Sandra Peter
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Die Maske schützt zwar vor Ansteckung, erschwert aber auch die Kommunikation. Besonders betroffen davon sind Gehörlose und Menschen mit Hörproblemen. Denn wer schlecht oder gar nichts hört, ist auf Lippenlesen angewiesen. In der Schweiz leben rund 10'000 gehörlose Menschen. Insgesamt leiden gemäss der Selbsthilfeorganisation Pro Audito Schweiz 1,3 Millionen Einwohner an Hörproblemen. Etwa 100'000 bis 150'000 Betroffene leben in der Zentralschweiz. Einer von ihnen ist der in Luzern wohnhafte Markus Beeli:
Der 55-Jährige führt als Selbstständiger eine Kommunikationsagentur. Beeli erlitt als Kind einen hochgradigen Hörverlust und trägt heute Hörgeräte. Er sagt:
«Ich muss jetzt vermehrt auf meine Schwerhörigkeit aufmerksam machen.»
Etwa, wenn er einkaufen geht. «Als ich in einer Apotheke ein Medikament besorgen musste, bat ich die Apothekerin hinter der Plexiglasscheibe, die Maske kurz auszuziehen. Sie wollte das nicht. Also ging ich in die nächste Apotheke.» Im Grossen und Ganzen habe er aber wenig negative Erfahrungen gemacht. Bei Arztbesuchen und einem Spitalaufenthalt im vergangenen Sommer habe entgegen seiner Bedenken alles funktioniert. «Da haben die Gesprächspartner die Maske jeweils abgenommen.»
Bei der Arbeit setzt Beeli beispielsweise auf schriftliche Nachrichten oder Video-Telefonie. Letzteres ist für ihn jedoch schwieriger als ein persönliches Treffen. «Bei diesen Übertragungen sind Ton und Bild meist leicht versetzt, das heisst, die Lippenbewegungen stimmen nicht mit dem Gesprochenen überein.»
Unterschiedliche Erfahrungsberichte erhält auch Carlo Picenoni, Stellenleiter der Beratung für Schwerhörige und Gehörlose (BFSUG) Zentralschweiz (siehe Box am Ende des Textes). «Manche melden, dass die Leute sich generell mehr Mühe geben und mehr mit einfachen Gesten und Zeichen kommunizieren als noch vor der Maskenpflicht.» Man würde sich mehr Zeit nehmen.
«Andere berichten, dass gar nichts mehr geht.»
Rund ein Drittel der Verständigung erfolge bei Gehörlosen übers Lippenlesen. Den Rest müssten sie aus dem Kontext oder Gestik und Mimik schliessen.
Visitenkarte soll Abhilfe schaffen
In einer Gesprächsgruppe von Pro Audito Luzern (siehe Box am Ende des Textes) entstand die Idee einer Visitenkarte, um bei Kommunikationsproblemen Abhilfe zu schaffen. Sie lancierte eine Visitenkarte in zwei Versionen, die dem Gegenüber erklärt, dass die Betroffenen schwerhörig oder gehörlos sind. Die Visitenkarte enthält die Bitte an den Gesprächspartner, die Maske beim Sprechen kurz abzunehmen. Ebenfalls auf der Karte steht, dass die Gehörlosen oder Schwerhörigen zurücktreten, um den Abstand zu wahren. Auf der Rückseite der Karte wird erklärt, dass solche Ausnahmen gemäss der Covid-19-Verordnung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) ausdrücklich erlaubt sind.
Etwa 300 solcher Visitenkarten sind in der Region Luzern bereits in Umlauf gebracht worden. Die Visitenkarte lässt sich auch aufs Smartphone laden, 160 Downloads zählt Pro Audito Luzern bis jetzt. Kreiert hat die Karten Markus Beeli, der im Vorstand von Pro Audito Luzern tätig ist. Anschliessend wurden die anderen 23 regionalen Vereine sowie weitere Organisationen, Verbände, Ohrenärzte und Akustiker angeschrieben. «Mittlerweile sind bei mir insgesamt Bestellungen für mehrere tausend Karten eingegangen», sagt Beeli.
Auch auf Facebook wird auf die Karten aufmerksam gemacht:
«Die Leute sind damit zufrieden und nutzen sie», sagt Jeannette Belger von Pro Audito Luzern. Manchmal führt der Einsatz der Karten jedoch nicht zum Ziel. Beispielsweise, wenn die Bankangestellte oder der Verkäufer die Karte gar nicht liest oder die Maske nicht absetzen möchte.
