Carmen Kiser
Ich habe in den letzten Wochen viele Diskussionen über das Covid-Zertifikat geführt. In jedem der Gespräche versuchte ich, mein Gegenüber und seine Beweggründe zu verstehen und auch wütenden Voten empathisch zu begegnen. Das Einfühlen und Gelassen-Bleiben braucht Kraft. Die vielen Coronamonate, die mir das Leben im privaten, vor allem aber im beruflichen Bereich schwer gemacht haben, haben ihre Spuren hinterlassen. Auf einem langen Spaziergang habe ich deshalb beschlossen, das Pandemie-Thema von nun an so weit wie möglich auszuklammern aus meinem Alltag. Nicht mehr diskutieren. Auch nicht mehr nachfragen. Die Newsticker abstellen. Ein befreiender Entschluss.
Dann begann mein Sohn zu husten. Nicht schlimm, aber er hustet nie. Seit den Sommerferien hatte es in seiner Klasse immer wieder Coronafälle gegeben. Konnte er sich angesteckt haben? Wir beschlossen, dass er einen Selbsttest machen sollte. Und natürlich: positiv. Das Coronathema hatte sich in Windeseile zurück in mein Leben geschlichen.
Obwohl ich monatelang Zeit hatte, mich auf diesen Moment vorzubereiten, war ich ziemlich überfordert: Was ist jetzt zu tun? Sohn in Isolation und zur Bestätigung aufs Testergebnis des wöchentlichen Spucktests der Schule warten, klar. Aber was ist mit dem Kleinen? Darf er zur Schule bis zum positiven PCR-Test des Grossen? Und wir geimpften Eltern? Können wir uns jetzt doch noch anstecken und den Virus weiter verteilen? Meine Chat-Umfragen bei Freundinnen waren etwa so aussagekräftig wie meine Google-Recherchen: alles möglich, nicht ganz klar, vielleicht. Sicherheitshalber haben wir beide Kinder daheim behalten und unsere Arbeit ins Homeoffice verlegt.
Aufs positive PCR-Testergebnis des Sohnes mussten wir einen Tag warten, auf den Anruf vom Contact-Tracing, welches den Grossen in Isolation und den Kleinen in Quarantäne schickte, weitere drei Tage. Endlich wussten wir, wer wie lange daheim bleiben muss, wann wir den Kleinen frei testen können und dass wir als Geimpfte zwar vorsichtig sein sollen, aber nicht in Quarantäne müssen. Erschreckt hat mich nicht primär die lange Reaktionszeit des Contact-Tracing – angesichts ihrer Arbeitsbelastung verstehe ich das –, sondern die Schwierigkeiten, die wir (als eigentlich gut informierte Personen) hatten, die geltenden Regeln für unsere Situation ausfindig zu machen.
Deshalb «meinti ich»: Wir brauchen mehr Information statt Meinung und mehr Fakten statt Floskeln. Verständliche, unaufgeregte Kommunikation von Seiten der Behörden, der Politiker und der Medien würde Vertrauen schaffen. Denn wer sich unsicher fühlt, ob bezüglich Quarantäne-Fragen, aus Angst vor der Krankheit oder aus Sorge vor den Wirkungen der Impfung, ist nicht handlungsfähig und lehnt im schlechtesten Fall als Folge das ab, was eventuell zur Lösung der Krise beitragen würde. Vielleicht käme dann die Gelassenheit in unsere Alltagsgespräche zurück, die uns allen so guttun würde? Damit wir das Coronathema endlich irgendwann ad acta legen können.