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Luzern

Bei den Grenadieren in Isone: Im Kampf gegen sich selbst

Jasha Bättig (19) aus Alberswil ist Rekrut bei den Grenadieren. Besteht er die harte Selektion, gehört er zur Elitetruppe der Schweizer Armee. Zu einer Elite, die mit der Vergangenheit und ihrem eigenen Mythos ringt.
Knall, Flammen, Rauch: Grenadier-Rekruten sprengen eine Tür auf.  (Bilder: Dominik Wunderli (Isone, 6. September 2018))
Jasha Bättig (2. von links), kurz bevor sein Trupp ein Gebäude stürmt.
Der Rauch verzieht sich, die Grenadiere dringen in ein Gebäude ein.

Kilian Küttel, Isone

Kilian Küttel, Isone

Kilian Küttel, Isone

Das Gebäude ist grau wie ein verregneter Novembertag – und genau so trist: keine Fassade, keine Farbe, nur Beton. Und eine Holztür, vor der ein Mann kauert. Er hantiert mit etwas, das aussieht wie ein übergrosses Klebeband.

Um ihn herum stehen drei andere. Sie tragen Uniformen, Helme, Waffen. Sie schützen den Mann, der gerade die Sprengladung montiert. Die vier suchen Deckung, einer drückt den Zünder, kurz geht die Welt unter: Detonation, Knall, Druckwelle, Feuer, Rauch. Holzsplitter in der Luft, Sprengstoffgeruch in der Nase. Von der Tür ist nichts mehr übrig.

Die Ladung angebracht hat Jasha Bättig. Seit neun Wochen ist der 19-Jährige aus Alberswil hier zu Hause – auf dem Waffenplatz von Isone, einem 380-Einwohnernest hoch über dem Tessiner Vedeggiotal.

Hier werden jene geformt, die als Elite der Schweizer Armee gelten: die Grenadiere. Jasha Bättig will dazugehören. «Wenn ich etwas mache, dann richtig. Ich will mich der Herausforderung stellen», sagt er an diesem Donnerstag Anfang September zwischen zwei Übungen.

Wer die Vorgaben nicht erfüllt, ist weg

Er atmet angestrengt, schwitzt, und steht doch kerzengerade da. Diszipliniert. So, wie es ihm gezeigt und befohlen wurde. Immer wieder knallt es hinter ihm. Bättig zuckt nicht zusammen. Nicht mehr. Aus dem Carrosserie-Spengler ist ein Soldat geworden: «Der Anfang war hart. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.»

Der Anfang war der 9. Juli, als Bättig mit 132 anderen eingerückt ist. Für alle war es ein Schritt ins Ungewisse. Oder wie es der Luzerner vor dem RS-Start sagte: «Ich gehe dorthin und lasse es auf mich zukommen. Natürlich hoffe ich, die Ausbildung zu schaffen. Einfach wird es nicht.»

Oft hat er das zu spüren bekommen. Wie in der fünften RS-Woche: «Wir hatten eine Prüfung, die so anstrengend war, dass ich sie nie vergessen werde.» Einen Tag lang jagt ein Test den nächsten.

Bättig und seine Kameraden schiessen, werfen Granaten, überstehen Kraftübungen, meistern einen Hindernisparcours. Es ist ein Kampf gegen sich selbst und einer gegen die Uhr. Wer die Vorgaben nicht in der Zeit erfüllt, ist weg, wird aussortiert. Darf nicht Grenadier sein.

«Wer zu uns will, kommt freiwillig. Aber nicht alle erfüllen die Erwartungen.»

Ein wenig abseits von Bättig steht derjenige, der hier das Sagen hat. Nicola Guerini, Oberst im Generalstab, Kommandant des Ausbildungszentrums der Spezialkräfte. Er beobachtet das Geschehen aufmerksam wie ein Adler, der seine Kreise zieht.

