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Luzern

Gefährdetes Grün mitten in Luzern: Wie sich der Gigeliwald langsam von den Sturmschäden erholt

Bis heute setzen die verheerenden Stürme der vergangenen Jahre dem Luzerner Stadtwald zu. Doch der natürliche Kahlschlag bietet auch Chancen. Ein Spaziergang mit dem Stadtoberförster.
Im Gigeliwald hat ein grosser Holzschlag stattgefunden. Oberförster Raphael Müller (rechts) führt Journalist Christian Meier durch eine Waldlichtung. (Bild: Nadia Schärli (Luzern 17. Februar 2021))
Stadtoberförster Raphael Müller.
(Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 21. April 2020))
Stadtoberförster Raphael Müller in einer der sogenannten Altholzinseln. (Bild: Nadia Schärli (Luzern 17. Februar 2021))
Jungwald braucht Schutz: Aufforstung im Gigeliwald. (Bild: Nadia Schärli (Luzern 17. Februar 2021))

Christian Peter Meier

Christian Peter Meier

Christian Peter Meier

Christian Peter Meier

Strünke mit noch hellbrauner Schnittfläche zeugen von einer kürzlichen Fällaktion. Selbst der Laie sieht: Hier, an einem der Zugänge zum Gigeliwald, verschwanden einige grössere Bäume:

Es handelte sich vor allem um exponiert stehende Buchen, die von diversen Krankheiten befallen waren. Buchenrindennekrose, Brandkrustenpilz, Stammverletzungen. Dies erfährt, wer eines der aufgehängten Infoblätter liest. Und überdies, dass der «Sicherheitsholzschlag zu Gunsten der Busendstation Obergütsch» stattgefunden habe. Die Blätter stammen von Raphael Müller, Stadtoberförster der Korporation Luzern.

An diesem sonnigen Vorfrühlingsmorgen hat sich Müller genau hier mit einer Fotografin und einem Journalisten der «Luzerner Zeitung» verabredet. Man spürt sofort: Raphael Müller ist es ein Anliegen, nicht nur per sprödem Aushang über die Entwicklungen in diesem Naherholungsgebiet zu informieren. «Am liebsten würde ich eine öffentliche Führung veranstalten», sagt er und stellt bedauernd fest, dass dies im Moment leider nicht möglich sei.

Der Stadtoberförster weiss aber auch, dass er mit Blick auf diesen in verschiedener Hinsicht exponierten Wald gar nicht genug informieren kann. Was hier läuft, interessiert viele Luzernerinnen und Krienser. Denn der Gigeliwald liegt quasi mitten in der Stadt:

Die umliegenden Quartiere stehen gleichsam in Konkurrenz zu ihm, die Siedlungszone reicht bis dicht an den Waldrand. Wenn die Forstwarte hier ihre Motorsägen anwerfen, wirft das rundherum Fragen auf. Oft kritische. Raphael Müller sinniert:

«Der Wald, ganz besonders der Gigeliwald, ist für viele Menschen ein Rückzugsgebiet, in dem sie nicht gestört werden wollen und das sich möglichst nicht verändern soll.»

«Burglind» setzte dem Wald zu

Dieser Wunsch steht im Widerspruch zur Waldbewirtschaftung, deren Ziel es ja grundsätzlich ist, Bäume zu ernten und gleichzeitig den Wald zu pflegen. Doch im Gigeliwald ist derzeit an normale Waldbewirtschaftung ohnehin nicht zu denken. Denn für die mit Abstand grössten Veränderungen ist hier die Natur verantwortlich. Verschiedene Stürme sorgten für beträchtliche Lücken im Waldbestand: 2010 legte ein heftiger Gewittersturm rund zwei Hektaren komplett frei und sorgte auch in den umliegenden Bereichen für beträchtlichen Schaden. 2018 setzten «Burglind» und 2019 ein Sommersturm das zerstörerische Werk fort.

Damit nicht genug: Die offenen Flanken bieten nun auch harmloseren Stürmen Angriffsfläche. Stadtoberförster Müller:

«So manch älterer, exponiert stehender Baum ist latent bedroht.»

