Hugo Bischof
Die 29-jährige Luzernerin Nicole Aeschlimann war 4-jährig, als die Kapellbrücke abbrannte. «Ich erinnere mich, wie ich mit meinen Eltern tags darauf die verbrannte Brücke anschauen ging. Mir war nicht bewusst, was passiert war. Mich beeindruckten aber die vielen Leute, die da standen und die Brandruine betrachteten.» 25 Jahre später nun hat Aeschlimann an der Universität Luzern ihre Masterarbeit abgeschlossen. Titel: «Der Bilderstreit als Folge des Kapellbrückenbrandes im Kontext der Geschichte Luzerns». Am Freitag erhielt sie ihr Diplom, zusammen mit zahlreichen weiteren Absolventen.
«Ich habe mich schon früh mit Gedächtnis-Theorien befasst.»
Nicole Aeschlimann, Absolventin Uni Luzern
«Ich habe mich schon früh mit Gedächtnis-Theorien befasst», sagt sie: «Was will man erinnern? Was behalten? Was vergessen?» Den Denkanstoss für ihre Arbeit gab ein Zeitungsartikel des früheren städtischen Denkmalpflegers Ueli Habegger: «Er erklärte darin, weshalb er nun Kopien auf der Kapellbrücke als Ersatz für die verbrannten Originalbilder guthiess.»
Kapellbrücke als «garstiges Möbel»
Was will man auf der Brücke zeigen? Kopien, Originale? Einen Mix aus beiden? Soll man Lücken lassen? Soll gar ein neuer, zeitgenössischer Bilderzyklus entstehen? «Die Arbeit hat mir Spass gemacht», sagt Nicole Aeschlimann: «Es ging mir nicht darum, eine Lösung zu präsentieren.» Klar geworden sei ihr, «dass die Bilder schon jetzt aus dem Kontext herausgerissen sind – die Leute verstehen sie nicht mehr.» Sie hätte gerne weiter gearbeitet, doch sie hatte für ihre 64-seitige Masterarbeit nur ein halbes Jahr Zeit: «Ich bin nicht fertig geworden, ich musste fertig machen.»
Sie benutzte viele Quellen: Zeitungsartikel, wissenschaftliche Texte, Archivmaterial. Man erfährt Spannendes. Etwa, dass man die Kapellbrücke Ende des 19. Jahrhunderts geringschätzig als «schwarzen Holzkasten» oder «garstiges Möbel» bezeichnete. Bei den Untersuchungen nach dem Brand 1993 fanden sich Farbspuren, die darauf hindeuteten, dass die Brücke im 17. Jahrhundert steingrau bemalt war: «Das naturbelassene Holz galt in der Barockzeit als bäuerlich und wurde deshalb übermalt.»
«Schon die einfachsten Dinge sind heute nachschlagbar.»
Von den vielen Sanierungen, Ersatzarbeiten im Lauf der Jahrhunderte ist die Rede und davon, dass spätestens nach der Renovation von 1953 mit komplettem Ab- und Wiederaufbau «nicht mehr von einer 600 Jahre alten Brücke die Rede sein kann». Dass die Themen auf den Bildern heute nicht mehr erkannt würden, «könnte möglicherweise auch an der Ausdehnung des künstlichen Gedächtnisses liegen», schreibt sie: «Der Mensch muss stets weniger erinnern können. Schon die einfachsten Dinge sind heute nachschlagbar.»
Nicole Aeschlimann, die mit ihrem Ehemann in Luzern wohnt, absolviert jetzt ein Praktikum in Öffentlichkeitsarbeit an der Uni Luzern. Sie sieht Social Media, Twitter, Facebook als Nachschlagewerk für Erinnerungen. In diesem Bereich möchte sie sich auch beruflich weiterentwickeln.