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Kolumne «Schnee von gestern»

Kaiserschmarrn – oder anderes – neu interpretiert

Es geht in dieser Kolumne zwar um das Mödeli, wonach es in den Medien von Rezepten neu interpretierter Kochklassiker wimmelt. Aber: im Fokus steht ein typisches Herbstgemüse. Doch lesen Sie selber.

Zu den untrüglichen Boten des Herbstes gehören die sich verfärbenden Bäume, oft störrisch sich haltende Morgennebel oder die absolut zu verfluchenden Laubbläser. Und natürlich der Kürbis, der sich nun wieder in allen Formen, Farben und Grössen dick tut und so schnell nicht weichen wird. Bis weit in den Winter hinein liegen jetzt allerorten Kürbissuppen auf der Lauer, und jederzeit ist mit ihnen zu rechnen.

Der Kürbis ist der etwas missratene Bruder der Melone, wobei es ja auch unter diesen so manche gibt, die nicht so ist, wie sie sein sollte. Ich verschmähe den Kürbis nicht grundsätzlich. Kürbissuppen können köstlich sein, und gerade vorgestern gab’s beim Nachbarn einen exzellenten Kürbisrisotto. Trotzdem ist mir der Kürbis zum Anschauen häufig fast lieber als zum Essen. Aufgrund erlittener Schnittwunden und eines Blutergusses am Oberschenkel würde ich es auch nicht mehr wagen, selber in der Küche mit Kürbissen zu hantieren. Sie können wie dieser Hokkaido pickelhart sein und müssen teils länger gekocht werden. Deshalb ist schon wegen des uns jetzt auferlegten Energiesparens mit Kürbisspeisen ein wenig Zurückhaltung angebracht.

Voilà... könnte eine Kürbissuppe sein.
Bild: Bild: Daniel Frischherz

Der Kürbis ist geschmacklich ja oft eher ein fader Socken. Erst durch weitere Zutaten wird er wirklich bekömmlich. Das macht ihn sehr anfällig für Rezepte, die mit dem Attribut «neu interpretiert» angepriesen werden. «Kürbissuppe neu interpretiert». «Kürbiskuchen neu interpretiert». Manchmal besteht diese Neuinterpretation lediglich in der Wahl eines anderen Gewürzes. Diesbezüglich ein Spezialist ist der israelisch-britische Kochbuchautor Ottolenghi, dessen Name mir in den letzten Jahren immer wieder begegnet, wobei ich lange geglaubt habe, Otto sei der Vorname. Ottolenghi heisst aber Yotam, und er ist bekannt dafür, dass man seinen Gerichten eine Messerspitze bzw. ein Jota von irgend einer exotischen und nur schwer erhältlichen Zutat beigeben muss. Hat man diese unter erheblichen Anstrengungen ergattern können, braucht man sie dieses eine Mal und lässt dann das Döschen oder Säckchen im Regal vor sich hin gammeln.

Allein aus diesem Grund bin ich tendenziell kein Freund «neu interpretierter» Speisen. Wahrscheinlich bin ich ein Banause, denn «neu interpretiert» wird, was das Zeug hält. Allein in diesem Jahr habe ich unter anderem «neu interpretierte» Rezepte gefunden für Wurzelgemüse, Kürbis und Fenchel («Migros-Magazin»), Berner Platte («Handelszeitung»), italienische Klassiker («20minuten»), Zimt-Schnecken («Kleine Zeitung»), Polenta («Schweizer Bauer») Döner Kebab («Tages-Anzeiger»), Luzerner Chügelipastete («Zentralplus»), Kohlroulade mit Pilzrahmsauce (MDR), Quesadillas («Schweizer Illustrierte») oder Cronuts, Chuffles und Cooffins (NZZ). Von den letzten Beispielen weiss ich leider nicht mal, wie die noch nicht neu interpretierte Form schmeckt.

Am besten gefallen hat mir aber die auf der Online-Plattform «nau.ch» aufgetauchte Schlagzeile «Kaiserschmarrn neu interpretiert». Ich habe sie deshalb als Titel für diese Kolumne gewählt, auch ein wenig aus der Befürchtung heraus, dass «Kürbissuppe neu interpretiert» bei Ihnen das grosse Gähnen ausgelöst und zum Weiterblättern animiert hätte. Diese «neu interpretierten» Kürbissuppen kennt man doch jetzt schon lange, und es ist dann trotzdem immer ungefähr dieselbe Brühe.

So, ich wurde soeben zum Mittagessen gerufen. Am Freitag gibt’s meist Käse-Zwiebel-Wähe. Ein Klassiker, an dem nichts auszusetzen ist.

Nachtrag: Es gab nicht Wähe, sondern eine Hüttenkäse-Gemüserösti. Rezept von Swissmilk, meines Wissens nicht «neu interpretiert» und vielleicht deshalb wirklich gut. Mit Kürbisspänen drin übrigens.

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