notifications
Zug

Individualistische Genialität auf der Bühne

«Was um Himmels willen machen die da?», dachte man am Freitagabend im Theater Casino in Zug. Bereits nach wenigen Sekunden war aber klar: Was Patricia Kopatchinskaja mit ihrer Entourage da machte, war schlicht genial.
Mit Humor und Genialität führt Patricia Kopatchinskaja (Bildmitte) ihre Ensemble und serviert dem begeisterten Publikum etwas Ungewöhnliches, kam je zuvor Dagewesenes. (Bild: Stefan Kaiser, Zug, 1. Februar 2019)

Haymo Empl

Liest man die Programmankündigung des Theaters Casino Zug, sollte am Freitag schnell klar geworden sein, dass es sich um ein spezielles Konzert handeln würde: «Moz-Art a la Haydn für zwei Violinen und elf Streicher» ist bereits ein wenig dezenter Hinweis auf ein ungewöhnliches Konzert.

Und spätestens beim Namen der künstlerischen Leiterin und Stargeigerin, wird klar,dass etwas Grossartiges kommen wird: Patricia Kopatchinskaja ist längst nicht einfach mehr ein «Shooting Star» in der Klassikszene, die Spitzengeigerin und Leiterin der Camerata Bern hat durch ihre Fantasie, ihre Art und vor allem durch ihr Können mittlerweile eine Fangemeinde rund um den Globus.

Bewusste Störfälle

Etwas Neues machen ist schwierig, denn wer sich an der Neuinterpretation von Altmeistern versucht, scheitert oft. Das scheint ein bisschen ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, gerade wenn bei der Dekonstruktion von bekannten Stücken noch sitcomeske Elemente eingesetzt werden, wie dies am Freitagabend der Fall war: Bereits nach den ersten 15 Minuten klingelte laut und deutlich das Handy eines Musikers. Dies irritierte. Ein bewusster Störfall, der auf der Bühne kläglich als solcher scheitern könnte. «Diese Gefahr war uns bewusst. Zwar nahmen wir uns alle die Freiheit, musikalisch und komödiantisch zu improvisieren, aber nur so weit, dass die musikalische Substanz im Vordergrund blieb», erklärt Patricia Kopatchinskaja diesen und weitere «Störfälle».

Worum ging es denn nun bei diesem faszinierenden, schaurig-schön verstörenden Konzertabend? Klar, da waren die Musi- ker – die auf derart hohem Niveau spielten, dass sich an dieser Stelle eine entsprechende Rezension auf handwerklicher Ebene ein Hohn wäre. Selbstverständlich war die vielfach ausgezeichnete und zu Recht hochgelobte Patricia Kopa­tchinskaja auch da. Aber was nun wurde da dem Publikum eigentlich gezeigt? Die Starviolonistin klärt auf: «Es ging darum, einen jungen Komponisten aufzuführen: Wir haben jedes Jahr einen ‹Composer in Residence›. Francisco Coll hat mit seinem skurrilen spanisch-englischen Humor Thema und Stücke ausgewählt, und wir versuchten, das alles auf die Bühne zu stellen», so Patricia Kopa­tchinskaja. Das klingt in ihren Worten etwas sehr nüchtern, de facto war es nämlich ein hinreissendes Spektakel für Aug und Ohr.

Da wurden die bestens bekannten Instrumente der Klassik auf eine Weise bearbeitet, dass diese wohlig aufjauchzten – im Sinne von «endlich darf ich mal etwas anderes machen, als nur immer gefällig vor mich herspielen». Und es stellte sich manchmal die Frage: Darf man das? Darf man so mit Musik umgehen? Patricia Kopatchinskaja dazu: «Der Pianist und Komponist Ferruccio Busoni hat darauf hingewiesen, dass schon Skizzen der Komponisten letztlich Arrangements sind, nämlich Arrangements von Inspirationen und Vorstellungen», so die Stargeigerin. «Entsprechend fühlte sich Busoni frei, Stücke anders zu arrangieren oder zu instrumentieren, beispielsweise Bachs Chaconne für Solovioline für das Klavier einzurichten.» Und sie erklärt weiter, dass wenn damit ein Werk neu beleuchtet und entsprechend auch erlebbar werde, so sei auch dem Komponisten (und dessen Werk) gedient. «Und deshalb darf man das.»

«Pspspsst! Mamamamasse!»

So richtig spektakulär wurde es am Freitagabend kurz vor der Pause. Die Musiker in Hochform, Patricia Kopatchinskaja sowieso und dann kam ein Stück aus ­György Ligetis «Le Grand Macabre». Eine absurde Oper über das Ende der Welt, die derzeit auch im Opernhaus Zürich wiederaufgeführt wird. Patricia Kopa­tchinskaja und die Camerata Bern haben daraus ein neues Meisterwerk geschaffen. Grundsätzlich geht es darum, dass die drei Arien des Gepopo, des Chefs der Geheimen Politischen Polizei, von Elmar Howarth als eigenes Stück «Mysteries oft the Macabre» zusammengefasst wurden.

«Als die Sängerin einmal erkrankte, sprang der Trompeter Hakan Hardenberger ein und spielte das Ganze auf der Trompete, daraus entstand eine autorisierte Trompetenfassung», erklärt Patricia Kopatchinskaja die Entstehungsgeschichte. «Mit Bewilligung von Ligetis Nachlassverwaltern habe ich mir das Stück nun für Stimme und Geige eingerichtet.» Stimme und Geige klingt dann bei Patricia Kopatchinskaja ungefähr so: Gepopo stösst zusammenhangslose Worte über die drohende Revolution aus. Nämlich: «Pspspsst! höchste Geheimnisstufe! Zerozero! Menge, Vovovovolksmenge! Memememenschenmasse! Mamamamasse! Unruhe! Panik! Panik! Richtung! Marschrichtung! Fürst! Palast! Marschrichtung Papalast! Fürst! Palast! Tarnwort: Gogogogolasch, Gogolasch! Demonstration! Provokation! Observation! Sanktion! Pst! Pst! Keinen Pieps! Bankgeheimnis! Was ich noch sagen wollt: Schweigen ist Gold! ... usw.» Und Patricia Kopatchinskaja fügt an: «So absurd das Stück ist, die musikalische Form ist absolut genial, und es spricht in belustigender Art die ewig-unheimlichen Ängste des zufriedenen Bürgers an.»

Patricia Kopatchinskaja hat auf jeden Fall mit dem Konzertabend den Nerv des Zuger Publikums getroffen – dieses zeigte sich zuerst verhalten, danach begeistert. Denn schliesslich überzeugte der ganze Abend als Komplettpaket, der Erfolg gebührte ergo allen Musikern. «Jeder von uns ist ein Individualist – wir sind uns selbst Dirigenten und brauchen keinen Chef», sagt Chefin Patricia Kopa­tchinskaja. Diese Individualität führte in der Gruppe zu Geniali-tät – entsprechend war der Abend mehr als nur gelungen.

Kommentare (0)