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Obwalden

«Ich meinti»: Ein König verliert seine Souveränität

Mit Spannung verfolgte «Ich meinti»-Kolumnist Romano Cuonz die Fussball-Europameisterschaft. Geärgert hat er sich aber dennoch – nicht etwa über Fehlpässe, Tore und Niederlagen. Sondern vielmehr über die zahlreichen Analysten neben dem Spielfeld.
Romano Cuonz, Journalist und Schriftsteller aus Sarnen. (Bild: Nidwaldner Zeitung)

Romano Cuonz

Unter Tausenden Sportarten hat sich nur eine den weltweit anerkannten Titel «König» verdient: der Fussball! Sollte jemand daran noch Zweifel gehegt haben, müsste er diese spätestens nach der für «Italia» so glorreich ausgegangenen Europameisterschaft ausräumen. Nur schon, wenn man die «Azzurri» ihre Nationalhymne in Verdis Opern-Pathos brüllen hört, ahnt man, dass da elf Spieler im Dienst eines mächtigen – und zweifellos auch ziemlich reichen – Königs stehen müssen: «Stringiàmci a coòrte, siam pronti alla morte, L’Italia chiamò» – «Lasst uns die Reihen schliessen, wir sind bereit zum Tod, Italien hat gerufen!» Und selbst die sonst eher coolen Engländer bekennen sich inbrünstig zu fussballerischem und nationalem Royalismus: «God save the Queen! Send her victorious, happy and glorious long to reign over us» – «Gott schütze die Königin! Lass sie siegreich glücklich und ruhmreich über uns regieren.» Die Sache mit der ruhmreichen Königin (Fussball?) hätte – übrigens in Anwesenheit eines kleinen und eines grossen Prinzen – auch beinahe geklappt!

(Klammerbemerkung dazu: Etwas problematischer gestaltet sich das herzhafte Singen jeweils für unsere antiroyalistischen, aber auch sehr tapferen Eidgenossen. Die müssen in ihrer Hymne «Gott im hehren Vaterland» anrufen und sind sich halt nie so ganz einig, um welchen es sich denn dabei handelt.)

Aber lassen wir die «Endless Story» um die Nationalhymnen! Was mich an dieser EM – Pommes-Chips knabbernd und gebannt auf den Bildschirm starrend – viel mehr geärgert hat: Wie sehr unser aller König Fussball seine uneingeschränkte Macht und Souveränität verliert. Ja, seine Majestät wird zum Spielball digitaler Analysten und Besserwisser. Von Turnier zu Turnier mehr. Vor dem Anpfiff, in der Pause und erst recht am Ende der Partie übernehmen diese das Zepter, das eigentlich dem König zusteht. Jede Bewegung der Spieler, sei es mit Armen, Händen, Kopf oder Füssen, wird zigmal kontrolliert und kritisiert. Nicht einmal die Anzahl Pässe, der Spielanteil in Prozenten und die gelaufenen Kilometer auf dem Spielfeld entgehen dem digitalen Kameraauge. Und so wissen denn piekfein gekleidete Herren in bequemen Sesseln immer ganz genau, was jene, die sich auf und neben dem Spielfeld redlich abmühen, wie, wann und wo besser und anders machen müssten.

Zugegeben: Auch zu vordigitalen Zeiten haben wir über Schiedsrichterentscheide gelästert oder über den einen oder andern Fehler eines Spielers diskutiert. Doch spätestens nach dem Match – beim Bier im Obwaldnerhof – war die Sache vergessen, und wir freuten uns nur noch aufs nächste Spiel. Heute nehmen die Analysen kein Ende. Würde man einmal jene Zeit messen, die für Gelaber aufgewendet wird, käme man gut und gerne auf 90 Minuten plus eine endlose Nachspielzeit.

Nachgerade Entsetzen aber löst bei mir aus, wenn ich konstatiere, dass der einst so souveräne König Fussball mehr und mehr zum Sklaven wird. Zum Sklaven von Social Media! Millionen selbst ernannter Experten – sogenannte Fans – prügeln dort unzensuriert mit haltlosen Kommentaren – und leider immer auch mit Bedrohungen und rassistischen Schimpf- und Verunglimpfungstiraden – auf Trainer, Spieler und Schiedsrichter ein.

Himmeltruirig, as äs fir Schletterlig im «World Wide Web» nid ai so eppis wiän ä Roti Chartä gid!

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