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Luzern

Hilfe auf dem Weg zurück: Jugenddorf mit neuem Angebot für psychisch erkrankte Jugendliche

Nach der stationären psychiatrischen Behandlung direkt in den Alltag – für viele Jugendliche oft ein zu grosser Schritt. Ab August bietet das Jugenddorf in Knutwil eine Nachversorgung an.
Co-Gesamtleiterin Kathrin Burkhardt und der Leiter des neuen Angobts, Christian Thalman.
(Bild: Dominik Wunderli (Knutwil, 10.02.2021))
Das Jugenddorf Knutwil. (Dominik Wunderli (Knutwil, 10.02.2021))

Fabienne Mühlemann

Fabienne Mühlemann

Gleich neben der Produktionsstätte des Knutwiler Mineralwassers, etwas abseits des Ortkerns, liegt das Jugenddorf. Dort kommen Männer zwischen 14 und 25 Jahren unter, bei welchen strafrechtliche oder zivilrechtliche Massnahmen angeordnet wurden. Meistens werden sie von der Kesb oder von einem Gericht nach Knutwil geschickt, nur selten kommen sie freiwillig. «Häufig haben diese Männer ein Sucht- oder Gewaltproblem. Ihre Eltern oder Schulleiter sind überfordert, wissen nicht mehr weiter», erklärt Kathrin Burkhardt, Co-Gesamtleiterin des Jugenddorfs. Im Schnitt bleibt der Jugendliche rund drei Jahre im Jugenddorf.

«In letzter Zeit nehmen wir wahr, dass Fälle von Jugendlichen mit psychischen Problemen, die zu Verhaltensauffälligkeiten führen, zunehmen», sagt sie. Dies begründet sie mit gesellschaftlichen Veränderungen wie einem gefährdenderen Medienkonsum, belastenden Familiensystemen und die daraus resultierenden Identitätskrisen. Es sei jedoch schwierig, Personen mit Suizidgedanken oder Schizophrenie zusammen mit anderen Jugendlichen zu behandeln, da die Ursachen ihrer Probleme unterschiedlich sind. Deswegen schafft das Jugenddorf ab August 2021 ein neues Angebot namens «stabil».

Mangel an Lösungen in der Deutschschweiz

In einer Bestandsaufnahme des Angebots von Psychiatriekonzepten durch das Bundesamt für Gesundheit wurde festgehalten, dass die Schnittstellen der Psychiatrie unter anderem zum Bereich Kinder- und Jugendheime und zur Reintegration in den Arbeitsmarkt als kritisch zu bezeichnen sind. Hier setzt das Angebot an. Es geht um Jugendliche, welche nach einer stationären psychiatrischen Behandlung auf eine Nachversorgung angewiesen sind. «Der Wiedereinstieg in den Alltag ist für viele ein grosser Schritt, sie sind häufig damit überfordert. In der Jugendpsychiatrie mangelt es in der Deutschschweiz jedoch an Lösungen für eine gezielte Nachversorgung», sagt Burkhardt. Mit dem neuen Angebot soll die Psychiatrie entlastet und Jugendliche stabilisiert in den Alltag zurückbegleitet werden.

Bereichsleiter wird der langjährige Mitarbeiter Christian Thalmann, weitere Stellen sind derzeit ausgeschrieben. Ein interdisziplinäres Team, zu welchem auch Mitarbeiter der Luzerner Psychiatrie auf Leihbasis gehören, wird sich um die Jugendlichen kümmern. Vorerst stehen sechs Plätze zur Verfügung.

Daneben haben im Jugenddorf 43 Männer Platz – das bestehende Angebot ist bis Sommer ausgebucht, die Nachfrage vorhanden. Das war nicht immer so. Vor sechs Jahren musste eine Wohngruppe schliessen, und 2017 war die Nachfrage ebenfalls rückläufig. Wie Burkhardt erklärt, war dies in der ganzen Deutschschweiz der Fall. «Zuvor war der Prozess von den Abklärungen bis zur Platzierung eines Jugendlichen sehr schnell gegangen. Nach der Umstrukturierung von der Amtsvormundschaft zur Kesb wurden die Abläufe professionalisiert und nahmen dadurch mehr Zeit in Anspruch, bis ein Jugendlicher platziert wurde.» Mittlerweile habe sich dies wieder eingependelt.

Auch der Grundsatz ambulant vor stationär hatte Auswirkungen auf die Nachfrage. Burkhardt findet den Ansatz grundsätzlich richtig. «Doch häufig versucht man bei den Jugendlichen viele verschiedene ambulante Settings. Bis bemerkt wird, dass die gewählte Option nicht zielführend ist und ein stationärer Aufenthalt angezeigt wäre, vergeht viel Zeit. Jedes einzelne Scheitern beeinflusst dann das Selbstwertgefühl des Jugendlichen im negativen Sinn.»

Corona: Jugendliche gehen gut mit der Situation um

Und was löst Corona bei den Männern im Jugenddorf aus? «Wir hatten zu Beginn der Pandemie schon Bauchweh, dass die Situation negative Auswirkungen haben könnte. Doch wir wurden positiv überrascht.» Es seien viele Reize weggefallen. «Die Jugendlichen müssen nicht mehr überlegen, ob sie einer konsumorientierten Aktivität nachgehen wollen. Und da die Situation für alle die gleiche ist, gehen die meisten sehr gut damit um.» Und weiter sagt Burkhardt: «Die Jugendlichen sind kreativer geworden, machen sich mehr Gedanken über sich.» Es habe noch keinen Coronafall im Jugenddorf gegeben. «Alle halten sich sehr gut an die Schutzmassnahmen. Ausserdem schleichen sich kaum noch Jugendliche davon. Dieser Reiz ist weggefallen, da man derzeit gar nirgends hin kann.»

Eingeschränkt wird das Leben im Jugenddorf insbesondere in den Gruppenaktivitäten, die nur noch in kleinem Rahmen durchgeführt werden. Und Sport darf nur noch ausserhalb der Turnhalle betrieben werden. Doch die Jugendlichen sind nicht eingesperrt: «Jeden Donnerstag nehmen wir Kontakt mit den Familien auf. Gibt es keine Erkrankungen und Symptome, dürfen die Jugendlichen weiterhin übers Wochenende nach Hause gehen.»

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