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Melchtal

Wie 220 Studenten im Eis strandeten

Die Aufgabe erscheint simpel: Man konstruiere ein Biwak und übernachte eine Nacht darin. Bei Minustemperaturen mussten sich die Luzerner Hochschulstudenten mit ihren Biwaks nun dem Härtetest stellen. Mittendrin: vier kleine «Filzrouladen».



Filz im Schnee: Die Biwaks mussten mobil sein. (Bild: Boris Bürgisser, Melchtal, 13. Dezember 2018)
Der Prototyp der Filzroulade  wird beim Technikum in Horw erstmals zusammengesetzt. (Bild: Boris Bürgisser, 22. November 2018)
So könnte es klappen: (von links) Simone Vontobel, Giada Meyer und Jann Mathys besprechen die Details. (Bild: Boris Bürgisser, 22. November 2018)
Im warmen hat man natürlich gut lachen: Jann Mathys zeigt, wie man es sich in der Filzroulade gemütlich macht. (Bild: Boris Bürgisser, 22. November 2018)
 Geschafft: Das Filzrouladen-Biwak ist zusammengesetzt. (Bild: Boris Bürgisser, Melchtal, 13. Dezember 2018)


Ismail Osman

Die Szene, die sich diese Woche im Melchtal zutrug, lässt sich vielleicht am besten als «Burning Man on Ice» beschreiben. Beim berühmt-berüchtigten US-Festival wird jeweils eine bunte Kleinstadt mitten in der Wüste Nevadas errichtet. Das verschneite Melchtal bietet zwar eine diametral entgegengesetzte Kulisse, für eine Nacht wurde es aber auch dort aussergewöhnlich bunt.

Der Grund: Rund 220 Erstsemester-Studenten des Departements Technik & Architektur der Hochschule Luzern reisten an, um die Outdoor-Tauglichkeit von über 50 selbst konstruierten Biwaks zu testen. Nach und nach fand sich am Donnerstag die in Gruppen aufgeteilte Studentenschaft auf einer Wiese oberhalb des Sportcamps ein. Beladen waren sie mit den Materialien, um ihr Biwak aufzustellen: Diese reichten von Styroporplatten, Heliumflaschen und Lastwagenblachen, bis hin zu neonfarbenen Luftmatratzen und schimmernde Goldfolien. Das Resultat dieser kleinen Völkerwanderung: Für einen Tag und eine Nacht blühte im Melchtaler Schnee ein farbenprächtiges Dörfchen auf.

Mitten im Trubel des Aufbaus fanden wir auch jene Gruppe, die wir suchten: die mit der «Filzroulade».

Die Herausforderung schweisst zusammen

Rückblende: Es ist Mitte November und wir treffen eine fünfköpfige Gruppe beim Technikum in Horw. Simone Vontobel, Giada Meyer, Jann Mathys, Dario Hänsli und Jannis Geissler ziehen, drücken und biegen ein dickes Stück Filzstoff in die Form eines Zylinders. Wir sind einigermassen skeptisch. Was soll es den bitteschön werden, wenn es fertig ist? Die Frage wird mit höflichem Lächeln quittiert und danach erstaunlich fachkundig beantwortet: Mehrere Filzstücke verschiedener Beschaffenheit werden mit Klettverschlüssen verbunden und formen so eine raupenförmige Röhre, in die man sich zurückziehen kann. Die Einzelteile können zusammengerollt von einer Person getragen werden. Arbeitstitel der Konstruktion: «Filzroulade».

Um zu verstehen, weshalb die fünf auf die Idee kamen, vier Filzrouladen in den Melchtaler Schnee zu setzen, muss man zunächst den Sinn der Aufgabe verstehen. «Das Biwak ist lediglich Mittel zum Zweck», klärt Architekturdozent Johannes Ritzer auf. Er leitet dieses Kontextmodul. «Die Arbeit am Biwak bildet den Rahmen um die Grundlagen des Dokumentierens von wissenschaftlichen Arbeiten zu vermitteln.» Es geht um die Dokumentation des Prozesses und der daraus gewonnenen Erkenntnisse. Das heisst auch, dass ein Scheitern eines Biwaks im Härtetest nicht das Ende bedeuten würde. Gut zu wissen.

