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Luzern

Internetkriminalität: Auch Zürich löst nicht mehr Fälle – trotz eigenem Kompetenzzentrum

Zwei Drittel aller Cyber-Crime-Fälle musste die Luzerner Staatsanwaltschaft sistieren. Im Vorzeigekanton Zürich ist die Quote nicht besser. Fachleute sind überzeugt: Es braucht mehr Spezialisten.
Blick in einen Serverraum in Zürich: Auch in Luzern wollen die Behörden aufrüsten. (Bild: Gaetan Bally/Keystone)
Stephan Walder, Co-Leiter des Kompetenzzentrums Cyber-Crime des Kantons Zürich. (Bild: Nick Soland/Keystone)

Alexander von Däniken

Alexander von Däniken

Online-Banking, Internet-Telefonie, Webshops: Die Digitalisierung bringt der Gesellschaft viele Vorteile. Aber auch Nachteile wie Drogenhandel und Kinderpornografie übers Darknet oder neue Möglichkeiten für Betrügereien. Das stellt Polizisten und Staatsanwälte vor neue Herausforderungen: Machte sich früher ein Bankräuber mit einer Maske unkenntlich, anonymisieren sich die Täter heute mit gefälschten Mail-Adressen und verschleiertem Standort ihres Computers.

Die Luzerner Staatsanwaltschaft will der Internet-Kriminalität nun die Stirn bieten: Mit Staatsanwälten, die auf Cyber-Crime spezialisiert sind, und mit modernster Technik. Denn laut Oberstaatsanwalt Daniel Burri mussten letztes Jahr zwei Drittel der 469 Cyber-Crime-Fälle sistiert werden. Auch, weil den Staatsanwälten das Fachwissen fehlt (Ausgabe vom Mittwoch).

Zürich verfügt seit 2013 über Kompetenzzentrum

Schweizweit führend bei der Bekämpfung der Internet-Kriminalität ist Zürich. Die kantonale Staatsanwaltschaft und die Kantonspolizei Zürich haben bereits 2013 begonnen, ein Kompetenzzentrum Cyber-Crime aufzubauen. Dort arbeiten speziell ausgebildete Staatsanwälte und Polizisten eng zusammen; zwölf Mitarbeiter sind es insgesamt. Doch eine höhere Erfolgsquote gibt es auch in Zürich nicht: Gemäss Jahresbericht 2017 wurden ebenfalls zwei Drittel der Fälle eingestellt oder sistiert.

Stephan Walder ist Co-Leiter des Kompetenzzentrums Cyber-Crime und stellvertretender leitender Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich. Er erklärt die Quote nicht wie Daniel Burri mit fehlendem Know-how, sondern mit der Tatsache, dass viele Täter nicht identifiziert werden können: «Hier gibt es zum Beispiel noch zu umständliche Ermittlungsmethoden. So müssen Daten rechtshilfeweise bei den Social-Media-Grosskonzernen in den USA eingereicht werden, und nicht bei deren Niederlassungen in der Schweiz.»

Die Bekämpfung von Cyber-Crime ist laut Walder eine Verbundaufgabe von Bund und Kantonen. Auch darum begrüsst er es, wenn Polizeikorps und Staatsanwaltschaften in anderen Kantonen für die Bekämpfung der Internetkriminalität aufrüsten. Walder:

«Oft wird gesagt, das Internet ist ein rechtsfreier Raum. Das stimmt nicht. Im Netz gelten dieselben Gesetze wie im realen Leben. Es liegt nun an den Behörden, die Gesetze durchzusetzen.»

Kantonale Lösung – aber nicht nur

Bringt es denn überhaupt etwas, wenn Kantone wie Zürich und wohl bald auch Luzern regional Lösungen für ein globales Problem suchen? «Eine berechtigte Frage», sagt Walder. Weil die Strafverfolgung territorial auf ein Land beschränkt und in der Schweiz die Strafverfolgungskompetenz überwiegend bei den Kantonen liegt, komme man nicht um föderalistische Lösungen herum. Walder ist darum froh, dass Luzern für den Kampf gegen die Internetkriminalität Spezialisten ausbilden will. Er hofft auch, dass sich die Luzerner Kollegen dannzumal regelmässig mit den Zürchern austauschen werden. Denn das sei zentral, um über die Kantonsgrenzen hinweg zusammenarbeiten zu können. Mit dem sogenannten Cyber-Board besteht hier bereits eine Austauschplattform.

Braucht es denn die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik) des Bundes noch? «Auf jeden Fall», sagt Walder. Bei dieser Stelle sollten alle Fälle aus den Kantonen koordiniert werden. Doch genau das fehlt derzeit. «Ich hoffe, dass die Fallübersicht möglichst rasch umgesetzt wird.» Denn die Kriminellen nutzen das Internet immer mehr. Als aktuelles Beispiel nennt Walder den Drogenhandel über das Darknet. Immerhin finden sich auch die Ermittler im dunklen Teil des Internets mittlerweile gut zurecht. Walder hat auch einen Lehrauftrag an der Staatsanwaltsakademie der Uni Luzern. Seiner Meinung nach braucht die Schweiz mehr Staatsanwälte, die sich für die Bekämpfung der Internet-Kriminalität weiterbilden lassen.

Staatsanwaltsakademie bietet dreiteilige Kurse an

Das sagt auch Strafrechtsprofessor Jürg-Beat Ackermann, der leitende Direktor der Staatsanwaltsakademie. Die von Daniel Burri erwähnten Cyber-Crime-Kurse starten noch dieses Jahr. «Die Kurse werden voll belegt sein. Das Bedürfnis ist sehr gross.» Die Kurse werden in drei Stufen angeboten. In der ersten wird Alltagskriminalität wie etwa Betrug behandelt, die zunehmend auch im Internet stattfindet. In der zweiten geht es um eigentliche Internet-Delikte wie Hacking und um prozessuale Fragen wie Rechtshilfegesuche im Ausland. Die dritte Stufe ist für Experten, welche Trends erkennen und entsprechende Tools entwickeln müssen. Pro Kurs sind maximal 30 Teilnehmer vorgesehen.

Ackermann ist wie Walder froh, dass die Luzerner Staatsanwaltschaft bei der Cyber-Crime-Bekämpfung Gas gibt. «Das zeigt, dass Luzern die grossen Herausforderungen des digitalen Zeitalters angehen will.» Dass dabei kantonale Lösungen entstehen, findet auch Ackermann notwendig: «Gerade bei jenen Fällen, die es auch in der analogen Welt gibt und das Internet als Instrument benützt wird, braucht es die Kompetenzen vor Ort.» Was Delikte betrifft, die staatenübergreifend begangen werden, brauche es früher oder später aber auch zentrale Bekämpfungsstellen.

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