Remo Infanger
Wer im Café Central in Altdorf einkehrt, dem fällt schnell das besondere Ambiente auf. Holzschuhe, Windmühlen und Tulpen zieren den Raum, die Farbe Orange dominiert - auf Servietten, an den Wänden, aber auch am aufgestickten Logo der Shirts des Personals. Verantwortlich für dieses spezielle Innenleben ist Yvonne Walker.
«Orange ist die Farbe der Niederlande und zeigt meine Wurzeln», sagt die gebürtige Holländerin, die heute in Schattdorf wohnt. Seit zehn Jahren führt sie das Café am Altdorfer Rathausplatz. Die 41-jährige Wirtin gehört für ihre Gäste zum «Central» wie das «Güätsli» zum Kaffee. Am Samstag organisiert sie einen gemütlichen Jubiläumsanlass. «Für alle», betont sie.
Über Inserat in Holland nach Wassen gekommen
Yvonne Walker ist in Veendam geboren, ganz im Norden der Niederlande. Als sie eines Tages in einer holländischen Zeitung rumblätterte, fiel ihr ein kleines Inserat auf. Das Hotel Alte Post in Wassen suchte auf diesem Weg eine Serviceangestellte. «Ich war damals 20 und sehnte mich ohnehin nach einem Auslandaufenthalt», erzählt sie. «Also habe ich mich beworben. Drei Tage später sass ich im Zug nach Wassen.»
Gekannt habe sie die Schweiz damals kaum. «Geschweige denn den kleinen Kanton Uri», sagt sie lachend. «Ich wollte einfach nur im Ausland Erfahrungen im Gastgewerbe sammeln.» An ihren ersten Arbeitstag in Wassen erinnert sich Walker noch ganz genau. «Nach dem Aufwachen habe ich vom Tod von Prinzessin Diana erfahren. Das hat mich damals sehr traurig gestimmt.» Für den eher harzigen Start in die neue Arbeitswelt habe aber nicht dieses Ereignis gesorgt. «Es war hauptsächlich die Sprachbarriere», erinnert sie sich. «Zwar habe ich in der Schule und 1996 beim Praktikum der höheren Hotelfachschule in Hamburg schon etwas Deutsch gelernt, doch mit dem ‹Schwizertitsch› kam ich anfänglich nicht klar. Am Anfang habe ich kaum ein Wort verstanden.»
Urner ticken ähnlich wie die Holländer
Bis auf die Sprache sei der Kulturschock aber ausgeblieben. «Die Urner ticken ähnlich wie die Holländer», glaubt sie. Dass aus der Reise in die Schweiz mehr als bloss ein Kurzaufenthalt wurde, lag an ihrem späteren Ehemann, dem Lastwagenfahrer Albert «Dudi» Walker, den sie als Serviceangestellte kennenlernte. «Ich bin am schönsten Wassner hängen geblieben», schwärmt sie. Es folgten zwei Sommer im Hotel Tourist in Flüelen und ein Jahr in Buochs. 2003 kam sie ins «Central» in Altdorf, wo sie zunächst servierte. «Ich bin auf der Suche nach einem Tagesjob gewesen. Gekannt habe ich das ‹Central› damals noch nicht. Ich habe mich auf gut Glück beworben.» Bereits fünf Jahre später durfte die damalige Teamleiterin dann das Café als Pächterin übernehmen. «Als mich die frühere Besitzerin Esther Schmid-Renner gefragt hat, ob ich das Café führen möchte, bin ich aus allen Wolken gefallen. Das war für mich eine grosse Ehre.»
Walker schätzt die Arbeit im Team sowie den engen Kontakt mit ihren Gästen. «Lass uns zur Holländerin gehen» heisse es oft. Diese Aussage stört sie aber nicht – im Gegenteil. «Ich bin und bleibe Holländerin, fühle mich aber auch in Uri zuhause», betont sie. «Für mich ist Uri genauso Heimat wie Holland.» Auf die Frage, was sie denn als Holländerin im Urnerland am meisten vermisse, muss sie nicht lange überlegen: «Definitiv die Lakritze. In Holland gibt es ganze Abteile dafür. Hier scheinen die wenigsten Leute ‹Bärädräck› zu mögen.» Und was fehlt ihr als «Urnerin» bei einem Aufenthalt in den Niederlanden? «Ich mag das Wort ‹Grüezi› total. Wenn ich durch die Strassen meiner alten Heimat laufe, muss ich mich stets daran erinnern, dass man ein ‹Grüezi› dort nicht versteht und darum in der Regel keine Antwort folgt.»
Verliebt hat sie sich auch in die Urner Bergwelt: «Wenn ich morgens mit der Arbeit anfange und die aufgehende Sonne den Gitschen rot zum Leuchten bringt, ist das für mich wie Ferien.» Eine Bergsportlerin sei sie dennoch nicht. «Weil ich Höhenangst habe, bleibe ich lieber im Talboden und geniesse die Bergpracht von unten.» Höhendifferenzen seien allgemein nicht die liebsten Freunde der Holländer. «In meiner Heimat ist alles flach, Steigungen kennen wir kaum. Darum fahre ich auch täglich mit dem Bus zur Arbeit. Schattdorf–Altdorf und zurück ist mir mit dem Velo bereits zu anstrengend», gesteht sie – und lacht herzhaft.
Ein Kaffee Crème kostet noch immer gleich viel
In den vergangenen zehn Jahren habe sich im Café Central eigentlich nicht sehr viel verändert. «Für ein Kaffee Crème zahlt man noch immer gleich viel», sagt die Wirtin. «Und auch die Leute, die an Sitzungen im Rathaus teilnehmen, beliefern wir als Nachbarn nach wie vor gerne mit Kaffee und Gipfeli.»
Manch einer mag sich bestimmt schon gewundert haben, weshalb das Café Central eigentlich morgens um 5.58 Uhr öffnet. Damit will die Inhaberin ihr Lokal nicht etwa 2 Minuten vor allen andern öffnen, um die Frühaufsteher ins «Central» zu locken. «Das ist ganz spontan entstanden. Die Beschrifterin der Werbetafel fragte, ob ich einen speziellen Wunsch hätte – und schlug mir die ungewöhnliche Öffnungszeit vor», erinnert sich Yvonne Walker-Ubels. «Seither fange ich eben zwei Minuten früher an zu arbeiten.»
Hinweis: In der Serie «(Ein)heimisch» porträtiert die «Urner Zeitung» in loser Folge Personen ausländischer Herkunft, die aus unterschiedlichsten Gründen in den Kanton Uri gekommen sind und hier – meistens ungeplant – eine neue Heimat fernab ihres Geburtslandes gefunden haben.