Nicola Guerini ist ein Mann mit einer Mission. Und mit einem Problem: der Selektion. Pro Jahr muss er 204 Grenadiere ausbilden, um die beiden Bataillone mit genügend Nachwuchs für Wiederholungskurse und Einsätze zu versorgen. «Diese Alimentierung fällt uns schwer», sagt Guerini, 51 Jahre alt, markantes Gesicht, ein Bild von einem Mann: Es gibt Schwinger, die auf seine Schulterbreite neidisch sein können; Bauarbeiter, die gerne seine kräftigen Hände hätten.

Im einwandfreien Schweizerdeutsch des Tessiners schwingt seine Herkunft mit. Er spricht mit einem melodischen Singsang: «Wer zu uns will, kommt freiwillig. Die Leute sind motiviert, das ist gut so. Aber nicht alle erfüllen die Erwartungen.»

Ehre, Bescheidenheit, Einigkeit

Zu Anfang hat Guerini genügend Personal. Am Ende zu wenig: Bei der letzten RS haben von 114 Eingerückten lediglich 85 die Ausbildung abgeschlossen. Und von den 133 aus Bättigs Lehrgang sind noch 98 im Rennen. Nur wenige der Ausgeschiedenen haben sich für den Zivildienst entschieden oder wegen körperlicher Beschwerden in den Zivilschutz gewechselt.

Die meisten haben die Leistung nicht gebracht. Zwar bleiben die Gescheiterten in Isone, werden aber umgeteilt: als Sicherungssoldaten, als Funkspezialisten, in die Logistik. «Trotzdem bleiben sie Teil von uns. Wir sind alle eins, es gibt keine Unterschiede», sagt Guerini, der das Wort Elite nicht gerne hört.

Er will seine Leute anders erziehen: «Honor, modestia, unitas», so die Maxime in Isone. Ehre, Bescheidenheit, Einigkeit. Die verschworene Gruppe im Kampf für das grosse Ganze. Es ist eine Vorstellung, die vor Pathos trieft.

Guerinis Problem hat seinen Ursprung an der Basis. Schon bei der Rekrutierung melden sich zu wenig qualifizierte Freiwillige. Weshalb? Der Oberst vermutet ein Image-Problem: «Früher hatten wir den Ruf, Rambos zu sein. Krieg zu spielen, damit Krieg gespielt ist. Geld auszugeben, damit Geld ausgegeben ist. Das stimmt nicht.»

Hier beginnt Guerinis Mission, die lautet: Imagepflege. Man müsse an der Glaubwürdigkeit arbeiten, Sinn vermitteln. Den Rekruten, dem Volk. Dies dürfte mit ein Grund sein, weshalb das Militär unumwunden zusagte, als die Anfrage für einen Truppenbesuch kam. Man erhofft sich eine Werbewirkung. Die Armee stellt sich heute als Institution dar, die mit dem Zeitgeist geht.

Darum hat sie ihre Rahmenbedingungen angepasst. Wurde früher Widerstand schnell mit harten Mitteln gebrochen, lautet heute das Schlüsselwort: progressive Belastung. Die Jungen sollen ans Soldatenhandwerk herangeführt werden, sich bei langsam steigenden Anforderungen an den Alltag gewöhnen. So will die Armee weniger Leute an den Zivilschutz oder -dienst verlieren.

Was muss man wie verbessern?

Dazu passt der Umgangston auf dem Waffenplatz. Zumindest an diesem Tag. Es wird nicht geschrien, die Ausbildner schikanieren ihre Rekruten nicht. Sie sprechen mit ihnen wie Lehrmeister mit ihren Lehrlingen.

Was war gut? Was war schlecht? Was muss man wie verbessern? «Wir versuchen, zielgerichtet zu arbeiten und den Rekruten das notwendige Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln», sagt Stabsadjutant Patrick Buser, verantwortlich für die Ausbildung der Spreng-Spezialisten, zu denen Bättig gehört.

