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Luzern

Biobrüterei Lindenberg in Schongau: Zu Besuch im Reich von Magnus, dem Küken-Millionär

In der Biobrüterei Lindenberg AG in Schongau schlüpfen jährlich 1,5 Millionen Küken. Magnus Döbeli ist der technische Leiter des Hochleistungsbetriebs und hat vor zehn Jahren den Boom des Knospen-Eis vorausgeahnt.
Jeden Montag und jeden Donnerstag schlüpfen in der Biobrüterei Lindenberg AG in Schongau rund 15'000 Küken. (Bilder: Dominik Wunderli, 15. April 2019)
Magnus Döbeli, technischer Leiter der Biobrüterei, im Kühlraum.
Via Förderband gelangen die Küken in die Impfrondelle, wo sie vor der Auslieferung einen Piks in den Oberschenkel erhalten.
Küken werden für die Auslieferung vorbereitet.

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Mit dem Durchstechen der Schale startet der Countdown eines kurzen Lebens. 37,5 Grad warm ist es im Schlupfbrüter, der jeden Montag und Donnerstag rund 15'000 Mastküken hervorbringt. 200 Grad heiss wird der Grill sein, auf dem sie ab September brutzeln.

Biobrüterei Lindenberg AG, Guggibadstrasse 15, Schongau. Ein Hochleistungsbetrieb, gut 700 Meter über Meer, unweit des gleichnamigen Hügelzugs. Ein festangestellter Brutmeister, neun Geburtshelferinnen im Stundenlohn. Der Chef fährt im grossen Auto vor. Magnus Döbeli, Bauer und Geflügelzüchter aus Sarmenstorf, zweifacher Familienvater, Schwinger-Postur. Der Vorname eilt seiner Erscheinung voraus.

Der 50-Jährige führt die Animalco AG in Staufen, eine der grössten konventionellen Legehennen-Brütereien des Landes. Der Schongauer Betrieb ist eine Tochtergesellschaft, Döbeli der technische Leiter. Seit Januar werden hier Bio-Küken ausgebrütet, 1,5 Millionen jährlich. 250'000 Bibeli wachsen zu Legehennen heran, die restlichen werden zu Masthühnern. Dafür hat die Aktiengesellschaft in der 1000-Einwohner-Gemeinde an der Grenze zum Aargau letztes Jahr vier Millionen Franken investiert:

Im Schutzanzug gehts ab in die Wärme

Besucher der Biobrüterei müssen sich im Normalfall mit dem Blick durchs Fenster zufrieden geben. Für uns macht Döbeli eine Ausnahme, reicht Schuhüberzieher und Schutzanzug, bittet zum Händewaschen und Desinfizieren. Noch im Treppenhaus riecht es nach Neubau, in der 25 Grad warmen Brüterei dann steigt dezent der Geflügelgeruch in die Nase. Lüftungen surren. Gespräche gibts kaum, sie würden vom Gefiepe übertönt.

Döbeli führt zum Vorbrutraum, drei grosse Maschinen, 37,6 Grad im Innern. Auf jedem Rollwagen lagern bis zu 4230 Eier, im 90-Grad-Winkel, kippen stündlich von einer Seite auf die andere. Das Küken soll in Bewegung bleiben, mit dem Kopf nach oben wachsen, Richtung Luftblase. Am 18. Tag entscheidet sich sein Schicksal zum ersten Mal: Die Eier werden durchleuchtet. Neun von zehn sind befruchtet, kommen in den Schlupfbrüter.

Drei Tage später die nächste Selektion: Die männlichen Küken werden aussortiert. Entlarvt anhand der kotführenden Kloake, anhand des Gefieders. Die Mitarbeiterinnen schaffen 4000 Tiere pro Stunde. Magnus Döbeli beschäftigt gerne Frauen. «Sie sind tiffiger», sagt er. Gerne gibt er Wiedereinsteigerinnen ab 45 eine Chance. «Die wissen, was arbeiten heisst.»

Die ungewollten Bibeli landen in einer grünen Tonne, werden per Schlauch mit Kohlendioxid vergast. Muskellähmung, Atemnot, Tod. «Sie schlafen einfach ein», sagt Döbeli. Die toten Küken werden tiefgefroren und als Futter für Wildvögel, Katzen oder Schlangen verwertet. Eierschalen kommen in den Zertrümmerer, dienen später als Dünger:

Schredder-Diskussion kratzt am Image

Das Beseitigen der Tiere falschen Geschlechts ist ein Politikum. Noch immer landen männliche Bibeli auf gewissen Betrieben im Schredder. Einige überleben, teils mit abgeschnittenen Füssen. Der Nationalrat fordert ein Verbot und hat kürzlich eine Kommissionsmotion überwiesen. Das Geschäft ist beim Ständerat hängig (Artikel vom 21. März).

