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Luzern

Beschuldigter wehrt sich am Kantonsgericht gegen Vorwurf der Vergewaltigung und Körperverletzung

Ein Kurde ist vom Luzerner Kriminalgericht zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Bei der Berufungsverhandlung sieht er sich eher als Opfer denn als Täter.
Der Verhandlungsraum im Luzerner Kantonsgericht. (Bild: Nadia Schärli (11. Mai 2021))

Roger Rüegger

Die Berufungsverhandlung am Kantonsgericht ist am Mittwoch im zweiten Anlauf durchgeführt worden. Der Beschuldigte, ein 33-jähriger Kurde mit türkischer Staatsangehörigkeit, hatte an der ersten Verhandlung im November 2021 die Dolmetscherin nicht akzeptiert, weil sie eine Türkin sei. Er bezichtigte sie, seine Aussagen teilweise fehlerhaft übersetzt zu haben. Die Frau ihrerseits legte nach einem Unterbruch der Verhandlung den Richtern dar, dass sie unter den gegebenen Umständen nicht mehr in der Lage sei, weiterhin als Übersetzerin zur Verfügung zu stehen. So wurde die Verhandlung abgebrochen und auf den 12. Januar 2022 datiert.

Das Luzerner Kriminalgericht verurteilte den Beschuldigten am 16. Februar 2021 für Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung, Angriff sowie einfache Körperverletzung und Landfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und einem Monat. Es wurde zudem eine ambulante Behandlung wegen psychischer Störung ohne Aufschub des Strafvollzugs angeordnet. Weiter wurde der Mann für zehn Jahre des Landes verwiesen.

Bei illegaler Demonstration Teilnehmer angegriffen

Gegen das Urteil reichte der Beschuldigte Berufung ein. «Mein Mandant muss sich für zwei Sachverhalte verantworten, die zeitlich und sachlich weit auseinanderliegen», führte sein Verteidiger an der Berufungsverhandlung aus. Im September 2015 war der Mann laut Anklageschrift der Luzerner Staatsanwaltschaft in Bern an einer illegalen kurdischen Demonstration beteiligt, wo er einen türkischen Teilnehmer einer anderen Veranstaltung angriff und verletzte. Und im Oktober 2017 hat er laut Anklageschrift eine Frau in Luzern vergewaltigt.

Diese schilderte an der Berufungsverhandlung, wie der Beschuldigte sie aus ihrer Sicht am 7. Oktober 2017 in einem Luzerner Mehrfamilienhaus, in dem damals beide wohnten, vergewaltigt hatte und wie er es später im Treppenhaus erneut versuchte. «Er lockte mich mit Kokain in die Waschküche. Statt Drogen gab es aber Prügel», sagte sie und ergänzte, dass er auch Sex verlangt habe. Den habe er bekommen, jedoch nicht freiwillig. Sie habe dies der Polizei gemeldet, damit er nicht anderen Frauen Leid zufüge. Die Befragung wurde in einem Nebenraum durchgeführt und im Gerichtssaal per Stream übertragen.

Wer gab wem Kokain?

Eine ganz andere Version schilderte der Beschuldigte. In dieser Nacht habe er sich nicht gut gefühlt. Er habe sich mit einem Bier nach draussen begeben. Seine Nachbarin, die er an diesem Abend zum ersten Mal gesehen haben will, habe ihm Kokain und auch Sex angeboten. Die beiden begaben sich demnach in die Waschküche. Dort soll die Frau ein paar Linien Kokain auf seinem Telefon bereitgelegt haben, die er sich hochgezogen habe. Danach habe er bemerkt, dass er sein Telefon nicht mehr bei sich hatte. Er habe die Frau am Handgelenk gepackt und ihr in den BH gegriffen, wo sich sein Telefon, Bargeld und Kokain befunden hätten. Die Vergewaltigung bestreitet er. Seine sexuellen Gefühle habe er verloren. Er verwies auf die Luzerner Psychiatrie, welche dies bestätigen würde.

Der Tritt mit dem Fuss war eine ungewollte Reaktion

Zu den Vorfällen an der Kundgebung in Bern äusserte sich der Beschuldigte nicht. Er habe alles schriftlich eingereicht und möchte nicht darüber sprechen. Er gab aber zu, einen Teilnehmer einer bewilligten Kundgebung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten zweimal geschlagen zu haben. Es sei eine ungewollte Reaktion gewesen, er habe ihm nur zweimal leicht mit dem Fuss gegen den Bauch getreten. Sein Verteidiger schildert, dass der Türke, der im Verfahren Privatkläger ist, sein Auto auf eine Gruppe Kurden zusteuerte und sein Fahrzeug faktisch als Waffe benutzt habe. Der Vorwurf des Angriffs falle für seinen Mandanten aus der Betrachtung. Allenfalls handle es sich um Raufhandel.

Beim Vorwurf der Vergewaltigung zweifelte der Verteidiger stark an der Glaubwürdigkeit des «Opfers, wenn es denn wirklich eines ist». Seine Aufgabe sei aufzuzeigen, wo die Vorinstanz falschgelegen habe. Das Kriminalgericht habe im Urteil festgehalten, dass die Aussagen der Frau eine hohe Qualität aufweisen. Die ehemalige Nachbarin verfüge aber eben nicht über diese Fähigkeit. Er betonte mehrere Mal, dass es sich bei ihr um eine Drogensüchtige handle, die der Prostitution nachgehe. Sie habe bei den Befragungen selber gesagt, dass sie beim Stichwort Kokain wie ein kopfloses Huhn reagieren würde.

Bei der Befragung einen Tag nach dem Treffen in der Waschküche habe sie bei der Polizei kein Wort von einer Vergewaltigung erwähnt und auch vier Monate danach, bei der zweiten Befragung, habe sie dies nicht getan.

«Auf ihre Aussagen kann sich das Gericht nicht stützen. Diejenigen meines Mandanten sind sehr viel glaubwürdiger.»

Sein Mandant sei für Landfriedensbruch mit einer angemessenen Geldstrafe zu verurteilen und von allen weiteren Delikten freizusprechen.

Der Staatsanwalt erachtete die Aussagen der Frau als überzeugend. Der Beschuldigte hingegen habe bei jeder Befragung eine andere Geschichte erzählt.

«Er veränderte die Geschichten nach Bedarf und stellte sich mehr und mehr als das Opfer dar.»

Er beantragte die Bestätigung des Urteils des Kriminalgerichts.

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