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Göschener Fasnacht: Der Polizist wird in den Keller gesperrt

Der «Faschingclub» wird 75 Jahre alt. Die drei einheimischen Fasnachtskenner Remo Jäger, Bernhard Gamma und Ruth Stadler erinnern sich an Geschichten, wie sie nur die fünfte Jahreszeit schreiben kann.

29 Fasnächtler waren es, die am 17. Februar 1944 den Faschingclub Göschenen gründeten. Seit 75 Jahren organisiert der Verein das viertägige Dorffest. Wie sich die Fasnacht verändert hat, erzählen drei einheimische Kenner.

Im Keller seines Hauses bewahrt der pensionierte Mechaniker Remo Jäger ein grosses Bild auf. Es zeigt einen Mineur und den Teufel im Kampf um den Teufelsstein. «1974 ging ich mit einem grossen Teufelsstein an den Buffetball und machte dort den ersten Preis», sagt Remo Jäger. «Die Rettung des Teufelssteins war für mich das Ereignis von 1973.» Lange war es nicht sicher, ob der Stein illegal gesprengt werden würde. Für die Verschiebung waren 300000 Franken kalkuliert, was einen Unbekannten erzürnte. Er malte in grossen Buchstaben «300000 Franken zum Teufel» auf den Stein. Darum wurde der Stein bewacht. «Sager Sepp», der Wirt des Restaurants Säge, war ängstlich. «Als er einmal beim Teufelsstein Wache stand, schlichen sich einige nachts an und jagten ihm mit Raketen einen tüchtigen Schrecken ein», erzählt Jäger. «Das war einer von vielen Streichen, die damals im Dorf üblich waren.»

Bahngäste zahlen mit Lire und D-Mark fürs Ständchen

Die offizielle Fasnachtseröffnung, das Eintrommeln, fand jeweils am Mittwoch statt. «Man ging mit der Katzenmusik durchs Dorf und war nach halb neun beim Bahnhof», erzählt Jäger. Dort warteten die Fasnächtler auf den Schnellzug Richtung Süden um 20.45 Uhr. «Während der Zug mehrere Minuten im Bahnhof stand, spielten wir den Katzenmusikmarsch. Die Reisenden kurbelten die Fenster herunter und warfen Fünfliber, D-Mark und Lire in unseren ‹Klingelbeutel›.» Dabei handelte es sich um einen drei Meter langen Stab, an dem ein Ledersäckchen befestigt war. «Wechseln konnte man am Bahnhof.»

Gewöhnlich habe man «durchgemacht», denn am Schmutzigen Donnerstag war bereits um 5 Uhr Tagwache. Am Abend fanden die Fasnachtsbälle statt: im «Rössli», im «Gotthard», in der «Sagi», manchmal auch in der «Krone». «Es war streng, man war froh, wenn man sich am Freitag von den Strapazen erholen konnte.» Am Montagabend fand jeweils der grosse Buffetball statt. Im grossen Saal spielte das Orchester, wo auch gegessen wurde. «Die Frauen erschienen im Abendkleid, die Männer in Anzug und Krawatte.» Die Jungen waren im Zweitklassbuffet oder in der Bar untergebracht. «Dort waren die Tessiner und auch schöne Mädchen.» Diese waren mit dem Autozug gekommen. Raymund Gamma, der Wirt des Bahnhofbuffets, bewahrte in der Bar immer ein Fass «Asti» auf. Den Jungen habe er jeweils versprochen, dass sie schon bald den Resten austrinken dürften. «Auf diesen Moment haben wir gewartet.»

«Gaad scho, gaad scho» lautet das Motto

Ein bekanntes Original war der Dorfbäcker und langjährige Präsident des Faschingclubs, Emil Kieliger. «Man nannte ihn den Grotschi», so Jäger. «Wenn er etwas organisierte, war man nie sicher, ob es auch klappen würde.» «Gaad scho, gaad scho» sei dessen Motto gewesen. 1984 war er für die Herstellung der Fasnachtsfigur, dem «Böög», verantwortlich. Normalerweise wurde dieser in der Breite, beim heutigen Coop, verbrannt. Das Holz hatte er nicht bereit, sodass Kieliger improvisieren musste: «‹Gaad scho, gaad scho›, wir werden den ‹Böög› erhängen.» Gesagt, getan: An der Dorfbrücke baute er einen Galgen auf und befestigte daran den «Böög». Mit Dachlatten wurde dieser schliesslich in Brand gesteckt. «Es war im Dorf stockdunkel, der ‹Böög› schwankte hin und her. Vor und zurück. Plötzlich brannte er lichterloh. Das ganze Dorf war beleuchtet. Auf einmal brach der Galgen und der ‹Böög› stürzte in die Reuss.»