Die insgesamt 54 Gruppen wurden zudem bewusst so zusammengesetzt, dass Studentinnen und Studenten verschiedener Fachrichtungen zusammenkommen. Die Filzroulade ist ein Musterbeispiel: Hier treffen ein Gebäudetechniker und ein Bauingenieur auf zwei zukünftige Architekten und eine Innenarchitektin. «Heute gibt es praktisch kein Bauprojekt mehr, indem man nicht interdisziplinär mit anderen Fachpersonen zusammenarbeiten muss», sagt Ritzer. «Sie müssen also eine gemeinsame Sprache finden.» So auch unsere Gruppe: «Es gibt über jede Fachrichtung Vorurteile», sagt Jann Mathys. «Die Architekten sind die, die mit dem roten Stift Fantastereien hinkritzeln, die wir Techniker dann hinbiegen müssen.» Im Gegenzug gelten die Techniker als generell «grantelig», wie Architektin Giada Meyer weiss.

Aber noch mal. Im Ernst: Wie kommt man auf eine «Filzroulade»? «Die ersten Diskussionen waren intensiv, aber von Beginn weg konstruktiv», erinnert sich Dario Hänsli. «Zunächst stand eine andere Konstruktion im Zentrum, eine Skizze der ‹Roulade› von Simone hat uns dann aber überzeugt, die Herausforderung anzunehmen und mit dem ungewöhnlichen Material zu arbeiten.» Danach ging es schnell. Ein Filzfabrikant wurde gefunden, die einzelnen Stücke zugeschnitten, die Unterseite mit Flüssigkunststoff wasserdicht gemacht und ab in den Schnee damit.

Aufbauprozess offenbart Tücken

Und dort trafen wir sie nun wieder. Im schneebedeckten Feld, direkt zwischen einem orange-leuchtenden Biwak, das mit integriertem Bier-Pong-Spiel reüssierte und einem Zelt, das als tragende Elemente statt auf Stangen auf mehrere heliumbefüllte Ballone setzte. Hier nahmen auch vier Filzrouladen ihre Gestalt an. Nicht ohne Tücken: «Der Flüssigkunststoff ist durch die Kälte extrem hart geworden. Das erschwert die Zusammensetzung der einzelnen Filzstücke», erklärte Jannis Geissler den langwierigen Aufbauprozess. Die Sonne hatte sich bereits hinter die Bergklippen verabschiedet und die Temperatur auf klirrende Minus 7 Grad sacken lassen, als die Rouladen gerollt waren. Doch da lagen sie nun – sehr zur Freude ihrer Konstrukteure.  

Bleibt die Frage, ob die Filz-Biwaks tatsächlich dazu taugten, eine Nacht darin zu verbringen? Falls nicht, standen Betten im Sportlager zur Verfügung. Simone Vontobel bestätigt: «Wir haben’s geschafft.» Die gesamte Gruppe verbrachte die Nacht, trotz einsetzendem Schneefall, im Freien. «Die Röhren sind durch die eigene Körperwärme lange sehr warm geblieben. Bei einer Röhre drückte der Schnee gegen Morgen aber die Decke ziemlich ein.» Womit sie nicht rechneten: Die Kunststoffbeschichtung am Boden verströmte einen wenig schmeichelhaften Geruch, was die Gruppe auch von benachbarten Biwak-Bewohnern zu hören bekam. Insgesamt wird die Filzroulade aber als Erfolg verbucht. Auch Dozent Johannes Ritzer zieht ein positives Fazit: «Rund die Hälfte der Teams übernachtete tatsächlich in ihren Biwaks. Es war zuvor aber ein langer Abend an dem die Studierenden ihre Leistungen und den Aufwand, den sie in das Projekt setzten, zurecht feierten.»

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