Beeli betont: «Sensibilisierung ist zentral.» Viele würden die Ausnahme gar nicht kennen oder die internen Betriebsauflagen sehen eine solche nicht vor. Er hat sich mit einem Schreiben zusammen mit weiteren Betroffenen und Organisationen beim BAG dafür eingesetzt, dass die Ausnahmeregelung während einer der Pressekonferenzen thematisiert wird. Am 10. November hat Urs Germann, Leiter Fachstelle Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen der Stadt Bern, die Regelung der breiten Öffentlichkeit vorgestellt:
Outing oder Rückzug
Plexiglasscheiben und Masken schlucken den Schall. «Auch leichtgradig Schwerhörige müssen sich nun outen oder sie ziehen sich mehr zurück», sagt Carlo Picenoni von der Beratungsstelle. Vielen Betroffenen würde es schwerfallen, eine Hörminderung zuzugeben, erklärt auch Markus Beeli.
«Noch immer ist Schwerhörigkeit schambehaftet oder wird als Stigma angesehen.»
Jeannette Belger erläutert: «Zwei Drittel der Betroffenen wissen um ihre Hörprobleme, lassen sich jedoch nicht behandeln. Oft wird es verdrängt und der Prozess bis zur Nutzung eines Hörgeräts ist lang.» Sie selber ist aufgrund einer Erbkrankheit schwerhörig, trägt am linken Ohr ein Hörgerät und rechts ein Cochlea-Implantat. Die Anfragen für Beratungen bei Pro Audito hätten zugenommen, seit die Maskenpflicht gilt.
Die Zentralschweizer Beratungsstelle hingegen hat gemäss Picenoni keinen Anstieg der Anfragen verzeichnet, anders als in den Kantonen Aargau und Solothurn. Picenoni rechnet mit einem stärkeren Beratungsbedarf, sollte die aktuelle Coronasituation noch länger andauern. «Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit oder Stellenverluste, wenn es keine Kurzarbeit-Unterstützung mehr gibt, kommen erst noch auf uns zu.»
Transparente Masken teuer oder nicht zertifiziert
Eine Alternative zu den herkömmlichen Masken sind transparente Modelle. Der Verein Pro Audito Luzern nutzt solche bei Anlässen. Sie können gereinigt und desinfiziert werden und kosten 25 Franken pro Stück, andere Modelle sind für 10 Franken erhältlich. Die Lieferfrist beträgt gemäss Belger eine Woche, vertrieben werden sie von einer Zuger Firma. Etwa 30 solcher Masken hat der Luzerner Verein an Betroffene ausgeliefert.
Doch damit ist das Problem noch nicht gelöst. «Nicht die Gehörlosen, sondern Geschäfte, Praxen oder Ämter müssten sich damit ausrüsten», sagt Carlo Picenoni. Zudem gebe es noch keine Zertifizierung für transparente Modelle für den breiten Gebrauch. «Labormasken kosten pro Stück über hundert Franken und sind daher nicht massentauglich.» Auch Lieferfristen oder Ausfuhrstopps, etwa in Amerika, würden die Lage erschweren.
Tipps für die Kommunikation mit Schwerhörigen und Gehörlosen
- Ziehen Sie die Maske kurzzeitig aus, sofern der Abstand gewährleistet werden kann oder eine Plexiglasscheibe als Schutz dient.
- Sprechen Sie deutlich und langsam.
- Sprechen Sie mit Gehörlosen auf Hochdeutsch. Gehörlose lernen die Schriftsprache (nicht Mundart) und das Lippenlesen auf Hochdeutsch.
- Unterstützen Sie Ihre Worte verstärkt mit Mimik und Gestik.
- Schreiben Sie bei Unklarheiten während eines Gesprächs das Wichtigste auf. Dazu können Sie auch den Sprachassistenten auf Ihrem Smartphone oder eine sogenannte Speech-to-Text-App nutzen. Dabei spricht man ins Smartphone und der Text erscheint in Echtzeit auf dem Bildschirm.
- Kommunizieren Sie schriftlich per E-Mail, Whatsapp, SMS oder per Video-Telefonie.
- Nehmen Sie sich Zeit und bleiben Sie geduldig.
Ein Gebärdensprache-Lexikon mit Videos gibt es auf https://signsuisse.sgb-fss.ch/de/ sowie unter https://www.gebaerdensprache-lernen.ch/.