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Obwalden

Ich meinti: Wer hat’s erfunden?

Kolumnist Romano Cuonz und seine Frau debattieren lange über die einzelnen Abstimmungsvorlagen. Und über die Konsequenzen ihrer Stimmabgabe – erst recht, wenn es mit je einem Ja und einem Nein familienintern unentschieden steht. Noch aussichtsloser, als aus den Botschaften schlau zu werden, gestaltet sich für Cuonz allerdings das korrekte Öffnen des Abstimmungscouverts. Kommt's gar zum Wahlbetrug? Lesen Sie selbst!
Romano Cuonz, Journalist und Schriftsteller aus Sarnen, äussert sich an dieser Stelle abwechselnd mit anderen Autoren zu einem selbst gewählten Thema. (Bild: Corinne Glanzmann)

Romano Cuonz

Vier Mal im Jahr findet bei uns eine Vollversammlung statt. Die Teilnahme ist für alle Mit­glieder obligatorisch. Also genau genommen gibt’s davon nur zwei: nämlich meine Frau und mich. Nötig macht es die direkte Demo­kratie! Sobald nämlich unsere Stimmkuverts im Briefkasten sind – sie treffen aus unerfindlichen Gründen, praktisch nie am gleichen Tag bei uns ein –, wird der Sitzungstermin festgelegt. Auch eine grosse Kanne Kaffee und ganze Packungen Biskuits werden bereitgestellt. Für die gesellschaftlich wie staatspolitisch bedeutsame Session mit Traktanden, die uns von aller­oberster Instanz vor­gegeben sind, scheuen wir keinen Aufwand. Ja, was das Ab­stimmen angeht, ver­fügen meine Frau und ich – als bürgerpflichtbewusste Schweizerin und wachsamer Schweizer – über jahrelange Erfahrung und grosse Sach­kompetenz.

Allerdings: Bevor die Debatte beginnt, spielt sich Mal für Mal dasselbe Drama ab. Ich nehme das Stimmkuvert des Kantons Obwalden zur Hand und lese darauf den fettgedruckten Satz: «STOPP – hier nicht öffnen!» Zutiefst verärgert möchte ich den Bettel am liebsten gleich wieder hinschmeissen. Aber meine Frau – same procedure as every time – fordert mich mit sanfter Stimme auf, das Kuvert, auch wenn so etwas sonst nicht üblich sei, umzudrehen und die Gebrauchsanweisung auf der Rückseite zu lesen. Doch auch dort sticht mir gleich zuoberst ein mit Pfeilen versehener Hinweis ins Auge: «Hier nicht öffnen!» Glück­licherweise hat meine Frau eine Engelsgeduld. «Da! Die sogenannte Reisslasche musst du beachten!», rät sie mir. Tatsächlich: Dort steht schwarz auf weiss: «Zum Öffnen hier vorsichtig aufreissen.» Nichts wie los, denke ich, sonst dauert unsere Sitzung noch länger als die Coronasession in Bern. Aber verflixt nochmal: Jetzt macht die Perforation ihrem lateinischen Ursprung – «perforare = durchbohren» – alle Ehre. Nun bemerke ich rechts aussen einen Fingerabdruck und den Hinweis: «Beim Aufreissen hier festhalten!» Zu spät! «Vielleicht können wir den Schaden mit Klebeband oder Cementit beheben», tröstet mich meine Frau.

Dass manipulierte Stimmkuverts als ungültig erklärt oder gar als Wahlbetrug geahndet werden könnten, kümmert uns im Moment nicht. Jetzt starten wir vorerst einmal ein aussichtsloses Unterfangen: nämlich, aus der im Kuvert eingelegten Botschaft mit Pro und Kontra schlau zu werden. Wir debattieren endlos. Über den tieferen Sinn von Kampfflugzeugen, über den Unsinn, gar nicht existente Burkas zu verbieten oder darüber, ob nun Trinkwasser ohne Pestizide die letzten Landwirte ausrottet. Am Ende der Debatten sind wir meist so klug wie zuvor. Doch selbst wenn sich unsere Stimmen – mit einmal Ja und einmal Nein – gegenseitig aufheben, will meine Frau die Kuverts abschicken. Eine hohe Stimmbeteiligung liegt ihr am Herzen.

Ist dann die Sitzung offiziell beendet, beginn der Schlussakt meines Dramas. Ich nehme den persönlich ausgefüllten Stimmzettel und lege ihn ins Fach mit Sichtfenster. O je, das ist wohl völlig falsch. Da capo! Nun stecke ich den unterschriebenen Stimmrechtsausweis ins Fach ohne Sichtfenster. Wieder verkehrt! Erst nach dem x-ten Versuch erscheint dann doch wenigstens etwas im Sichtfenster: meine eigene Adresse ...

... Und ich fluche: Wer i dryy Tyfels Namä hed’s erfundä, das verfluämete Abstimmigsguwäär?

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