«Die körperliche Anstrengung, der Umgang mit Sprengstoff, das Adrenalin. Hier erlebt man etwas»

Für den Alberswiler kommt Aufgeben nicht in Frage. «Die körperliche Anstrengung, der Umgang mit Sprengstoff, das Adrenalin. Hier erlebt man etwas.» Ob er bleiben kann, hängt nicht allein von seinem Willen ab. In wenigen Tagen wartet die letzte grosse Prüfung. Besteht er den 60-Kilometer-Leistungsmarsch mit 50 Kilogramm Gepäck, inklusive Hindernisparcours und anderen Schikanen, hat er die Selektion überstanden. Ab dann ist er nicht mehr Aspirant sondern Grenadier Bättig.

Im Kampf mit dem eigenen Mythos

Geht es nach dem Schulkommandanten, müssten es mehr sein. Dabei könnte er einfach die Anforderungen herunterschrauben, statt auf Publicity zu setzen. Will er aber nicht. «Wir leben davon, dass es alles andere als sicher ist, die Ausbildung zu bestehen.»

Man müsse sich einen Rekruten aus Genf vorstellen, der sechs Stunden pro Weg im Zug sitzt, um nach Isone zu kommen: «Das tut er, weil er die Herausforderung sucht. Wenn er weiss, dass es lockerer wird, frage ich mich, ob er nicht zu einer anderen Truppengattung geht, die näher an seinem Wohnort stationiert ist.»

Es gäbe genügend gute Schweizer, die Guerini will. Nur wollen zu wenige zu Guerini. Seine Einheit steht im Spannungsfeld zwischen dem Zeitgeist und dem eigenen Mythos, den sie aufgebaut hat.

Und dieser ist in Isone allgegenwärtig, der Geruch des Besonderen liegt in der Luft: An einer Wand hängt eine Tafel, wo jene verewigt sind, die eine Grenadier-Medaille gewonnen haben.

Bronze gibt es für den Besten der Selektion. Eine goldene nur, wenn ein Grenadier jemandem das Leben gerettet hat. Im oder ausserhalb des Dienstes; Grenadier bleibt man auch, wenn die Uniform im Schrank hängt.

Das beweisen laut dem Kommandanten die Besuchstage, zu denen etwa gut 1000 Zuschauer kämen: «600 sind Angehörige der Rekruten. Der Rest Ehemalige.» Im Juni wurde das 75-jährige Bestehen der Einheit gefeiert, der älteste noch lebende Kommandant der Grenadiere sei auch gekommen. Mit 99 Jahren.

Auch Jasha Bättig nennt die Kameradschaft als grosses Plus: «Unter einander haben wir es sehr gut, wir lachen viel. Die Ausbildung ist ernst, die spärliche Freizeit nicht.»

Weitermachen? Nicht mit Rekrut Bättig

Die Verbundenheit zur Truppe zeigt sich auch daran, dass der Kommandant mehr als genug Freiwillige für eine Unteroffiziers- oder Offizierskarriere hat.

Im Gegensatz zu anderen Truppen, wo es chronisch an Kaderanwärtern mangelt. «Ich muss jedes Jahr jungen Männern mitteilen, dass sie nicht das Zeug für eine weiterführende Laufbahn bei uns haben. Das ist fast trauriger, als jemanden zum Weitermachen zwingen zu müssen.»

Im Fall von Jasha Bättig bleibt dem Kommandanten dieses Gespräch erspart. Obwohl es ihm in Isone gefällt, sieht sich der Luzerner nicht als zukünftiges Kadermitglied: «Ich habe es nicht von vornherein ausgeschlossen, aber mittlerweile muss ich sagen, dass Weitermachen für mich keine Option ist. Man ist halt schon sehr viel weniger zu Hause als man möchte.»

Läuft alles nach Plan, endet Bättigs Rekrutenschule am 14. Dezember. Dann verlässt er Isone als Grenadier. Und er wird es bleiben. Für immer. Oder wie es ihr Leitspruch sagt: Semper fidelis – immer treu.

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