Natalie Ehrenzweig
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Am 20. September verliess das Forschungsschiff Polarstern die norwegische Stadt Tromsø zur MOSAiC-Expedition. MOSAiC steht für Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate (Multidiziplinäres Driftobservatorium zur Untersuchung des Arktisklimas). Während einem Jahr werden rund 300 Forscherinnen und Forscher das arktische Klima neu auch im Winter erforschen.
Ab Ende November ist auch der Krienser Martin Schneebeli mit an Bord:
Er wird für die Schneemessungen verantwortlich sein. Der 61-jährige Krienser ist Leiter der Forschungseinheit Schnee und Permafrost des Lawinenforschungsinstituts (SLF) in Davos. «Schon als Kind hat mich Schnee fasziniert. Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich schon sehr früh Schneehöhlen gebaut habe. Und seit ich 16 bin, mache ich Skitouren», erzählt er. Doch erst hat sich der Umweltingenieur mit Hochmooren beschäftigt, bevor er anfing, sich mit der Schneephysik zu beschäftigen.
Wie sehr ihn der Schnee fasziniert, wird deutlich, wenn er erklärt, was er genau am SLF macht: «Schnee ist etwas zwischen Boden und Stein. Es ist ein Hochtemperaturmaterial. Das heisst, bei keinem Material ist der Unterschied zwischen Zustandstemperatur und Schmelztemperatur so klein», erläutert er begeistert. Der Schnee bestehe aus Wassermolekülen, die leicht verdunsten. «Wenn ein Kristall kälter ist als das andere, verdampft das und der Dampf heftet sich an das kältere Kristall», erklärt der Ingenieur. Diese Prozesse zu verstehen, darum geht es bei der Forschung von Martin Schneebeli. Im SLF findet das vor allem im Computertomografen im Labor statt. Im arktischen Winter hat er ebenfalls einen Computertomografen dabei, dort analysiert er aber ganz besonderen Schnee:
Das Verständnis dieser Prozesse sei wichtig, weil sie in ein grosses System gehören. Ozean, Atmosphäre und der Schnee sind voneinander abhängig. Deshalb wollen die Forscher mit den heute viel präziseren Messgeräten überprüfen, ob die bisherigen Annahmen stimmen. «Die Voraussagen für die Arktis gehen von einer Temperaturzunahme zwischen vier und zwölf Grad bis ins Jahr 2100 aus. Das wollen wir genauer hinbekommen. Denn ob man eine Stadt wie Rotterdam in 100 oder 200 Jahren eventuell umsiedeln muss, macht einen enormen Unterschied», betont er.
«Das Projekt hat vor zehn Jahren begonnen, ich stiess vor drei Jahren dazu. Während zwei Monaten werde ich an Bord meine Forschung durchführen. In dieser Zeit hatten wir viele vorbereitende Trainings. Zum Beispiel Rettungs- oder Eisbärtrainings», sagt Martin Schneebeli.
Doch Martin Schneebeli war schon mehrere Male auf Expeditionen in der Arktis und Antarktis. Die Verhältnisse an Bord – wenig Privatsphäre in der Doppelkabine, wenig Freizeit – machen ihm keine Sorgen.
«Das Leben ist sehr geregelt. Am Morgen sind wir zwei, am Nachmittag vier Stunden im Feld, also bis maximal -30 Grad draussen.
Im Moment dürfen wir bei tieferen Temperaturen nicht draussen arbeiten. Die Essenszeiten sind vorgeschrieben», erzählt er. Für die Freizeit gibt es an Bord eine Sauna, ein Gym, einen Pool und auch Möglichkeiten, sich draussen die Zeit zu vertreiben.
Von daheim nimmt er das Buch «Thinking fast and slow» von Kahnemann und ein Schneeflocken-Mobile aus Papier für die Kajüte mit. Zwischenmenschlich seien zwei Monate gut zu überbrücken, auch wenn die Teilnehmer so unterschiedlich seien: «Auf der Antarktis-Expedition, als wir in einer sehr kleinen Forschungsstation waren, war es viel enger». Die grössten Gefahren seien Feuer, aufbrechendes Eis, Verletzungen und Eisbären.
Instrumente, die nicht funktionieren, müssten die Forscher gut kennen und selbst reparieren können. Martin Schneebelis Kinder sind schon erwachsen, seine Frau findet die Expedition spannend, auch wenn sie ihren Mann wohl lieber in der Nähe hätte. «Obwohl wir uns wie damals im Polarmeer einfrieren lassen, sind wir ja nicht ohne Verbindung zur Aussenwelt. Es gibt – zwar limitiert, aber trotzdem - Satellitentelefone und Email», sagt Martin Schneebeli schmunzelnd.
Für seine Arbeit an Bord erwartet Martin Schneebeli einige Überraschungen, denn er geht davon aus, dass alte Messungen ziemlich falsch sein oder unvollständig sein könnten. «Um die Forschung an Bord zu koordinieren und Doppelspurigkeiten zu verhindern, wurde die Arbeitsteilung in Workshops vorbereitet», erklärt er. Und da MOSAiC ein internationales, multidimensionales Forschungsprojekt ist, müssen alle Teilnehmenden ihre Daten sofort allen anderen zugänglich machen. «Forschung ist immer eine Teamleistung», betont der Krienser.
Inwiefern die neuen Forschungsresultate Einfluss auf die aktuelle Klimadebatte und die daraus folgenden Massnahmen haben, vermag Martin Schneebeli nicht zu sagen. «Viele Menschen verstehen die komplexen Prozesse und Resultate der Klimaforschung nicht. Und der Mensch musste noch nie in so langen Zeiträumen denken und planen. Ausserdem soll die Forschung nüchtern und faktenbasiert sein. Deshalb vermag Greta Thunberg auch viel mehr zu mobilisieren, denn sie kann die Emotionen in die Klimadiskussion bringen», ist der Schnee-Experte überzeugt. Ob er selbst zuversichtlich oder pessimistisch in die Zukunft schaut? «Das ist eine schwierige Frage», sagt er und überlegt lange, «mal so, mal so». Auf die nahe Zukunft freut er sich allerdings, denn am 27. November verlässt er Tromsö zum Forschungsschiff Polarstern.