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Luzern

Hat Albert Einstein in Kriens gewohnt?

Vor 100 Jahren soll der grosse Physiker an die Luzernerstrasse 57 gezogen sein. Ob das stimmt, ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Belegt ist dagegen, dass er sich mehrmals in der Region aufgehalten hat.
In diesem Gebäude an der Luzernerstrasse 57  soll das Physik-Genie Albert Einstein gelebt haben. (Bild: Dominik Wunderli (Kriens, 16. August 2018))

Stefan Dähler

Der «schrullige, nervöse und temperamentvolle Lehrer war selten rasiert und immer ungepflegt. Dessen Auftritt auf der Strasse wurde bald zum Gaudi für die Buben aus der Nachbarschaft». Diese Zeilen sind am 17. August 1965 im «Luzerner Tagblatt» erschienen. Thema des Artikels: Der grosse Physiker Albert Einstein soll von 1918 bis 1922 in Kriens gewohnt haben.

In der Villa Bertha an der Luzernerstrasse 57, auch Villa Flammarion genannt, habe Einstein rund 15 Studenten unterrichtet – und sich «mit grösster Liebe und Sorgfalt» um den Garten gekümmert. Als Vogelscheuchen verwendete er scheinbar Chiantiflaschen mit Quecksilber in der Innenseite, damit diese in der Sonne glänzten. «Da junge Krienser echte Lausbuben sind, fielen diese Vogelscheuchen oft gezielten Steinen zum Opfer, es sei denn, der schrullige Professor verscheuchte die Lümmel eigenfüssig», schrieb der Tagblatt-Journalist. Und fügte mit spitzer Feder an: «Nur, man kann nicht in Physik und Sprint eine Kapazität sein.» Vielleicht hat auch das Quecksilber im Garten dabei eine Rolle gespielt.

Längerer Aufenthalt in der Schweiz

Tatsächlich hat Albert Einstein längere Zeit in der Schweiz gewohnt: zwischen 1895 bis 1914, unter anderem in Bern oder Zürich. Er habe anfangs in «sehr bescheidenen Verhältnissen» gelebt und auch mehrmals den Wohnort wechseln müssen, heisst es auf Anfrage beim Einstein Museum in Bern. Belege für einen Aufenthalt in Kriens gebe es aber keine.

Zeitlich liegt dieser auch etwas quer in der Landschaft. 1918, bei seinem angeblichen Umzug in die Villa Bertha, war der damals 39-jährige Einstein bereits ein renommierter Wissenschaftler. 1922 wurde ihm der Nobelpreis für Physik verliehen. Während dieser Zeit war er als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin tätig. Ob der im «Tagblatt» dargestellte Sachverhalt tatsächlich zutrifft, ist daher unwahrscheinlich.

Der Artikel basiert auf den Aussagen eines Zeitzeugen, damals rund 60-jährig, der dem Autor Episoden aus seiner Kindheit erzählt hat. Gemäss dem Krienser Historiker Jürg Studer, der mit einem Verwandten des damaligen Zeitzeugen Kontakt aufgenommen hat, handelt es sich um eine erfundene Geschichte.

«Da junge Krienser echte Lausbuben sind, fielen diese Vogelscheuchen oft gezielten Steinen zum Opfer, es sei denn, der schrullige Professor verscheuchte die Lümmel eigenfüssig.»

Heute gehört die Villa Bertha der katholischen Kirchgemeinde Kriens, sie hat es 1994 von einer gewissen Leonie Anna Ida Troxler als Schenkung erhalten. Es befinden sich Mietwohnungen darin. Er habe auch schon von diesen Einstein-Geschichten gehört, sagt ein Mitarbeiter der Kirchgemeinde auf Anfrage unserer Zeitung. Dass die Villa tatsächlich Einsteins fester Wohnsitz gewesen war, ist auch aus seiner Sicht sehr unwahrscheinlich. Es sei höchstens denkbar, dass der Physiker sich mal in der Villa Bertha aufgehalten habe.

Das Gebäude wurde 1906 bis 1908 von Ambros Zgraggen erbaut. 1918 liess es der ungarische Astronom Eugène de Krudy zur Sternwarte Flammarion – benannt nach dem französischen Astronomen Camille Flammarion – umbauen, wobei in anderen Quellen Julius Jossel-de Krudy als Bauherr genannt wird. Wie auch immer, die Sternwarte befand sich in der Kuppel.

Einsteins Schwester wohnte in Luzern

Es habe sich um eines der lichtstärksten Teleskope in jener Zeit in der Schweiz gehandelt, heisst es auf Anfrage beim Museum im Bellpark, wo auch keine Belege für Einsteins Aufenthalt in Kriens bekannt sind. Doch mit dem Teleskop hätte der Physiker, der sich in seinen Forschungen bekanntlich mit dem Weltall befasste, beruflich einen Grund gehabt, sich in der Villa aufzuhalten.

Wofür es aber tatsächlich Belege gibt, ist, dass Albert Einsteins Schwester Maja zu dieser Zeit ganz in der Nähe wohnte – im Luzerner Brambergquartier. Aus Briefen im Einstein-Archiv in Jerusalem ist ersichtlich, dass auch Albert sich mehrmals dort aufgehalten hat. Er unternahm Ausflüge, etwa eine Schifffahrt nach Weggis oder aufs Stanserhorn über das Nebelmeer, wo es «hinreissend schön» gewesen sei und ärgerte sich über langsame Postverbindungen. Seine Mutter Pauline lebte zudem 1919 aufgrund ihres Krebsleidens einige Monate im Luzerner Sanatorium Rosenau, Albert besuchte sie dort regelmässig. Kurz vor ihrem Tod wurde sie nach Berlin verlegt.

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