Marion Wannemacher
Halb zwei im Schulhaus Kniri. Aus keiner der Klassen hört man einen Mucks. Was ist hier los? Rund 150 Schüler im St.-Klara-Rain lesen gebannt, deren Lehrer und sogar die Mitarbeiter vom Hausdienst. So oder so ähnlich soll sich ein Teil des Schulalltags abspielen, und zwar ab kommendem Montag. «Leseschlau – das Kniri liest» heisst das Projekt. In diesen Tagen flattern den Eltern dazu Informationen per Brief ins Haus. Denn sogar die Familien daheim sind gefragt.
Das Ziel: Innerhalb eines Monats sollen alle Schüler, Lehrer und sogar die Geschwister, Eltern und Grosseltern der Kindergärtler bis Mittelschüler zusammen möglichst viele Bücher lesen. Initiantin und Schulhausleiterin Ines Graber stellt die Aktion in einem Film für alle Beteiligten dar. «Lesen macht schlau», wirbt die 53-Jährige darin. «Auch wenn du einmal viel am Computer arbeiten wirst, Lesen ist immer ein Vorteil.»
Idee fürs Projekt fanden alle Lehrer toll
Ihr Vorschlag, ein Projekt zum Thema Lesen zu lancieren, war im Team bei der Planung dieses Schuljahres sofort auf offene Ohren gestossen. Für Ines Graber hat das Thema Lesen viel mit Chancengerechtigkeit aller Kinder zu tun. Wer liest, hat in der Schule mehr Erfolg. «Ich habe von Forschungserkenntnissen aus 27 Ländern vernommen, dass der Schulerfolg mit der Länge des Bücherregals zu Hause wachse. Kinder aus Elternhäusern mit mehr als zehn Metern Bücher absolvierten eher das Gymnasium als andere.» Ihr gehe es aber nicht darum, dass Schüler ins Gymnasium gehen, sondern um die Erhöhung der Lesekompetenz von allen. «Man weiss, dass Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, wo gelesen wird, selber viel mehr lesen», hält sie fest.
Sie als Schulleiterin wisse aus Erfahrung, dass bereits im Kindergarten das Interesse an Büchern gross sei. «Im freien Spiel ziehen sich Kinder gern in den ‹Büchereggen› zurück und schauen sich Bilderbücher an.» Häufig werde ab der zweiten oder dritten Klasse sogar noch viel gelesen. «Bei vielen Buben flacht die Begeisterung irgendwann aber eher ab, sie interessieren sich dann vielleicht eher für Sport oder digitale Medien.» Leseratten seien also eher die Mädchen.
Und wie soll das Projekt die Schüler motivieren? Für jedes gelesene Buch gibt es einen Stempel. Sobald eine Hunderter-Karte voll ist, wird diese im Treppenhaus des Schulzentrums Kniri aufgehängt. Jede und jeder «liest» auf dem eigenen Niveau: Während die Kindergärtler in der Schule oder daheim ein Buch vorgelesen bekommen, lesen alle Schüler, die das schon können, selber. Als Nachweis dienen Fotos der Bilderbuch-Titel sowie beantwortete Fragen aus dem Leseprogramm Antolin, das in der Schule bereits seit vielen Jahren in den Bibliotheken eingesetzt wird.
Vom Krimi bis zum Comic: Als Lesestoff kommt alles in Frage
Die Begeisterung fürs Lesen beginnt also bereits im Elternhaus. Deshalb ist es Ines Graber auch wichtig, dass die Familien die Aktion unterstützen. Ihr Tipp an die Eltern lautet darum auch, selber dem Kind als lesendes Vorbild zu begegnen. Die Eltern, Grosseltern und Geschwister können per Bild vom Smartphone oder E-Mail das von ihnen gelesene Buch registrieren lassen. Ob Comic oder Roman, Kinderbuch oder Krimi: Der Auswahl sind nahezu keine Grenzen gesetzt. Die Viertelstunde im Schulalltag, die fürs Lesen vorgesehen ist, soll den Kindern aber nur einen Anreiz bieten, auch daheim sich weiter mit Büchern zu beschäftigen.
Ende März wird dann zusammengezählt. Die stille Hoffnung der Schulleiterin ist es, möglicherweise die Zweitausender- oder gar Dreitausender-Marke der gelesenen Bücher zu erreichen. Eigentlich geht es Ines Graber aber um Folgendes: «Unsere Heilpädagogen haben im Januar mit einem Test festgehalten, wo die Kinder beim Lesen stehen. Dieser soll nach Ostern wiederholt werden. Es wäre toll, wenn die Schülerinnen und Schüler feststellen, dass sie besser lesen und mit viel mehr Freude dabei sind.»
Das Redaktionsteam aus Schülern im Schulhaus Kniri befasst sich ebenfalls mit der Freude am Lesen. «Lesen macht Spass, wenn es spannend ist», haben Redaktoren auf Sprechblasen notiert oder «Du kannst in eine Fantasiewelt abtauchen». Selbst eine Philosophin war unter ihnen. Sie hat getextet:
«Die Menschheit wäre ziemlich verloren ohne Lesen.»