Raphael Biermayr
Das Wort «angefressen» hat auf Hochdeutsch und auf Schweizerdeutsch zwei völlig verschiedene Bedeutungen. Auf Jürg Meile trifft allein die Schweizerdeutsche zu. Der 56-Jährige ist in bestem Sinne ein Enthusiast. Seit dem Jahr 1983 ist Meile Trainer im LK Zug. Am kommenden Samstag wird er am Bettagsmeeting auf der Anlage in der Hertiallmend anzutreffen sein (Programm siehe Box).
Dass er schon als junger Mann mit der Trainertätigkeit begann, ist das Ergebnis eines Schicksalsschlags: Der talentierte Zehnkämpfer aus Cham wurde von einem Auto erfasst – an eine Fortsetzung der Leichtathletiklaufbahn war nicht zu denken. Stattdessen investierte Meile, der an der ETH Sport studierte, seine Energie in andere Athleten.
Eine Olympionikin betreut
Während der langen Zeit auf der Leichtathletikanlage hat er zwei der erfolgreichsten Zuger Leichtathleten betreut: die Siebenkämpferin Patricia Nadler, 23. der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta. Und natürlich Tobias Furer, mehrfacher Schweizer Meister und Europameisterschaftsteilnehmer über 110 Meter Hürden. Während Nadlers Vorbereitung auf die Olympischen Spiele habe Meile sein Arbeitspensum als Sportlehrer im Zuger Schulhaus Loreto unter Inkaufnahme der Lohneinbusse auf 60 Prozent reduziert. Und das, obwohl Meile nicht als Trainer an die Olympischen Spiele reisen durfte, weil er nicht beim Schweizer Verband angestellt war. Ein Angefressener eben.
Jürg Meile hat in seiner langen Zeit als Athlet und Trainer einige Wellenbewegungen in der Schweizer Leichtathletik miterlebt. Als er im LKZ begann, spielte der Verein im Kanton die zweite Geige hinter der Hochwacht. «Es gab kaum Nachwuchs damals, die Situation war wirklich trist», erinnert er sich. Er half mit, bessere Strukturen aufzubauen, um attraktiver für Kinder und Jugendliche zu werden.
Gegenwärtig erlebt die Leichtathletik schweizweit einen Boom, was die Mitgliederzahlen in den Vereinen anbelangt. Auch der LKZ führe eine Warteliste für die Aufnahme von Kindern, sagt Meile. Allerdings gebe es im Kanton eine grosse Schwachstelle: die Trainer. «In den ersten Jahren ist die Betreuung gut. Aber wenn ein 14-, 15-jähriger Jugendlicher nicht mehr ständig von einem qualifizierten Trainer angetrieben und unterstützt wird, wird er den Verein wechseln oder aufhören», weiss Meile. Deshalb müsse man den aktuellen Athleten früh die Trainerausbildung schmackhaft machen, damit sie später ihre Erfahrung weitergeben könnten. Das wurde verpasst – auch als Meile Technischer Leiter im Leichtathletikklub Zug war, wie er selbstkritisch anmerkt.
Am Engagement des Trainers Jürg Meile jedenfalls soll es nicht scheitern. Er wird weiterhin auf der Anlage in der Hertiallmend anzutreffen sein. Nicht mehr täglich wie früher, aber so oft wie möglich. Unter anderen trainiert er manchmal mit der Stabhochspringerin und Hürdenläuferin Ronja Wengi, ein Talent, dessen Name in Zukunft in der Schweizer Leichtathletik ein Begriff werden könnte.