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Luzern

Helvetisches Kulturgut

Alt CVP-Nationalrat Ruedi Lustenberger schwelgt sich in unserer Landkolumne «Landauf Landab» in Kindheitserinnerungen.
Ruedi Lustenberger, Alt CVP-Nationalrat aus Romoos.

«Mueti, d’Chatz het mer d’Cervela ewäg gno!» Dieser Satz gehört zu meinen ältesten Kindheitserinnerungen. Es war im Sommer 1953. Zwei Mal die Woche kommt die Frau des Metzgermeisters aus Entlebuch nach Romoos auf die «Kehri» und bringt Fleisch- und Wurstwaren zu den Kunden. Ungeduldig passe ich jeweils am Stubenfenster, denn sie hat für den dreijährigen Wildfang stets ein grosses Wursträdli parat. Das mundet herrlich, noch besser als ein Sugus. Klar doch, Fleisch kommt nicht alle Tage auf den Tisch; dafür gibt’s viel Kartof-feln, Gemüse und Obst aus Mutters Garten.

Mutter kauft für einmal fünf Cervelats am Ring. Meine Freude darüber ist so gross, dass ich kurzentschlossen das «Dittiwägeli» der kleinen Schwester behändige – das Bäbi hinaus, den Wurstring hinein und sorgfältig zudecke. So kurve ich mit der kostbaren Fracht fröhlich durch die Wohnung. Nach ein paar Runden ist genug, ein anderes Spielzeug hat nun Priorität. Einsam und verlassen steht das Wägeli in einer Ecke. Gefühlte zehn Minuten, dann der Schreck. Unsere Katze hat sich unbemerkt des Inhalts bedient und kaut genüsslich an meinem Cervelat. Von einem Wimpernschlag zum andern hat sich mein liebes Tigerli in einen hinterlistigen Räuber verwandelt.

Dieses schaurig schöne Geschichtlein ging mir durch den Kopf, als ich die Posse vom Cervelat Verzicht am Schlussfest einer Aargauer Primarschule las. Ob die Schüler dort gleich empfunden haben wie ich damals?

Jedenfalls ein Beispiel mehr, dass des Schweizers liebste Wurst ihm nicht einfach Wurst ist. Kaum einer, der nicht eine spezielle Erinnerung an sie hat. Ich weiss seit 65 Jahren, dass der Cervelat bestes helvetisches Kulturgut ist. Dank meiner schlauen Tigerkatze.

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