Andreas Faessler
Wie liessen sich Leben und Alltag der Zugerinnen und Zuger in den vergangenen Jahrhunderten nachzeichnen, wenn nicht tüchtige Schreiber festgehalten hätten, über was Stadt- und Gemeinderat an ihren regelmässigen Zusammenkünften im Rathaus debattiert haben? Solche Ratsprotokolle sind ein Fenster in die Vergangenheit. Was sie enthalten, gibt detailliert Einblicke in das einstige Alltagsleben in der Kleinstadt.
Wie bedeutend für die Aufarbeitung der Stadtzuger Geschichte jene Zigtausende archivierter Protokolle aus der Zeit zwischen 1471 und 1798 sind, erkannte man bereits in den 1980er-Jahren. 1989 begann man schliesslich damit, diesen kollektiven Erinnerungsspeicher zu sichten, auszuwerten und aufzuarbeiten. Der damalige Staatsarchivar Peter Hoppe leitete dieses Mammutprojekt, das nun – nach fast drei Jahrzehnten aufwendiger Geduldsarbeit – seinem vorläufigen Abschluss entgegensieht.
Die Atmosphäre einer längst vergangenen Zeit
All die Protokolleinträge aus genanter Zeitspanne umfassen auf gut 17 500 Seiten an die 80 000 Geschäfte, welche inhaltlich zusammengefasst und in eine Datenbank eingespeist worden sind. «Vor dem Projektstart war dieser Fundus zum Einen kaum zugänglich», sagt Peter Hoppe zurückblickend. «Zum Anderen waren die weitgehend ungeordneten Manuskripte nur schwer lesbar, nicht zuletzt wegen der Sprache, die damals nicht einer vorgegebenen Rechtschreibung folgte.» So haben Peter Hoppe und sein Team von jedem einzelnen Eintrag eine Zusammenfassung in verständlichem Deutsch digital erfasst. Peter Hoppe: «Die Protokolle geben die Atmosphäre einer längst vergangenen Zeit wieder. Das macht sie so faszinierend und wertvoll für die Geschichte von Stadt und Kanton.»
Die Einträge behandeln Verbrechen und Verstösse aller Art und Alltagsbagatellen wie persönliche Auseinandersetzungen sowie allerhand Nichtigkeiten. Immer wieder veranlassen die Exzerpte gar zu herzhaftem Lachen. In ihrer Gesamtheit aber sind und bleiben die Ratsprotokolle kostbare Zeugnisse und Spiegel davon, wie eine ganze Kleinstadt einst getickt hat. Rainer Hager, Präsident der Bürgergemeinde der Stadt Zug, welche im Falle des von mehreren Seiten breit unterstützen Langzeitprojektes federführend war, ist überwältigt. «Plötzlich lag Zugs Geschichte vor mir auf dem Tisch.» Wohl kaum anderswo verfüge man über eine so detaillierte Grundlage, um die eigene Geschichte nachzuzeichnen, ist er überzeugt. «Somit haben wir anderen Städten einmal mehr etwas voraus», fügt er augenzwinkernd an.
Wegweisendes Werk
Am Mittwoch wurde eine erste Publikation zu diesem schweizweit bislang einzigartigen Grossprojekt einem zahlreich aufmarschierten Publikum vorgestellt – dies an keinem symbolträchtigeren Ort als dem Gotischen Saal im Zuger Rathaus; da, wo fast alle die Zigtausende Geschäfte einst behandelt worden sind. Das Buch «Universum Kleinstadt», herausgegeben vom Historischen Verein des Kantons Zug, stellt faktisch eine erste Auswertung dieser Aufarbeitung der alten Protokolle dar, «was sowohl technisch als auch thematisch ein wegweisendes Editionsprojekt darstellt», wie Brigitte Moser sagt. Die Zuger Kunsthistorikerin hat die Erarbeitung des Buches initiiert und geleitet. «Mit diesen Ratsprotokollen eröffnen sich spannende, teils gänzlich neue Themen zur Frühneuzeitforschung.» Ferner sei es ein Revival der Mikroforschung, die Innovationspotenzial zu vielfältigen Fragestellungen berge. «Wir haben hier wohl ein wegweisendes Werk vor uns», sagt Thomas Glauser, Stadtarchivar und Präsident des Historischen Vereins, an der Vernissage im Gotischen Saal. «Mit einer intensiven Farbigkeit und unvermittelt lebensnahe zeigt das Buch acht Facetten aus dem Alltag der Zuger zwischen 1 500 und 1 800 auf.»
Die Ratsprotokolle für jedermann
Das Buch liefert einerseits eine detaillierte Einführung ins Projekt, beschreibt die Motivation dazu sowie dessen Verlauf. Thematische Beiträge von Fachautoren entführen die Leserschaft andererseits mitten in die Zuger Vergangenheit und erzählen vom Stadtleben von damals, von der einstigen Vorstellung von Sitte und Ordnung, von Kuriosem, von Unerwartetem. Präzisierende Anmerkungen verhelfen zum besseren Verständnis. Die Lektüre der wissenschaftlich fundierten, teils bebilderten Inhalte wird so zu einem richtigen Vergnügen.
2020 soll die Datenbank mit den Zuger Ratsprotokollen soweit bereinigt sein, dass sie der Öffentlichkeit uneingeschränkt via Internet zur Verfügung stehen kann. «Damit wird Zug ein starkes Arbeitsinstrument für die Geschichtsforschung ihr Eigen nennen», hebt Marco Jorio in seiner Laudatio hervor. Der Historiker ist ehemaliger Chefredaktor und Direktor des Historischen Lexikons der Schweiz. Dass die Fülle an Archivalien erschlossen und ausgewertet worden sei, mache dieses Projekt erst recht einzigartig. «Denn hinter Panzertüren verschlossen, nützen diese wertvollen Dokumente niemandem.»
Hinweis
«Universum Kleinstadt. Die Stadt Zug und ihre Untertanen im Spiegel der Protokolle von Stadtrat und Gemeinde (1471–1798)»; Peter Hoppe, Daniel Schläppi, Nathalie Büsser, Thomas Meier; Chronos Verlag, 320 Seiten, Fr. 38.–