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Luzern

In Schüpfheim dürfen sich Schweine auf Wiese, Spielplatz und im Pool vergnügen

Ein neues Label soll die Lebensqualität von Mastschweinen steigern, indem diese ihren Instinkten folgen können. Das soll sich auch positiv auf ihr Fleisch auswirken.
Die «Wiesenschweine» dürfen regelmässig freien Auslauf auf der Wiese geniessen. (Bild: Boris Bürgisser, Schüpfheim, 10. Mai 2019)
Bei trockenem Wetter werden die «Wiesenschweine» ihrem Namen gerecht und dürfen auf die Wiese (von links): Franz Studer, Oliver Hess und Josef Schmied. (Bild: Boris Bürgisser, Schüpfheim 10. Mai 2019)

Martina Odermatt

Martina Odermatt

«Ich habe meine Schweine von einer ganz anderen Seite kennen gelernt», sagt Franz Studer, Bauer in Schüpfheim. Er lehnt an den Zaun, beobachtet die Tiere auf dem grossen Aussenplatz, wie sie mit ihren Schnauzen unermüdlich im Streu wühlen und hin- und hersprinten. Studer ist der erste und momentan einzige Landwirt, der nach den Richtlinien des neuen Labels «Wiesenschwein» produziert.

«Vater» des Wiesenschweins ist Oliver Hess (48). Hess war bis 2018 selbst Landwirt. 2012 kaufte er einen Hof in Mosen, weil die Tiere dort in einem schlechten Zustand waren. Eingepfercht auf wenig Raum, dem eigenen Dreck ausgesetzt. Hess wollte das ändern. «Wie soll ich meinen Kindern erklären, warum wir Schweinefleisch essen, wenn die Tiere so gehalten werden?», erklärt Hess. Er fasst einen Plan: Seine Tiere sollen es besser haben. Den Hof in Mosen will er deshalb umbauen: Auf einem «Spielplatz» sollen die Schweine toben, in einem Pool sich eine Abkühlung gönnen, und auf der Wiese springen und in befestigten Bereichen wühlen können. Der Plan steht, doch der Kanton kommt in die Quere: Er gibt kein grünes Licht für das Vorhaben. Hess darf seinen Hof nicht umbauen. Als Konsequenz verkauft er diesen und zieht mit seiner Familie um.

Doch Hess wäre nicht Hess, würde er einfach aufgeben. Es reizt ihn, Probleme zu lösen, so lange zu tüfteln, bis das Problem eben keines mehr ist. Mit Franz Studer findet er einen Partner, mit welchem er das Projekt realisieren kann. Die Betriebszweiggemeinschaft Studer/Schmid baut den Hof um.

Tierwohl: Es gibt Luft nach oben

Neben Stall und «Balkon», einem kleinen, überdachten Aussenbereich, der sich in der Schweiz bei rund der Hälfte aller Schweinehalter etabliert hat, will er den Tieren auch einen «Spielplatz» ermöglichen. Dieser ist überdacht und mit Streu eingelegt. In der Mitte teilt ein Gitter die Fläche in zwei Teile, sodass immer zwei Gruppen gleichzeitig auf dem Spielplatz Zeit verbringen können. Ein Wasserbecken soll im Sommer für Abkühlung sorgen. Bei trockenem Wetter dürfen die Schweine auch auf die Wiese.

Ziel sei es, so Hess, das Tierwohl zu verbessern. Auch wenn bereits etliche Labels auf dem Markt seien, die genau dafür werben, gebe es noch Luft nach oben. Denn: Von den 2,7 Millionen Schweinen, welche die Schweizer pro Jahr verspeisen, produziert der Kanton Luzern alleine einen Drittel. Da kann es im Stall schon mal eng werden. Rund der Hälfte der Schweine bleibt im Normalfall weniger als einen ganzen Quadratmeter an Stallfläche. So die nationalen Bestimmungen. Bei Bio- oder Coop Naturafarm-Betrieben sind es immerhin 1,65 Quadratmeter. Hier knüpft Hess an. Liege- und Balkonflächen entsprechen den Standards von Coop Naturafarm und Bio. Doch der Spielplatz, da ist sich Hess sicher, steigert die Lebensqualität der Tiere. «Das Schwein ist das älteste Nutztier. Trotzdem hat es noch Instinkte. Schweine wollen wühlen können», sagt er. Das merkte auch Franz Studer, als er die Schweine das erste Mal auf den Spielplatz liess. «Es gab Tiere, die praktisch zwei Stunden nur den Boden mit ihrer Schnauze durchwühlt hatten. Vorher haben die Schweine das nicht gemacht», sagt er. Hess schmunzelt. «In den Stunden, in denen die Schweine nicht ruhen, sind sie gerne sehr aktiv.»

Trotz Automatik: Label beschert Mehraufwand

Drei Pieptöne erklingen und signalisieren so das Ende der Spielzeit. Die Schweine stürmen augenblicklich durch das Tor zurück in den Stall, denn sie wissen: Nun ist der Futtertrog wieder frisch aufgefüllt. Zwei Mal pro Tag dürfen die Wiesenschweine für gut 45 Minuten auf den Spielplatz. Der Zugang dazu ist automatisiert. «Die Lösung ist so einfach. Es geht nicht nur um die Anzahl Quadratmeter, sondern um die Kombination mit dem Faktor Zeit, also den Tieren für eine gewisse Zeit wirklichen Freilauf zu gönnen», sagt Hess.

Trotz moderner Technik: Landwirt Studer hat durch die Umstellung mehr Aufwand. Etwa für die Kontrolle der Tiere. Diese wird durch das neue System etwas erschwert. Auch das Misten und Präparieren der Wiese, die die Schweine bei guter Witterung nutzen dürfen, erfordert mehr Zeit. Durch die Aktivität der Schweine nimmt ausserdem ihr Appetit zu. Es fallen also Mehrkosten an. Lohnt sich der Wechsel zum Wiesenschwein wirklich?

Studer nickt. «Ich bin zwar befangen, aber meine Kinder schmecken einen Unterschied. Sie sagen, dass unser Fleisch zarter ist als anderes», sagt der Landwirt. Doch er produziert nicht nur aus ethischen Gründen nach Wiesenschwein-Richtlinien. «Es ist schwierig, sich heute vom Markt abzuheben.»

Konsument wird entscheiden

Der Markt wird schliesslich entscheiden, ob das Wiesenschwein eine Zukunft hat oder nicht. Preislich liegt das Fleisch vom Wiesenschwein laut Hess über dem herkömmlichen Preis für Schweinefleisch, «irgendwo zwischen Coop Naturafarm und Bio». Eine dreijährige Abnahmegarantie hat Hess für Studer bei Coop in harten Verhandlungen erwirkt. Auch, weil die Betriebszweiggemeinschaft die Kosten für den Umbau alleine stemmen muss. Momentan gibt’s das Wiesenschwein an den Theken in vier Filialen in der Region zu kaufen.

Bereits laufen Verhandlungen mit weiteren Landwirten. Doch Hess will diese erst verpflichten, wenn die Nachfrage der Konsumenten vorhanden ist und der Detaillist auch ihnen die Starthilfe zusichern kann. Der Ball liegt nun beim Konsument. Ist die Nachfrage nach dem Wiesenschwein gross, dürften bald weitere Schweine ein solches Leben geniessen.

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