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Obwalden

«Ich meinti»: Hinter der Stellwand

Ruhe und Inspiration sollen Besuchende in einem Museum finden. Dieses Ziel strebt Museumskuratorin Carmen Kiser in «ihrem» Museum an und könnte aber auch für das eine oder andere graue Haar verantwortlich sein.
Carmen Kiser, Museumskuratorin aus Sarnen, äussert sich an dieser Stelle abwechselnd mit anderen Autoren zu einem selbst gewählten Thema.

Carmen Kiser

Ich bekomme graue Haare. Fast jeden Tag entdecke ich ein neues. Bisher habe ich sie ausgezupft. Aber nun scheint der Punkt erreicht, wo das keinen Sinn mehr macht, ausser ich möchte bald mit Halbglatze herumlaufen.

Das kann am Alter liegen, die grauen Haare. Oder an den Sorgen, jetzt, wo zu Corona und Klima mit dem Krieg in der Ukraine eine weitere Krise dazu kommt. Oder am Arbeitsstress. Ich musste schmunzeln, als ich mit meiner Geigenlehrerin über meinen Job geredet habe: Ach, Museum, meinte sie, das ist bestimmt recht geruhsam. Hm. Nicht ganz. Das Museum Bruder Klaus, das ich leite, ist zwar noch in der Winterpause, hinter den Kulissen geht es jedoch zu wie im Bienenstock. Einem sehr kleinen Bienenstock, natürlich.

Wie überall im kreativen Bereich dreht sich das Projektkarussell: Während ich die aktuelle Ausstellung recherchiere und mit Gestaltern, Druckern und Schreiner umsetze, bin ich bereits die nächste am Fein- und die übernächste am Grobplanen. Für jede Ausstellung braucht es Geld, das nicht einfach da ist, sondern «gefundraised» werden muss. Mit umfassender Dokumentation und viel Überzeugungskraft.

Ich führe meine rund 20 Mitarbeitenden, alle in Klein- und Kleinstpensen zwar, aber doch 20 Persönlichkeiten mit Bedürfnissen und Wünschen, mit Verträgen und AHV-Beiträgen. Ich mache Führungen, auch dann, wenn das Museum geschlossen ist. Ich verdanke Zusendungen von Objekten für unsere Sammlung – ein Bild aus dem Estrich der Grosstante, ein Buch über Bruder Klaus –, die mich immer wieder sehr rühren. Ich brüte mit meiner Buchhalterin und dem Vorstand über Budgets und Jahresrechnungen. Packe Couverts für einen Grossversand. Konzipiere eine neue Website. Evaluiere Sammlungsdatenbanken, da unsere plötzlich und unerwartet den Dienst verweigert hat – und, auch hier wieder, suche das Geld, um diese bezahlen zu können. Und das alles in einem 50-Prozent-Pensum.

Ein Museumsbesuch soll entspannend sein, eine Auszeit. Das habe ich selbst vor einem Jahr in meiner Kolumne geschrieben und das strebe ich auch in «meinem» Museum an. Um für Sie, die Besuchenden, eine Oase der Ruhe und der Inspiration zu schaffen, rennen wir hinter den Stellwänden. Das ist bei uns nicht anders als in anderen Betrieben. Nur handeln wir nicht mit Waren, sondern bieten Erlebnisse an, ästhetischen Genuss, Wissen und dessen Einordnung. Dies bereitzustellen, kostet Zeit und Geld. Weder Kunstschaffende noch Mitarbeitende in den Kulturinstitutionen leben von Beifall. Deshalb kämpfe ich unermüdlich um Ressourcen, um jedes Hunderternötli Unterstützungsgeld und um jedes Arbeitsprozent.

Vielleicht hätte ich in einem anderen Job weniger graue Haare. Was mir aber fehlen würde, ist zu sehen, wie die Besuchenden ab April wieder ins Museum kommen. Wie sie lesen, betrachten, miteinander scherzen und diskutieren. Das ist nicht der Lohn für meine Arbeit, den möchte ich schon lieber auf dem Konto statt in Naturalien. Aber es ist ein Lichtblick, auch in dunklen Zeiten und an bedeckten Tagen.

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