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Luzern

Ethik-Professor Kirchschläger ordnet den geplanten 5G-Ausbau ein: «Die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze ist kein Persilschein»

Wir haben Peter G. Kirchschläger, Professor für Theologische Ethik an der Universität Luzern, zum Interview getroffen. Er ordnet den geplanten 5G-Ausbau aus ethischer Sicht ein.
Peter G. Kirchschläger an der Pilatusstrasse. (Bild: Jakob Ineichen (Luzern, 7. April 2020))

Pascal Studer

«Sollte die ganze Schweiz mit 5G-Antennen ausgestattet werden, weiss ich nicht mehr, wo ich wohnen soll.» Wie beurteilen Sie diese Aussage aus einer ethischen Perspektive?Dies ist ethisch sehr problematisch, da elektrosensible Menschen durch 5G in ihrer Gesundheit und in ihrer Menschenwürde betroffen sind. Technisch Machbares darf nicht einfach gemacht werden, nur weil es machbar ist. Jede Innovation ist konsequent dahingehend zu überprüfen, was aus ethischer Sicht wirklich sein soll und was nicht. Nur weil etwas technisch machbar ist, soll es noch lange nicht sein – man denke beispielsweise an die Atombombe.Welche Rolle spielt der Rechtsstaat?Natürlich muss der liberale Rechtsstaat Schweiz auf elektrosensible Menschen Rücksicht nehmen und darf diese nicht diskriminieren. Andere technische Lösungen sind innovativ zu finden.Eine Asut-Studie betont die Wichtigkeit von 5G für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft. Könnte man aus ethischer Sicht nicht argumentieren, dass der 5G-Ausbau unverzichtbar ist, weil dadurch viele Arbeitsplätze geschaffen werden?Zum einen handelt es sich bei Asut um die Interessenvertretung der Telekommunikationsindustrie. Das ist bei der Einordnung dieser Studie zu berücksichtigen. Zum anderen gilt es aus ethischer Sicht zu beachten, dass zusätzliche Arbeitsplätze oder wirtschaftlicher Gewinn nicht gegen die Menschenwürde und die Menschenrechte aller Menschen aufgewogen werden dürfen. Die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze ist kein Persilschein für Menschenrechtsverletzungen. Wenn durch die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen die Gesundheit von Menschen geschädigt und die Menschenwürde von Menschen verletzt wird, dann ist diese Form der Arbeitsplatzschaffung illegitim.Könnten die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie die Bereitschaft, den 5G-Ausbau voranzutreiben, forcieren?Die Covid-19-Pandemie bildet eine Zäsur für die Menschheit. Es wird uns allen unsere Verletzbarkeit vor Augen geführt, mit der eine Ungewissheit verbunden ist. Diesbezüglich sind alle Menschen gleich. Die Covid-19-Krise rüttelt uns wach, dass wir uns entscheiden müssen: Wir können nicht für uns selbst Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde in Anspruch nehmen und gleichzeitig die Menschenrechte von anderen Menschen verletzen, um beispielsweise Arbeitsstellen zu sichern.Wissenschaftlich fehlen bezüglich 5G die Evidenzen, wie die Technologie auf die Umwelt wirkt. Wie beurteilen Sie, dass weiterhin am Ausbau festgehalten wird?Aus ethischer Perspektive ist es inakzeptabel, da es hier um die menschliche Gesundheit und um menschliches Leben geht. Ein Medikament würde ja auch nicht zugelassen werden, bevor nicht sorgfältig die Folgen für die menschliche Gesundheit überprüft worden sind. Die Auswirkungen von 5G auf die menschliche Gesundheit sind noch viel zu wenig erforscht, wie unter anderem die US-amerikanische Gesundheitsbehörde festgehalten hat. Dementsprechend müssen im Sinne des Vorsorgeprinzips die diesbezüglichen Hausaufgaben zunächst gemacht werden, bevor an eine Einführung von 5G überhaupt zu denken ist.
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