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Gastkolumne

Klimaziele versus Umweltschutz – was Hochschulen aktuell leisten können

Wenn die Politik in Bern wie jüngst bei der Energiekrise trotz Zielkonflikten aufs Gaspedal drückt, wären überfachliche Abwägungen wichtig. Hier läge das Potenzial der Hochschulen.

Klimaziele und Umweltschutz – zwei berechtigte Anliegen standen sich in dieser Session im Bundesparlament gegenüber, und die Schweiz reibt sich noch immer die Augen ob der Geschwindigkeit der Entscheidung. Und dann kam die dritte Macht im Staate hinzu und brachte einen weiteren Wert ins Spiel: Verfassungsmässigkeit. Es soll hier nicht darum gehen, in dieser Auseinandersetzung Partei zu ergreifen, sondern vielmehr um die Frage, welchen Beitrag Hochschulen zu einer Lösungsfindung in der Abwägung unterschiedlicher Interessen bringen könnten.

Die Hochschule Luzern am Standort Horw.
Bild: Bild: Jakob Ineichen (9. September 2022)

Fachliche Argumente als Teil der Debatte

In der medialen Realität werden Spezialistinnen und Spezialisten unserer Hochschulen von Journalistinnen und Journalisten im Normalfall für Auskünfte zu ganz bestimmten Themen zurate gezogen. Sie geben dann meist differenzierte Statements ab, weil sie es gewohnt sind, ihre Position mit rein fachlichen Argumenten zu begründen. Dabei ist ihnen bewusst, dass neben den Argumenten ihres eigenen Fachs noch eine Vielzahl anderer Aspekte beleuchtet werden muss. Nur so können die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einer tragfähigen Umsetzung gebracht werden. Und genau hier läge das Potenzial unserer Hochschulen.

Viele Haltungen als Grundlage für tragfähige Lösungen

An Universitäten und Fachhochschulen ist die Lehre, also die Vermittlung von Wissen, in der Aus- und Weiterbildung gegebenerweise die Kernkompetenz. Aber sie vermitteln nicht nur Wissen, sondern in der Forschung generieren sie es auch. Darüber hinaus haben die Hochschulen eine bedeutende spezifische Qualität: Sie vereinigen eine Vielzahl von Fachkompetenzen unter einem Dach, die manchmal für sich, oft aber auch zusammen Probleme angehen. Das bedeutet: Es treffen Anforderungen, Fragestellungen und Herangehensweisen unterschiedlicher Fachbereiche aufeinander. Und gerade bei Fachhochschulen, die ihrer Natur nach praxisorientiert forschen, kommen dazu noch konkrete Erwartungen und Forderungen aus der Industrie. Auf dieser Grundlage gilt es dann, überfachliche Abwägung vorzunehmen – ideale Voraussetzung also, um zu den virulenten Problemstellungen der Zeit Stellung zu beziehen.

Komplexität aushalten

Hochschulen könnten damit eine wertvolle Gegenposition zum meist ideologischen Palaver der politischen Öffentlichkeit anbieten, gerade in Anbetracht der aktuellen Probleme, die auch mit dringlichen Beschlüssen nicht so schnell aus der Welt geschafft sein werden. Denn da verbrüdern sich erstaunlich oft links und rechts, ökologisch und neoliberal im Interesse von Einzelaspekten. Was fehlt, ist dann jemand, der in der Materie mit all ihrer Komplexität das Gesamte zu vermitteln versucht.

Die aktuellen Problemstellungen Ressourcenschonung und Ressourcensicherstellung sind gerade so gigantisch, dass eine differenzierte Argumentation weder politisch noch in der journalistischen Berichterstattung Platz finden kann, mindestens nicht in den grossen medialen Gefässen. So bleiben gerade auch die Bemühungen von Fachverbänden – ein anderes Gefäss, das zu einer nicht ideologisch-polemischen Abwägung beitragen kann – in der Breite kaum sichtbar.

Eine Position gewinnt ihren Wert in der Auseinandersetzung

Ja, auch ich bin öfter mal frustriert, dass die Dinge nicht schneller umgesetzt werden können. Aber als Mitglied in einer Institution, in der die Interdisziplinarität gelebt wird, habe ich gelernt, dass es zwar unabdingbar ist, eine eigene Position zu haben – und zwar als Voraussetzung dafür, um mit anderen Expertinnen und anderen Positionen einen offenen Diskurs führen zu können. Dazu gehört die banale Erkenntnis, dass die Dinge immer durchaus komplizierter sind, als wir annehmen. Und ja, meiner Meinung nach könnten die Hochschulen gerade jetzt auch einen sachlichen, gewichtigen und vor allem schnellen Beitrag dazu liefern, in unserer Gesellschaft Entscheide zu treffen, die fachübergreifend fundiert sind und über die politischen Instanzen hinaus von der gesamten Zivilgesellschaft getragen werden können, allenfalls gar ohne unsere Verfassung «ritzen» zu müssen.

Dieter Geissbühler ist Co-Leiter CAS Baukultur an der Hochschule Luzern.

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