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Luzern

Kanton Luzern begrenzt Alternativen zur Volksschule

Ob Unterricht zu Hause oder in Privatschulen: Martina Amato (42) aus Oberkirch setzt sich für eine freie Bildungswahl ein. Doch der Kanton Luzern hält an der Volksschule fest. Damit ist er nicht alleine.
Martina Amato, Vorstandsmitglied von «Elternlobby Schweiz». (Bild: Boris Bürgisser (Oberkirch, 17. Januar 2018))

Ernesto Piazza

Im Bildungsbereich ist viel in Bewegung: Zwar ist die Volksschule nach wie vor die Norm und die meisten Kinder besuchen eine öffentliche Institution. Doch es gibt immer mehr Eltern, die mit der Situation konfrontiert sind, dass sich bei ihrem Sohn oder ihrer Tochter mit dem Schuleintritt psychosomatische Symptome bemerkbar machen. Oder die Kinder beginnen gar, den Schulbesuch zu verweigern. «Das ist aber keinesfalls so, weil sie faul sind», sagt die in Oberkirch lebende Martina Amato (42). Sie ist Vorstandsmitglied des Vereins «Elternlobby Schweiz» und hat dieses Szenario im eigenen Haushalt erlebt. Schliesslich fand die Juristin nach nervenaufreibendem Hin und Her für eines ihrer Zwillingsmädchen die Lösung mit Homeschooling statt Volksschule. Heute besuchen beide eine Privatschule.

Amato hat über alternative Bildungswege zu öffentlichen Schulen ein Buch geschrieben. Mittlerweile melden sich bei der Buchautorin («Schule einfach anders») immer mehr Hilfe suchende Eltern. Oft seien sie verzweifelt, «weil ihnen von offiziellen Stellen meist nahegelegt wird, ihre Kinder abklären zu lassen». Sie sagt: «Ich möchte diesen Menschen Mut machen, einen für das Kind und die Familie stimmigen Weg zu finden.»

Rücklauf beträgt nur rund 20 Prozent

Einmal eine Möglichkeit gefunden, komme aber – gerade bei weniger betuchten Eltern – vielfach das nächste, finanzielle Problem auf sie zu. «Und zwar nicht etwa, weil private Schulangebote mehr kosten als die Volksschule. Sondern weil oft weder Kanton noch Gemeinden sich an den Kosten beteiligen.»

Deshalb schrieb sie alle 83 Gemeinden des Kantons an. In Form einer «Umfrage freie Bildungswahl» bat sie diese um eine Stellungnahme. So interessierte die Mutter von den Zwillingen beispielsweise, wie hoch der Betrag ist, den die Kommunen bei Homeschooling oder beim Besuch einer Privatschule zu zahlen bereit wären. Sie wollte auch wissen, ob Gemeinden sich finanziell beteiligen würden, selbst wenn der Weg über eine öffentliche Schule empfohlen wird. Und ob die Gemeinde bei einem solchen Schritt die Kosten der Lehrmittel im Umfang, wie sie bei einer öffentlichen Schule anfallen, berappen würde.

«Ich stelle mich nicht gegen die Volksschule. Aber ich stehe für eine freie Bildungswahl ein.»

Martina Amato, Verein Elternlobby Schweiz

An der Umfrage haben nur rund 20 Prozent der angeschriebenen Kommunen teilgenommen. «Das Ergebnis ist sehr ernüchternd, obwohl ich den Grund dafür kenne», resümiert Amato. «Viele Bildungsverantwortliche stützen sich auf das Volksschulbildungsgesetz. Sie wollen oder dürfen das Bildungsangebot nicht differenziert betrachten.»

Bei den wenigen Gemeinden, die antworteten, war der Tenor ziemlich einhellig: Man habe sich hinter das heutige Volksschulbildungssystem gestellt, «was mich nicht überrascht», erklärt Amato. Sie habe Verunsicherung und wohl auch Druck von öffentlicher Seite gespürt, der Fragestellung sowie möglichen Antworten wenig Raum zu bieten.