Stühle fliegen aus dem Fenster in die Reuss

Während heute nur noch die «Krone» und das Bahnhofbistro im Winter geöffnet sind, gab es früher im Dorf zahlreiche weitere Restaurants. Bis Ende der 1970er-Jahre war die Fasnacht neben der Chilbi das wichtigste Dorffest. «Die Göschener Fasnacht war enorm lebendig», fährt Remo Jäger fort. «Im Dorf war alles auf den Beinen. In einigen Beizen spielten Ländlerkapellen. Man tanzte auf den Tischen, sang zu Schlagern aus der Musikbox, Runden wurden ausgegeben, die Luft war voller Rauch.» Von «Löwen» aus seien Stühle in hohem Bogen durchs offene Fenster in die Reuss geworfen worden. In der «Krone» wurde der Polizist in den Keller gesperrt. Und im «Gotthard» rumpelten Übermütige auf dem Schlitten die Treppe hinunter. «Wenn die Raketen beim ‹Böögverbrennen› nicht abgingen, wurde auch mal mit dem Karabiner in die Luft geschossen.»

«Wie richtige Zigeuner gefühlt»

An die Feckertreffen erinnert sich Bernhard Gamma: «Alle haben mitgemacht, die Wirte, die Geschäftsleute, das ganze Dorf.» Die Idee für diese «Themenfasnacht» hatte Drogist Toni Wiget, ein Schwyzer. «Wir verkleideten uns als Zigeuner, trugen geflickte Kleider, die Frauen viel Schmuck und Kopftücher.» Für die Fasnacht wurden Planwagen gebaut, die mit Koffern und Pfannen gefüllt wurden. Petrollampen wurden befestigt und Wäsche an Leinen zum Trocknen geklammert. Die Fasnächtler zogen die Wagen auf Hornschlitten oder mit Pferden durchs Dorf. Sie flickten Pfannen, schliffen Scheren, schlachteten und rupften gestohlene Hühner. «Mein Vater trug vier junge Hunde in seinem Rückenkorb», erzählt Gamma. «Nach dem Umzug installierten wir uns vor dem Restaurant Siesta. Man trieb allerlei Unfug, stahl Schirme und Pfannen, briet Hühner und becherte tüchtig Chianti. Wir fühlten uns ein bisschen wie richtige Zigeuner.»

Teigmaschine mischt für einmal Beton

Die 83-jährige Ruth Stadler erinnert sich an einige bekannte Fasnächtler: «Da war zum Beispiel Theodor Regli, er arbeitete beim Zeughaus, ein kleiner Mann, der hat sich manchmal mehrmals am gleichen Tag verkleidet.» Ein weiteres Original sei Walti Tresch gewesen, genannt «Miggel-Walti». «Wenn der in Stimmung kam, tanzte er ausgelassen auf den Tischen.» Walti Tresch arbeitete im Eichhof-Bierdepot. «Dort machten sie das Eis noch selber – auf dem Dach des Depots.»

Und da sei der «Schlurggen-Dittli» gewesen, Inhaber eines Schuh- und Kleiderladens. Zusammen mit Oski Kurmann, Leiter eines Elektrogeschäfts, habe dieser unzählige Streiche gespielt. «Es kam vor, dass sie mitten in der Nacht beim ‹Schwarznä› die Küchentür aus den Angeln hoben oder sämtliches Geschirr in die Waschmaschine legten.» Einmal habe der Dorf-Bäcker Zement für eine Mauer in der Teigknetmaschine gemischt, worüber schliesslich das ganze Dorf sprach.

Ruth Stadler könnte noch so manchen Streich von gestandenen Göschenern aufzählen. «Sie waren wie kleine Buben, man liess sie machen, hatte Freude an ihren Ideen.»

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