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Luzern

Einsamkeit und Schuldgefühle: Eine junge Luzernerin erzählt von ihrer Zeit in der Coronaquarantäne

Dominika Baumann* (21) steckt sich bei ihrer Arbeit im Spital mit dem Coronavirus an. Zehn Tage lebt sie abgeschottet in einem Zimmer, hat kaum Kontakt zur Aussenwelt. Heute darf sie wieder raus aus der Isolation. Ein Blick in ihr ganz persönliches Tagebuch.
Zehn Tage lang war Dominika Baumann in ihrem Zimmer «eingeschlossen». (Symbolbild: Getty)

Pablo Mathis

«Man fühlt sich vergiftet. Man fühlt sich schuldig. Man fühlt sich dafür verantwortlich.»

Dominika Baumann* ist in ihrem vierten Studiensemester als Physiotherapeutin. Nachdem sie an ihrem Ausbildungsplatz in einem Berner Spital Kontakt mit einem coronainfizierten Patienten hat und Symptome zeigt, muss auch sie einen Test machen.

Anfangs treten bei ihr keine Symptome auf, nach ein paar Tagen leidet sie an Schnupfen, Halsschmerzen und Fieber. Per SMS erhält sie am 30. Juli die Diagnose: Sie hat das Coronavirus. Auf einen Schlag ändert sich ihr Leben. War sie eben schon in Gedanken bei der Arbeit, so spielt sich nun ihr Leben in den einsamen vier Wänden ihres Zimmers ab.

«Es ist doch nur eine Erkältung. Denkste, das wars. Pflichtbewusst setzte ich sofort alles in Gang.»

Nach einem Anruf bei ihrem Arbeitgeber informiert Baumann ihre Mutter, die daraufhin die weiteren Familienmitglieder benachrichtigt. Darf sie die Quarantäne in ihrer Wohnung oder bei ihren Eltern im Kanton Luzern absitzen? Sie versucht verschiedene Stellen beim Kanton und im Spital zu erreichen, doch dort nimmt niemand ab. Auch an ihrer Schule meldet sich niemand. Ein erster Einblick in die Einsamkeit.

Stunden später klingelt erneut das Telefon, der Luzerner Kantonsarzt erlaubt ihr die Reise nach Luzern. Richtig beraten wird sie erst in einem Gespräch mit der Lungenliga. Ihre Mutter holt sie ab. Die Fahrt nach Hause kommt ihr vor wie die Fahrt in eine Sackgasse, ihr Zimmer darf sie für die nächsten zehn Tage nicht mehr verlassen. Nicht mal fürs Mittagessen, wie Baumann im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt.

«Auch wenn sieben Personen auf dich einreden, dir keine Vorwürfe zu machen. Wie soll das gehen? Hätte ich letzten Samstag kein Restaurant besucht oder hätte ich vielleicht am Sonntag zur Begrüssung niemand umarmt, wäre es jetzt anders?»

Die psychische Belastung ist schlimmer als die körperliche

Baumann beginnt, ihre Gedanken in einem Tagebuch niederzuschreiben. Unserer Zeitung hat sie einen Einblick in ihren Quarantäne-Alltag und in ihre Gefühlswelt gewährt.

Inzwischen hat Baumann ihren Freundeskreis über die Diagnose informieren können. Fünf ihrer Freundinnen müssen auch in Quarantäne und das obwohl bei einigen das Testergebnis negativ ausgefallen war. Eine Freundin muss wegen ihres Befundes sogar die geplanten Ferien absagen. Es sind gerade solche Tatsachen, die neben Einsamkeit und Langeweile ihren Alltag während der Isolation prägen.

Der nächste Tag beginnt mit einer Yogastunde. Die Online-Yogalehrerin erinnert Baumann daran sich selbst ein Lächeln zu schenken. Abgeschottet in einem Zimmer mit kaum Kontakt zur Aussenwelt ist das wohl leichter gesagt als getan.

«Die Einsamkeit, welcher Inhaftierte ausgesetzt sind, verstehe ich mehr denn je.»

Immerhin kann sich Baumann jeweils um zehn Uhr mit den sich ebenfalls in Quarantäne befindenden Freundinnen per Computer zum gemeinsamen Frühstück «treffen». Nach dem Treffen gönnt sie sich drei Stücke Kuchen.

«Man gönnt sich ja sonst nichts. Falsch. In der Isolation gönnt man sich täglich.»

Eine Fremde im eigenen Haus

«Frühstück ist vor der Türe», mit diesem Ruf wird Baumann geweckt. Auf einem Teller vor ihrer Zimmertüre findet sie ihr Frühstück. Nach der Mahlzeit stellt sie den Teller wieder vor die Türe. Dieser wird später von ihrer Mutter mit Handschuhen in die Spülmaschine gestellt.

Nichts mehr ist selbstverständlich – auch nicht der Weg ins Badezimmer. Jedes Mal war folgendes Programm an der Reihe: Maske anziehen. Türe nur von Innen öffnen. Hände desinfizieren. Wasserflasche zum Auffüllen in die eine, Flächendesinfektionsmittel mit Tuch in die andere Hand. Es war wie ein kleiner Parcours.

«Ich sehe schon, wie Handcrème meine beste Freundin werden könnte. Alles, was ich ausserhalb meines Zimmers berührte, desinfizierte ich sofort. Es ist, als ob ich meine Spuren löschen wolle.»

In dieser Zeit kehrt Baumann Freund aus den Ferien zurück, er bleibt deshalb von der Quarantäne verschont. Am fünften Tag besucht er Baumann. Aber was heisst hier besuchen? Er steht vor dem Haus und sie vor dem Fenster.

«So ähnlich muss sich Rapunzel gefühlt haben. Nur war sie einige Stockwerke weiter oben wohnhaft als ich.»

Licht am Ende des Tunnels

Baumann versucht sich für jeden Tag in der Quarantäne eine To-do-Liste zu machen. So lässt sich das Vakuum der Einsamkeit leichter ertragen. Sie will die Zeit für das Planen von Ferien nützen und sich für ihr Studium weiterbilden. Trotz überflüssiger Zeit gelingt es ihr nicht immer, alles Vorgenommene zu erledigen. Mal mangelt es an Motivation, mal mindern die Brust- und Kopfschmerzen die Produktivität. Alles in allem leidet sie aber nur an leichten Coronasymptomen, welche langsam schwächer werden.

«Eine totale Kehrtwende von heute auf morgen. Von 0 auf 100 in einer Minute.»

Am neunten Tag der Quarantäne telefoniert Baumann erneut mit der Lungenliga. Da sie in den letzten Tagen keinerlei Symptome mehr aufweist, wird ihre Quarantäne nicht verlängert. In der Nacht von Freitag auf heute Samstag, um Punkt Mitternacht, endet ihre Quarantäne. Ein Isolationszeugnis für den Arbeitgeber gibt es als Andenken dazu.

«Bei dieser Gelegenheit ein Dankeschön an beste Freundinnen, welche dir einen gratis Zugang zu Netflix ermöglichen.»

*Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes haben wir den Namen geändert.

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