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Zug

Gemeinde hofft, mit Enteignungen zu den geforderten Sichtweiten zu kommen

Zwei Holzbauunternehmen aus dem Kanton Zug wollen in der Nähe der Knonauerstrasse in der Gemeinde Cham eine Gewerbebaute erstellen. Die Gemeinde und Anrainer im Gebiet Rütiweid streiten seit Jahren. Das offenbaren verschiedene Gerichtsentscheide. Der Chamer Gemeinderat legt nun einen Erschliessungsplan vor.
Die Strasse Rütiweid, die vom Eizmoosweg abgeht: Ein Erschliessungsplan für das Gebiet soll den jahrelangen Streit beenden. (Bild: Stefan Kaiser (Cham, 31. Januar 2022))

Marco Morosoli

In der Bundesverfassung der Schweiz ist die Eigentumsgarantie verbrieft. Diese Garantie gilt aber nicht absolut. Ein höher zu gewichtendes Interesse (Artikel 36 BV) hebelt dieses Grundrecht gleich wieder aus. Die Enteignung passt perfekt in diese Kategorie.

Eine solche Zwangsmassnahme plant der Chamer Gemeinderat, um im Gebiet Rütiweid im Norden der Gemeinde zwei Holzbauunternehmen zu einer gesetzmässigen Zufahrt zu ihrem Grundstück zu verhelfen. Die Baubewilligung für die Arealbebauung Rütiweid datiert vom 16. Dezember 2002. Die gleichzeitig dort geplanten Mehrfamilienhäuser sind längst erstellt. Der Gewerbebau hingegen beschäftigt seit Jahren verschiedene Behörden sowie die Gerichte. Bei diesen Verfahren unterlag die Gemeinde Cham respektive die Bauherrschaft der Gewerbebaute mehrheitlich.

Jetzt hofft der Chamer Gemeinderat auf den finalen Befreiungsschlag in dieser komplexen Angelegenheit. Ein Erschliessungsplan für das Gebiet Rütiweid soll dabei für den Durchbruch sorgen. Die dazu erstellten Unterlagen liegen derzeit – und noch bis am 21. Februar 2022 – öffentlich auf. In der im Zuger Amtsblatt veröffentlichten Anzeige erfährt der Leser, dass es jetzt einen «Erschliessungsplan» Rütiweid geben soll. Das Wort «Enteignung» steht hingegen in dieser neunzeiligen Mitteilung nicht.

Die Gemeinde Cham hofft auf eine Einigung

Marc Amgwerd, er ist Abteilungsleiter Verkehr und Sicherheit bei der Gemeinde Cham, sagt: «Die Gemeinde ist selbstverständlich an einer gütlichen Einigung interessiert. So wird im Falle von Einsprachen zuerst durch die Gemeinde eine Einigungsverhandlung durchgeführt. Allenfalls lassen sich damit für alle Parteien akzeptable Lösungen finden.»

Aber auch die Variante ohne Handschlag zwischen den Parteien hat Amgwerd auf dem Radar: «Die aktuelle öffentliche Auflage dient dem rechtlichen Gehör. Bei Einsprachen führt der Gemeinderat zuerst eine Einigungsverhandlung durch. Erst danach wird der Erschliessungsplan durch den Gemeinderat beschlossen.» Die Zustimmung der Gemeinde ist – wie schon in der Vergangenheit – zu erwarten. Einsprachen dagegen auch.

«Allfällige Beschwerden gegen den durch die Gemeinde Cham beschlossenen Erschliessungsplan werden dann vom Regierungsrat behandelt», erklärt Marc Amgwerd. Der Abteilungsleiter zeigt auch transparent den weiteren Instanzenzug auf. Insgesamt finden sich darauf elf Stationen. Die letzte Klappe fände dann vor der Schätzungskommission statt. Bis anhin sind drei Stufen erklommen.

Die jetzt angedachte Lösung der Gemeinde Cham mit den gesetzmässig korrekten Sichtweiten ist durch ein umfangreiches Verkehrsgutachten belegt. In der Vorprüfung durch das Tiefbauamt des Kantons Zug sind aber immer noch Lücken festgestellt worden. Das zur Baudirektion gehörende Amt weist die Gemeinde zum Beispiel darauf hin, dass alle von der geplanten Einschränkung betroffenen Grundstücke zweifelsfrei zu markieren sind.

Was aus den aufgelegten Plänen für die An- und Abfahrten vom Gelände des geplanten Gewerbeparks weiter hervorgeht: Es sind auch alternative Abfahrten geprüft worden. Unter anderem ist die Idee aufgekommen, die Lastwagen direkt vom propagierten Gewerbepark in die Knonauerstrasse zu leiten. Dies geht nicht, weil ein Gebäude im Weg steht. Die zuständigen Organe haben auch eine Art Ringstrasse um die Rütiweid geprüft. Ohne Erfolg, denn auch dieser Lösungsansatz erwies sich als Sackgasse. So sei nur noch die jetzt verfolgte Variante umsetzbar. Schon das Zuger Verwaltungsgericht hat in einem früheren Entscheid festgestellt, dass «ohne Ausweitung des Knotens Eizmoosweg/Zufahrtsstrasse Rütiweid unter Berücksichtigung der erforderlichen Sichtweiten weiterhin keine ausreichende, praxisgerechte und sichere Zufahrt» vorliege.

Eine zeitgerechte Lösung – nach 20 Jahren?

In einem Protokollauszug einer Gemeinderatssitzung von Anfang Januar 2022 sorgt eine interessante Passage für Aufmerksamkeit: «Die Gemeinde ist für zeitgerechte Erschliessung der Bauzonen verantwortlich.» Diese im Planungs- und Baugesetz (PBG) des Kantons Zug festgeschriebene Aufforderung steht nicht erst seit gestern in diesem Regelwerk. Nachweislich hat es sie schon 2011, und wohl auch schon in noch älteren Gesetzesfassungen, gegeben. Zur Erinnerung: Die Baubewilligung für den Komplex Rütiweid ist 2002 ergangen.

Was aus den aufgelegten Plänen zum Erschliessungsplan Rütiweid zudem hervorgeht: Der Eizmoosweg mündet dereinst direkt in einen Kreisel der Umfahrung Cham–Hünenberg. Doch zuerst sind von den involvierten Stellen andere Hausaufgaben zu erledigen. Ein staatlicher Eingriff in die Eigentumsgarantie ist gemäss Lehre und Rechtssprechung streng normiert. Es braucht für den Eingriff eine genügende gesetzliche Grundlage, ein ausreichendes öffentliches Interesse und die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit. Das sind allesamt Erfordernisse, welche Raum für Interpretationen lassen. Zudem: Auf der als Zufahrt für den Schwerverkehr vorgesehenen Strasse gilt weiterhin Tempo 30. Fussgänger aller Altersklassen nutzen sie auch weiterhin. Das Erfordernis der Sichtweite ist erfüllt, aber wie steht es um das Thema Sicherheit?

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