Kanton kürzte Beiträge wegen Sparmassnahmen

Doch von welchen Kosten ist überhaupt die Rede? Gemäss den Berechnungen des Kantons im Aufgaben- und Finanzplan (AFP) für die Jahre 2018 bis 2021 betragen die Normbeiträge eines Kindes pro Jahr im Kindergarten 11'000 Franken, in der Primarschule knapp 15'000 Franken und in der Sekundarklasse sind es rund 19'400 Franken. 25 Prozent davon steuert der Kanton bei.

Die Volksschulbildungsverordnung (VBV) sieht zwar vor, dass der Kanton Privatschulen auf Gesuch hin Beiträge ausrichten kann. Im Kindergarten sind das pro Kind im Jahr höchstens 1200 Franken, bei der Primarschule 1600 Franken und bei der Sekundarstufe I 2000 Franken. Diese Gelder sind aber seit 2016 nicht mehr ausgerichtet worden. Die Beiträge wurden aufgrund der Sparmassnahmen des Kantons gestrichen. 2015 waren noch rund 570'000 Franken ausgerichtet worden. Für Homeschooling gibt es vom Kanton generell keine finanzielle Unterstützung.

«Es geht nicht um das Sparen, sondern um eine qualitätsvolle und als gut anerkannte öffentliche Schule.»

Charles Vincent, Leiter Dienststelle Volksschulbildung


Bei den Gemeinden unterscheiden sich die effektiven Kosten stark. Aber angesichts dessen, dass der Kanton nur 25 Prozent übernimmt, sind sie dort klar höher. Mindestens die Kosten für die Lehrmittel fallen bei den Gemeinden bei einem Besuch der Volksschule so oder so an. Deren Bezahlung lehnen die Kommunen für Homeschooling und den Besuch von Privatschulen allerdings sehr oft ab, wie die unserer Zeitung vorliegenden Umfrageergebnisse zeigen. Dabei entlasten die Eltern in diesen Fällen die Gemeinden finanziell massiv, weil sie die Schulkosten selber tragen. Allfällige Kosten für Abklärungen, Sonderschulmassnahmen, wie integrierte Förderung oder integrierte Sonderschule, fallen für die öffentliche Hand beim Besuch einer Privatschule auch keine an.

«Geht nicht um das Sparen sondern um Qualität»

Aus dem Finanzplan ist ebenfalls ersichtlich, dass sich der Kanton zum Ziel gesetzt hat, den Anteil der Lernenden an Privatschulen auf maximal 1,4 Prozent zu beschränken. Der Kanton will Geld sparen, stützt aber alternative Bildungswege zur öffentlichen Schule nur marginal. Ein Widerspruch. Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung, sieht das nicht so: «Es geht nicht um das Sparen, sondern um eine qualitätsvolle und als gut anerkannte öffentliche Schule. Die genannten 1,4 beziehungsweise aktuell 1,3 Prozent sind im Leistungsauftrag der Dienststelle Volksschulbildung – AFP 2019 bis 2022 – als Indikator für den Zielschwerpunkt ‹Die Volksschulen haben im Kanton Luzern ein hohes Ansehen› aufgeführt.»

Für Amato hingegen ist klar: «Ich stelle mich nicht gegen die Volksschule. Aber ich stehe für eine freie Bildungswahl ein. Überall sind Veränderungen im Gange – diese machen auch im Bildungswesen nicht Halt. Und die Tendenz, dass die heutige Volksschule für gewisse Kinder nicht mehr das passende Angebot ist, wird zunehmen.» Es sei eine Zeiterscheinung und eine Herausforderung zugleich, sich andere Bildungsformen leisten zu können.

Weiter ist die Juristin der Ansicht, dass «dieses Denken und Handeln nicht im Sinne der betroffenen Kinder ist, unsere Steuergelder hier nicht gerecht verteilt werden und wir damit einmal mehr eine Zweiklassengesellschaft unterstützen». Amato plädiert für gleich lange Spiesse und ist überzeugt: «Mit Bildungsgutscheinen könnte man der Herausforderung kostengünstig und vor allem im Sinne des Kindeswohl entgegenwirken.»

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