Beim Knospen-Label ist Schreddern tabu, also auch in der Biobrüterei Lindenberg. Döbeli hat sich über die Schlagzeilen der letzten Wochen geärgert. «Da kursiert viel Fehlinformation, man stempelt uns schnell mal als Tierquäler ab.» Künftig soll die Geschlechterbestimmung bereits im Ei möglich sein. Döbeli wartet schon lange darauf. «Vor zwei Jahren hiess es, man stehe kurz vor der Lancierung. Doch die Forschung wird mehr Zeit brauchen.» Eine Alternative wäre der Einsatz von Zweinutzungshühnern. Tiere, die sich sowohl für die Ei- wie auch die Fleischproduktion eignen. Sie fristen bislang allerdings ein Nischendasein. Tiefere Legeleistung, weniger Fleisch trotz längerer Mast.

Zurück in die Brüterei. Kiste um Kiste Flaumgewusel fertigen die Angestellten ab, seit 5 Uhr morgens. Jedes Küken wiegt gerade mal 35 bis 42 Gramm. Die Leichtgewichte wandern durch die Hände, purzeln scharenweise die Rampe runter. Dann und wann taucht auf dem Fliessband ein ganzes Ei auf. Befruchtung missglückt. Brutmeister Patrick Schmutz schlägt es auf, im Dotter schwimmt ein Embryo. Ab in die grüne Tonne. Hier landen nebst der Eierschale auch die Launen der Natur. Küken also, die mit schiefem Kopf zur Welt kommen, oder mit aufgerautem Hintern. Döbeli sagt:

«Sortieren wir die Missbildungen nicht aus, werden sie später von Artgenossen totgepickt, das ist brutal.»

Totaler Stromausfall wäre der Super-Gau

Mäster und Legehennen-Halter bestellen die Kükenlieferungen zwei Monate im Voraus. «Für Ostern wird an Weihnachten produziert, dann haben wir es besonders streng», sagt Döbeli. Weniger laufe dafür im August und November. Die Biobrüterei ist Döbelis Kind, geduldig erklärt er beim Rundgang jede Digitalanzeige der voll automatisierten Anlage. Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Zeit. Ein totaler Stromausfall wäre der Super-GAU. Doch mit den heutigen technischen Möglichkeiten lässt sich die Gefahr zugunsten des Tierwohls gering halten. Fällt der Strom aus, springt der Generator an, Döbeli wird per Handy alarmiert, ebenso der Maschinenhersteller in Holland. «Uns bleiben maximal 22 Minuten», sagt Döbeli. Ansonsten droht den Bibeli der Erstickungstod.

Vor dem Neustart in Schongau war die Brüterei Lindenberg AG zehn Jahre in Müswangen angesiedelt. Gut 20 Kilometer davon entfernt ist die einzige Mitstreiterin schweizweit zu Hause: die Bibro AG in Oberkirch. Auch sie rüstet derzeit auf, investiert sechs Millionen Franken, um im Herbst in Sempach eine Brüterei für zwei Millionen Küken in Betrieb zu nehmen. Döbeli nimmt’s mit der Konkurrenz gelassen. Er sagt:

«Für die Geflügelzüchter ist die Auswahl sehr positiv, auch mit Blick auf das Risiko einer Vogelgrippe.»

Die Lindenberg AG weist heute einen Marktanteil von 46 Prozent aus, die Bibro AG leicht mehr. Gestartet ist Döbeli seinerzeit mit einer halben Million Küken. «Ich habe immer an den Erfolg der Bio-Eier geglaubt», sagt er. Die Zahlen geben ihm recht: Im Biomarkt belegten Knospen-Eier letztes Jahr einen Anteil von 27,6 Prozent. 2009 waren es noch 17,2 Prozent. «Der Boom wird noch zwei, drei Jahre anhalten, dann flacht er ab», glaubt Magnus Döbeli.

Auf der Beliebtheitsrangliste bei Bioprodukten nehmen Eier hinter Gemüse, Früchten und Käse den vierten Platz ein. 974 Millionen Eier wurden 2018 hierzulande produziert, 169 Millionen trugen die Knospe. Im Detailhandel stammt inzwischen jedes fünfte Schweizer Ei von einem Biobetrieb. «Das Essen wird immer mehr zum Erlebnis», sagt Döbeli. «Der Konsument will sich mit einem Bio-Ei etwas Gutes gönnen.» 181 Stück verzehrt jeder Schweizer jährlich. Döbeli mag seine am liebsten als Spiegeleier, «beidseits gebraten».

In der Brüterei wächst ein Stapel leerer Küken-Kisten in die Höhe. Bibeli, die es bis zur letzten Station schaffen, erhalten eine Impfung in den Oberschenkel gegen die Mareksche Lähme, eine Viruserkrankung. Es pikst im Sekundentakt.

Danach werden sie ausgeliefert. Nach Schwarzenbach, nach Trubschachen. In Ställe, die für Bell oder Micarna produzieren. Transportdauer: maximal zwei Stunden. Später wird die Anlage gereinigt, Büroarbeit erledigt. Um 15 Uhr ist Feierabend. Am Dienstag liefern Bauern aus der Zentralschweiz neue Bruteier an, am Mittwoch wird kompensiert, am Donnerstag, 5 Uhr, startet der Küken-Kreislauf von vorn. Das Knacken der ersten Eierschalen kündigt es an.

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