischa Gallati sagt, wie sich das auf unsere Gesellschaft auswirkt. Der Kulturwissenschaftler sieht aber auch positive Aspekte.
Mischa Gallati. (Bild: PD)
Szene von der Tagwache 2020 in Luzern. Ob der Anlass auch 2021 stattfindet? (Bild: Philipp Schmidli (20. Februar 2020))

Roman Hodel

Roman Hodel

In der Zentralschweiz wird gerade ein Fasnachtsumzug nach dem anderen für 2021 abgesagt. Wie schlimm ist das für unsere Gesellschaft?Mischa Gallati: Es ist aus mehreren Gründen schlimm. Für die Gesellschaft beispielsweise in der Stadt Luzern bedeutet die Fasnacht ein zentraler Moment im Jahr, eine wichtige Selbstvergewisserung der eigenen Bedeutung. Gerade für die Zünfte, aber auch Guuggenmusigen sind die Umzüge ein Präsentationsfenster. Die Fasnacht sendet zudem Bilder von Luzern in die Schweiz und in die Welt hinaus, die jetzt ausbleiben werden. Und dann hat es ökonomisch grosse Auswirkungen. Man denke nur an all die Restaurants, Hotels und Läden, die von der Fasnacht profitieren.Fasnacht bedeutet für viele Verkleiden, Ausbrechen aus dem Alltag, in Rollen schlüpfen – wenn wir das nicht tun können, was fehlt uns nächstes Jahr?Sehr wahrscheinlich genau dieses Ventil. Denn die Fasnacht in Luzern hat zwar etwas Wildes, aber dieser Ausbruch ist dennoch kanalisiert. Wir brauchen dieses Ausbrechen aus dem Alltag, weil die unsere Gesellschaft doch nicht so locker und frei ist, wie sie sich gerne gibt.Es ist ja nicht nur die Fasnacht, die wegen Corona beschnitten wird. Seit Monaten finden keine Feste mehr statt, die Määs ist abgesagt oder auch viele Weihnachtsmärkte …… deshalb hat die Beanspruchung des öffentlichen Raumes auch derart zugenommen, insbesondere durch Jugendliche. Eine Art Ersatzventil, die da und dort zu Konflikten führt.Warum sind Feste, die Pflege des Brauchtums, diese jährlich wiederkehrenden Anlässe so wichtig für uns?Wir Menschen brauchen einen gewissen Rhythmus, selbst in der heutigen schnelllebigen Zeit. An den wiederkehrenden Anlässen kann man sich festhalten. Die Fasnacht ist in dieser Beziehung ein besonders starker Moment.Nun ist ja die Fasnacht per se nicht abgesagt. Noch nicht. Solange es keine Ausgangssperre gibt, kann mir niemand verbieten, verkleidet durch die Stadt zu schlendern. Ist das ein Lichtblick?Auf alle Fälle. Die Verantwortlichen betonen ja, dass die Fasnacht trotzdem stattfinden wird, einfach anders. Wie die Geschichte zeigt, hat die Fasnacht immer Wege gefunden, den veränderten Bedürfnissen gerecht zu werden. Es gab sie ja lange vor den Umzügen, die erst viel später dazugekommen sind.Das heisst, die Fasnacht wird nicht verschwinden?Auf keinen Fall, die Fasnacht wird überleben. Das sage ich aus einer unemotionalen, wissenschaftlichen Perspektive. Aber es sind neue Formen gefragt, und das kann ihr auch guttun.

Hinweis: Mischa Gallati ist Dozent für populäre Kulturen an der Universität Zürich. Er ist in Luzern aufgewachsen und lebt mit seiner Familie in Zürich. An der Luzerner Fasnacht hat ihn das Treiben in den Gassen immer mehr fasziniert als die Umzüge.

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