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Luzern

Grosse Unzufriedenheit unter den Lehrern: Sek-Modell der Stadt Luzern gerät unter Beschuss

Als einzige Gemeinde im Kanton lässt die Stadt Luzern auf der Oberstufe auch Deutsch und Mathematik in der Stammklasse unterrichten und nicht getrennt nach Niveaugruppen. Eine Evaluation stellt diesem Modell nun ein durchzogenes Zeugnis aus.

Die Zahlen lassen aufhorchen: 42 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer stehen dem Konzept der Integrierten Sekundarschule der Stadt Luzern (eher) nicht positiv gegenüber. 60 Prozent erleben diese Schulform als (eher) belastend. Gut die Hälfte gibt dem Lernertrag im Stammklassen-Unterricht eine (eher) negative Rückmeldung.

Dies und weiteres offenbart eine Evaluation des städtischen Schulmodells. Erstellt wurde sie von der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. Rund 140 Lehrpersonen, 500 Eltern und über 1000 Schülerinnen und Schüler wurden schriftlich sowie vereinzelt auch mündlich befragt.

«Radikale Umstellung ist ein Wagnis»

Der Hintergrund: Luzern führte mit dem Start des Schuljahrs 2016/17 die Integrierte Sekundarschule ein. Bei diesem Modell sind die Schulklassen nicht nach Leistungsniveau (A, B und C) getrennt. Als einzige Gemeinde im Kanton lässt die Stadt Luzern seither auch Deutsch und Mathematik in der Stammklasse unterrichten, nur in Französisch und Englisch werden Niveaugruppen gebildet. Das bedeutet: In derselben Mathematikstunde sitzen leistungsstarke Schüler des Niveaus A zusammen mit Kollegen der Niveaus B und C. Gerade in diesen beiden Fächern zeigt die Evaluation: Im Fach Deutsch gibt es in der 9. Klasse, in Mathematik in der 8. Klasse jeweils einen signifikanten Leistungsabfall.

Handlungsbedarf bei Deutsch und Mathematik

Die Evaluation resümiert: «Die radikale Umstellung auf das Modell der integrierten Sekundarschule ist ein Wagnis, auf das sich die Stadt Luzern eingelassen hat.» Doch noch sei es zu früh, um erneut einschneidende Reformen zu ergreifen. Gerade punkto Mathematik empfiehlt man aber, systematisch Daten zu erheben, um die Entwicklung der Kompetenzen beobachten zu können. Die Autoren mahnen: Die letzten Jahre der Volksschule seien für Schülerinnen und Schüler wegweisend. «Für sie zählt jedes einzelne Jahr einer Reform.»

Dass dem Sek-Modell ein durchzogenes Zeugnis ausgestellt wird, kommt für Volksschulrektorin Vreni Völkle wenig überraschend. «Eine Reform wie die integrierte Sekundarschule verändert die Schule grundlegend. Es dauert rund zehn Jahre, bis eine solche verankert ist.» Dass beim Deutsch- und Mathematikunterricht Handlungsbedarf bestehe, habe man kommen sehen. «Dieser Punkt war bereits vor der Einführung der meist diskutierte.»

Potenzial für Verbesserung sieht sie unter anderem bei den Lehrmitteln: Diese seien «noch nicht optimal» auf den binnendifferenzierenden Unterricht ausgelegt. «Die Lehrpersonen müssen deshalb viel Material selber erarbeiten.» Gleichzeitig betont Völkle: «Signifikant heisst, dass die Leistungsveränderungen messbar sind und dass wir deshalb genau hinschauen müssen. Signifikante Veränderungen in einzelnen Fachbereichen bedeuten aber nicht, dass wir deswegen das ganze System in Frage stellen sollen.»

Schwächere Schüler werden weniger stigmatisiert

Für Vreni Völkle steht fest: Es braucht weiterhin Unterstützung für die Lehrpersonen, die die massgebliche Arbeit für das Gelingen der Reform leisten. «Dies ist im anspruchsvollen Schulalltag nicht einfach, vor allem dann, wenn Zweifel aufkommen.» Dennoch sei die integrierte Sekundarschule «das richtige Modell, um die heutigen Herausforderungen zu meistern», so Völkle. «Dies bestätigt auch der Bericht.» Eltern schätzen die heterogene Zusammensetzung der Klassen und glauben, dass dies den Schülerinnen und Schülern auch in der Entwicklung ihrer Sozialkompetenz zugutekommt. Gerade schwächere Schüler profitieren laut Lehrpersonen fachlich vom Stammklassen-Prinzip und würden weniger stigmatisiert, während Mütter und Väter von starken Schülern befürchten, dass diese zu kurz kommen. Völkle kontert:

«Gerade die guten Schülerinnen und Schüler werden dank selbstorganisiertem Lernen, Projektunterricht, Aufgaben- und Lernbegleitung intensiv gefördert.»

Ausgelöst durch die Recherche dieser Zeitung hat die Stadt Luzern die Evaluation nun öffentlich auf ihrer Website publiziert. Bloss: Der Bericht wurde bereits im Oktober 2019 fertiggestellt – warum wartete man so lange zu? Ursprünglich habe man im Frühling entscheiden wollen, welche Massnahmen aufgrund der Empfehlungen der Evaluation zu treffen sind, um mit der Publikation des Berichts die Beteiligten gleichzeitig über das weitere Vorgehen zu informieren, sagt Völkle. Denn die auf drei Jahre befristete Ausnahmebewilligung des Regierungsrates sei nun ausgelaufen. «Leider kam es in diesem Prozess, unter anderem wegen Corona, zu Verzögerungen.» Nun soll der Entscheid bis Ende Jahr fallen.

Kanton hat Speziallösung verankert

Im April beschloss die Regierung, dass neu für alle Gemeinden die Möglichkeit besteht, entweder Deutsch oder Mathematik ohne Niveautrennung zu unterrichten. «Diese Lösung trägt der Tatsache Rechnung, dass es unter Umständen in einer Schule mit zahlreichen fremdsprachigen Lernenden schwierig ist, Deutsch in der ganzen Klasse zu unterrichten», sagt Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung. «Bei Mathematik funktioniert Binnendifferenzierung besser, da die Sprache nicht gleich stark von Bedeutung ist.» Wie Völkle wertet auch Charles Vincent die Ergebnisse der Evaluation nicht als gravierend.

«Immerhin sind bereits 50 Prozent der Lehrpersonen mit dem Modell zufrieden. Das ist eine deutliche Zunahme gegenüber dem Start des Pilotprojekts.»

Vincent wehrt sich gegen den Vorwurf, zu Gunsten der Förderung von schwachen Schülern nehme man eine Einbusse bei den starken Schülern in Kauf. «Forschungsergebnisse oder auch die Luzerner Stellwerk-Resultate zeigen deutlich, dass auch stärkere Lernende in heterogenen Klassen profitieren.» Und auch er betont: Bis eine Schulentwicklung etabliert sei, brauche es Zeit. Die Akzeptanz des Modells könne erhöht werden, wenn künftig Deutsch oder Mathematik in Niveaugruppen unterrichtet würde, allenfalls je nach Zusammensetzung der Lernenden unterschiedlich in den einzelnen Schulhäusern.

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