Alexander von Däniken
Kilometerlange Blechlawinen auf den Strassen rund um Luzern, überfüllte Züge und Busse: Seit dem Ende des Lockdown zeigt sich jeden Werktagabend das gleiche Bild.
Der Luzerner Kantonsrat will dieses Bild korrigieren. Er hat kürzlich den Regierungsrat beauftragt, einen Pilotversuch für das sogenannte Mobility-Pricing zu prüfen. Um gleich mit einem begrifflichen Unterschied aufzuräumen: Mit Mobility-Pricing ist ein ganzheitliches System gemeint, um etwa Autoverkehr und ÖV preislich zu lenken. Das sogenannte Road-Pricing, wie es in London oder Stockholm umgesetzt ist, beschränkt sich auf den Autoverkehr.
Das Mobility-Pricing dürfte schweizweit an Bedeutung gewinnen. So hat der Bund kürzlich angekündigt, den Autoverkehr aus den Städten verdrängen zu wollen: Mittels mehr Parkplätzen ausserhalb der Zentren und besseren ÖV-Verbindungen von diesen Knotenpunkten in die Städte (Ausgabe vom Samstag).
Zu Stosszeiten teurere Billette und Gebühren für Autofahrer
Ein Beispiel, wie Mobility-Pricing aussehen könnte: Beim ÖV geben SBB und Verkehrsverbund günstigere Abos ab, die aber nur ausserhalb der Stosszeiten gelten. Gleichzeitig werden Billette teurer, wenn sie für Stosszeiten gekauft werden. Beim Autoverkehr könnten auf den Strassen rund um Städte elektronische Zählstellen errichtet werden. Fahren Autos ohne Ausnahmebewilligung und entsprechende elektronische Vignette zu Stosszeiten durch, wird eine Gebühr fällig.
Zurück zur Politik: Das von GLP-Kantonsrat Andràs Özvegyi eingereichte Postulat wurde nur teilweise erheblich erklärt. Für das kantonale Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartement (BUWD) ist der Auftrag laut Sprecherin Paloma Meier-Martino dennoch klar: «Das BUWD wird im Austausch mit dem Bund prüfen, welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen allfälligen Pilot zu Mobility-Pricing im Kanton Luzern gelten würden.» Dafür ist der Kanton vom Bund abhängig. Es gilt abzuklären, «welches die Vorgaben, der Zeitplan und die mögliche Unterstützung sein könnten», so Meier.
Voraussetzung ist ein befristetes Bundesgesetz
Die Details dieser Rahmenbedingungen sind auch beim Bund noch nicht bekannt. Der Bundesrat hat das eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation beauftragt, eine Vernehmlassungsvorlage vorzubereiten, welche die rechtlichen Grundlagen für die Durchführung von Pilotprojekten schafft. Thomas Rohrbach, Mediensprecher beim Bundesamt für Strassen (Astra), welches bei Mobility-Pricing federführend ist, sagt:
«Die Arbeiten sind im Gange.»
Am Ende dieser Vernehmlassungsvorlage wird ein befristetes Bundesgesetz stehen, das die Pilotversuche ermöglicht. Bis dieses in Kraft tritt, vergehen laut dem Astra-Sprecher mindestens vier Jahre. Denn auch befristete Bundesgesetze durchlaufen den üblichen Prozess mit parlamentarischen Beratungen – und sie sind grundsätzlich dem vorgängigen fakultativen Referendum unterstellt. «Das Volk kann also eine Volksabstimmung über das Gesetz verlangen, bevor dieses in Kraft tritt», sagt Rohrbach.
Bis dahin können die Kantone ihre Bedürfnisse anmelden: «Die Versuche werden dort stattfinden, wo ein Kanton die Anwendung von Mobility-Pricing mit einem Pilotprojekt testen möchte.» Die genaue Ausgestaltung werde sich nach den jeweiligen Begebenheiten richten.
Kanton muss verschiedene Pläne aufeinander abstimmen
Seitens Bund ziehen also noch mindestens vier Jahre ins Land. Doch auch beim Kanton Luzern gestalten sich die Abklärungen als aufwendig. So wird derzeit das Konzept «Zukunft Mobilität Kanton Luzern» erarbeitet. Dort soll laut BUWD-Sprecherin Paloma Meier in einer ersten Phase auch das Mobility-Pricing vertieft geprüft werden. Schon jetzt gebe es verschiedene Planungsinstrumente, um den Verkehr zu steuern. Zum Beispiel das Agglomerationsprogramm, den Richtplan oder das Bauprogramm. Konkrete Massnahmen daraus sind Dosiersysteme oder separate Busspuren.
