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Luzern

Diskriminierende Urnenentscheide abgeschafft – wie Emmen vom Saulus zum Paulus wurde

Vor 20 Jahren fällte das Bundesgericht das erste wegweisende Urteil über Einbürgerungsverfahren an der Urne. Für die Gemeinde Emmen endete die Episode in einer Erfolgsgeschichte – für die Betroffenen mit dem Schweizer Pass.
Karmela und Stevica Vukojevic in ihrem Garten an der Erlenhalde.
(Bild: Manuela Jans-Koch (Emmen, 26. Februar 2021))

Beatrice Vogel

48 von 56 Personen wurde das Schweizer Bürgerrecht verweigert, die meisten von ihnen stammen aus Ex-Jugoslawien. Die Stimmbürger von Emmen erteilten an der Urnenabstimmung lediglich acht Personen aus Italien die Staatsbürgerschaft. Dieser Volksentscheid vom 12. März 2000 schlug schweizweit hohe Wellen – medial und juristisch.

Einer, der damals an der Urne abblitzte, ist Stevica Vukojevic. Der heute 58-Jährige ist noch immer in Emmen wohnhaft. Der gebürtige Serbe kam vor dem Jugoslawienkrieg in die Schweiz, zuerst als Saisonnier für eine Gärtnerei. Später erhielt er eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung und arbeitete bei der von Moos Stahl AG im Walzwerk. Noch heute ist er bei der Swiss Steel angestellt. Die Firma habe ihn immer unterstützt, betont Vukojevic. Er und seine Frau Karmela sind seit über 20 Jahren im Gartenverein und pflegen eine kleine Fläche auf dem Gartenareal der Swiss Steel.

Stevica Vukojevics vierköpfige Familie – ihn, seine Frau und seine damals noch kleinen Söhne – wollte das Emmer Stimmvolk nicht einbürgern. «Ich war wütend», sagt er rückblickend. Schliesslich habe er von Anfang an gearbeitet und sei schon damals gut integriert gewesen.

«Ich wollte allen zeigen, dass wir keine Probleme bereiten. Aber natürlich kannte uns nicht die ganze Bevölkerung»

,weshalb wohl viele Stimmbürger nur aufgrund der Namen ihr Urteil fällten. «Am schmerzhaftesten war, dass meine Schwester in der Stadt Luzern problemlos eingebürgert wurde», erzählt Vukojevic weiter. «Luzern ist so nah und trotzdem war es, als würden wir in einem anderen Land leben.»

Für die Behörden war die Diskriminierung nicht offensichtlich

Aus heutiger Sicht scheint klar: Dass Stimmverhalten in Emmen war diskriminierend. Man gönnte den «Jugos» nicht das Privileg eines Schweizer Passes. Zwar wurden auch die Gesuche eines Ungarn, einer türkischen und einer polnisch-niederländischen Familie abgelehnt, allerdings relativ knapp – mit einem Ja-Anteil von 45 Prozent oder mehr. Von den balkanstämmigen Gesuchstellern erhielt nur eine Familie über 40 Prozent Zuspruch, die meisten anderen weit weniger. Trotzdem war für die Behörden die Diskriminierung nicht offensichtlich. Dies führte dazu, dass am 6. März 2001 – also vor genau 20 Jahren – das Bundesgericht ein erstes wegweisendes Urteil fällte. Dieses brachte den Stein ins Rollen, der zur Abschaffung des Einbürgerungsverfahrens an der Urne führte.

Das kam so: Die abgeblitzten Gesuchsteller wollten den Urnenentscheid anfechten. Doch der Gemeinde Emmen war damals kein Rechtsmittel gegen Stimmentscheide bekannt. Das Einbürgerungsverfahren war in Emmen erst 1999 nach einer Initiative der Schweizer Demokraten eingeführt worden. Einige Monate nach der umstrittenen Abstimmung liess der Luzerner Regierungsrat aber verlauten, dass eine Anfechtung doch mittels einer Gemeindebeschwerde möglich sei. Im vorliegenden Fall wollte er die Beschwerde von fünf Gesuchstellern jedoch nicht behandeln. Grund: Die Frist sei verstrichen. Die Gesuchsteller gelangten daraufhin ans Bundesgericht, worauf dieses das erwähnte erste Urteil fällte: Die Luzerner Regierung müsse die Gemeindebeschwerde behandeln.