Es gelte, alle Massnahmen in sämtlichen Planwerken aufeinander abzustimmen. Zumal das Agglomerationsprogramm und der Richtplan derzeit überarbeitet werden und auch der für das nächste Jahr angekündigte Klimabericht Einfluss auf die Mobilität haben wird.
Wo der Pilotversuch stattfinden kann, ist noch unklar
Ob im Kanton Luzern überhaupt ein Pilotversuch stattfindet und ein solcher gegebenenfalls dereinst in der Stadt Luzern oder in anderen stark belasteten Gemeinden wie Wolhusen durchgeführt wird, könne derzeit nicht gesagt werden. Auch nicht, wie ein Pilotversuch konkret aussehen würde, sagt Paloma Meier. Schon 2015 hat sich der Luzerner Regierungsrat zu einem Konzeptbericht des Bundes über Mobility-Pricing geäussert. Das Instrument sei begrüssenswert, ebenso Pilotversuche in den Regionen, schrieb er damals anlässlich der Vernehmlassung.
Grosse Zweifel äusserte er aber an der Preisgestaltung. Diese müsse einerseits die gewünschte Verkehrslenkung erzielen, dürfe aber andererseits weder zu Ausweichverkehr noch zu einer Benachteiligung jener führen, die zu Stosszeiten in einer entsprechenden Zone unterwegs sein müssen. Das gilt noch heute, wie BUWD-Sprecherin Paloma Meier sagt:
«Dies ist eine der Herausforderungen, die sich stellen. Die Ausgestaltung der Tarife – dies zeigte sich auch im theoretischen Versuch im Kanton Zug als Schwierigkeit.»
Kanton Zug bewirbt sich auch für konkreten Pilotversuch
Tatsächlich ist der Kanton Zug um eine Erfahrung reicher. Hier gab es bereits einen theoretischen Pilotversuch in Form einer Modellrechnung. Ende 2019 wurden die Resultate publik: Gemäss dem Hauptszenario kann die Verkehrsmenge im motorisierten Individualverkehr in Spitzenzeiten um neun bis zwölf Prozent reduziert werden, im ÖV um fünf bis neun Prozent. Auch hat die Studie gezeigt, dass die Technologien für Mobility-Pricing vorhanden sind und der Datenschutz gewährleistet werden kann. Damals liess Baudirektor Florian Weber (FDP) noch offen, ob sich der Kanton Zug auch für einen praktischen Pilotversuch zur Verfügung stellen würde. Heute sagt Weber: «Der Kanton Zug hat beim Bundesamt für Strassen für die nun anstehende Phase erneut einen Vorschlag für ein Pilotprojekt eingereicht.»
Der Zuger Regierungsrat geht davon aus, «dass der Bund auch an diesem Pilotprojekt sehr interessiert ist und darum dessen Kosten trägt». Mit einem 1:1-Feldversuch soll getestet werden, wie sich die Menschen tatsächlich verhalten. Eine freiwillige Menge von Leuten zeichnet dabei mit einer App ihre Mobilität auf und bezahlt für diese je nach Bedarf und Zeit. Dieser Feldversuch beinhaltet sowohl den privaten wie auch den öffentlichen Verkehr.
Ziel: Ende 2021 Beratung im Zuger Kantonsrat
Bis es so weit ist, fliessen die Resultate aus dem theoretischen Versuch in das kantonale Mobilitätskonzept ein, das die Zuger Baudirektion bis Ende 2020 erstellt. Das Mobilitätskonzept wird dann im Parlament diskutiert und die Resultate werden im Richtplan berücksichtigt. «Ziel bleibt es, dass der Kantonsrat Ende 2021 entscheiden kann», sagt Florian Weber. Geplant ist, dass dann eine Anpassung des kantonalen Richtplans im Kapitel «Verkehr» öffentlich aufgelegt wird. Dieses Kapitel enthält die strategischen Leitlinien für die künftige Mobilität im Kanton Zug.
Welcher Kanton an einem Pilotprojekt mitmachen kann oder darf, entscheidet das Bundesamt für Strassen, also der Bund. «Eine erste Tagung bezüglich der Teilnehmer findet im Herbst statt», weiss Florian Weber. Und fügt ebenfalls an, dass es Zeit brauche, bis der Bund die gesetzlichen Grundlagen geschaffen hat. Damit ist klar: Mobility-Pricing stösst auf grundsätzliches Interesse, bis zum ersten Pilotversuch wird es aber dauern.
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