Das klingt nun vielleicht nach keinem besonders schwerwiegenden
Urteil – doch die Folgen waren weitreichend. Denn ein Jahr später, im März 2002, wies der Regierungsrat die Beschwerde ab: Es gebe keinen zweifelsfreien Nachweis für eine Diskriminierung. Schliesslich seien neben den Gesuchstellern aus Ex-Jugoslawien auch einzelne Personen anderer Nationalitäten abgelehnt worden. Dies ermöglichte den Beschwerdeführern einen weiteren Gang vor Bundesgericht – das in seinem Urteil vom 9. Juli 2003 schliesslich die Einbürgerung an der Urne für unzulässig erklärte.

Gemeindepräsident stand unter Polizeischutz

«Es war eine schwierige Zeit», sagt heute der damalige Emmer Gemeindepräsident Peter Schnellmann (CVP). Er selbst sei von aufgebrachten Bürgern persönlich angegangen worden und habe kurze Zeit unter Polizeischutz gestanden, erzählt er am Telefon. Auf das Urteil von 2003 reagierten Gemeinderat und Einwohnerrat umgehend. Resultat: Die Emmer sagten am 27. Februar 2005 mit 68 Prozent klar Ja zur neuen Bürgerrechtskommission, die seither die Einbürgerungen vornimmt. «Das ist die beste Lösung, denn auch der Einwohnerrat und der Gemeinderat stünden unter Beschuss, wenn sie für Einbürgerungen zuständig wären. Eine Kommission ist neutraler», sagt Schnellmann.

Für Stevica Vukojevic und seine Familie – die nicht zu den Beschwerdeführern gehörten – war das Gerichtsurteil ein Segen: Kaum war die Bürgerrechtskommission installiert, liessen sie sich einbürgern. «Alles verlief problemlos», sagt er zufrieden. Und: «Ich bin nicht böse über das, was war.» Er sei glücklich. Hier in der Schweiz habe die Familie eine Lebensqualität, die in Serbien nicht möglich wäre. Einer seiner Söhne ist heute Qualitätsingenieur, der andere hat eine eigene Firma gegründet.

Abgelehnte haben Anrecht auf Begründung

Im abschliessenden Urteil von 2003 hielten die Bundesrichter fest, dass den Gesuchstellern rechtliches Gehör garantiert werden muss. Aus diesem Grundsatz leiteten sie die Pflicht der Behörde ab, ihre Verfügungen und Entscheide zu begründen. «Das Hauptproblem des Urnenverfahrens lag aber darin, dass mit einem Ja oder einem Nein keine Begründung für den positiven oder negativen Einbürgerungsentscheid vorlag», sagt Patrick Vogel rückblickend. Der Emmer Gemeindeschreiber ist seit 30 Jahren im Amt und kann sich noch gut an jene Episode erinnern.

«Die Stimmung in der Bevölkerung war sehr unterschiedlich. Im Einwohnerrat herrschte jedoch klare Einigkeit, dass das Verfahren geändert werden muss, um wieder ein rechtlich korrektes Einbürgerungsverfahren zu erhalten», so Vogel. Der Gemeinderat habe sich immer für die Zuständigkeit des Einwohnerrats oder einer Bürgerrechtskommission für die Einbürgerungsgesuche eingesetzt. Die Gemeinde Emmen habe schliesslich mit dem Verfahrenswechsel sehr gute Erfahrungen gemacht, sagt Vogel weiter. «Uns wurde vielerorts ein vorbildliches Verhalten in der Thematik Einbürgerungen von ausländischen Gesuchstellenden attestiert.» Denn – auch das muss festgehalten werden: Emmen war nicht die einzige Gemeinde, die das Urnenverfahren über Bord werfen musste.

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