Umso mehr, als ein Teil des Bestandes geschwächt sei. Das wiederum hat unter anderem mit der Klimaerwärmung zu tun. Der Buche wird es allmählich zu heiss bei uns. Besonders die zunehmenden Trockenperioden im Sommer setzen ihr zu. Ebenso wie der Fichte mit ihrem flachen Wurzelwerk, die vermehrt ein Opfer des Borkenkäfers wird. Aber auch die Weisstanne hat zunehmend Mühe. Ausserdem bedrohen spezifische Krankheiten Arten wie die Esche oder die Kastanie. Diese Tatsachen geben dem Stadtoberförster zu denken: «Vor allem, weil die Bäume sehr viel schneller negativ auf die neuen Bedingungen reagieren, als wir noch vor wenigen Jahren gedacht haben.»

Was also ist zu tun? Zur Beantwortung dieser Frage führt Raphael Müller die Besucherin und den Besucher durch verschiedene Bereiche des Waldes. Erste Station ist ein intakter Waldabschnitt mit altem Baumbestand, ziemlich sturmgeschützt und von fast schon mystischer Qualität. Mehrere mächtige, weit über hundertjährige Buchen prägen die Szenerie:

«Hier haben wir eine von mehreren sogenannten Altholzinseln definiert», erklärt Müller.

«Wir verzichten auf deren Nutzung und wollen sie bewusst bis zu ihrem Zerfall stehen lassen.»

Dies fördere das Ökosystem, weil gewisse Lebewesen nur auf älteren Bäumen gedeihen könnten, andere wiederum auf Totholz angewiesen seien.

Unweit davon führt der Downhilltrail vorbei, etwas weiter oben ist die bescheidene Infrastruktur eines Waldkindergartens zu sehen, auch Feuerstellen sind vorhanden. Man erkennt: Der Wald ist längst nicht nur für die Ruhesuchenden da. Und man ahnt selbst an diesem ruhigen Werktagsmorgen die wohl unausweichlichen Verwerfungen zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen.

Junge Triebe in schützenden Röhren

Es wird hell auf unserem Spaziergang. Die Lichtung, auf der wir nun stehen, lässt die Urkraft der damaligen Ereignisse noch immer erahnen, auch wenn das meiste Sturmholz längst beseitigt ist. Ebenso wie das Brombeerdickicht, das sich hier schnell breit machte. «Das müssen wir jedes Jahr wieder von neuem schneiden, sonst hätten die frisch gepflanzten Bäume keine Chance», sagt Raphael Müller. Noch etwas anderes prägt die Wiederaufforstung: Jedes der Bäumchen ist in Röhren und Gitter verpackt:

Das sieht nicht besonders schön aus. Doch es ist nötig, damit die jungen Triebe nicht vorzu von den Rehen gegessen werden. Von denen hat es hier übrigens ziemlich viele. Noch eine Anspruchsgruppe – und erst noch eine wenig scheue. Kein Wunder: Die Rehe werden im Gigeliwald nicht gejagt und zeigen sich von den Menschen im Wald ziemlich unbeeindruckt. Was aber wurde hier überhaupt gepflanzt?

«Wir ergänzen die bestehenden Baumarten bewusst durch seltene, klimaresistentere Sorten wie die Kirsche, den Nussbaum, die Waldföhre, die Elsbeere, den schneeballblättrigen Ahorn, die Kastanie, die Winterlinde oder die Hagenbuche.»

Auch Eichen und Lärchen würden weiter gepflanzt. «Und was sich von allein durchsetzt, lassen wir in der Regel auch gedeihen.» So spriessen etwa junge Buchen weiterhin problemlos – auch wenn sich die älteren Bäume mit dem Klima schwer tun.

Etwas weiter unten zeigt sich, wie schnell sich ein solcher Jungwald entwickeln kann. Hier wurde vor rund zehn Jahren aufgeforstet. Nun stehen die quasi adoleszenten Bäume schon in beträchtlicher Höhe. Den Schutz vor Rehen haben sie längst nicht mehr nötig.

«Auch wir Forstleute lieben den Wald»

Die Natur hat im Gigeliwald rabiat und in mehreren Schüben für unübersehbare Veränderungen gesorgt. Diese schmerzen auch Raphael Müller, zumal er ahnt, dass der Prozess noch nicht abgeschlossen sein dürfte. Doch er sieht auch die Chancen des nun vielfältigeren Waldes:

«Nur wenn das Alte an gewissen Orten weicht, wenn Licht ins Dunkle gelangt, kann hier Neues entstehen.»

Was ein bisschen tönt wie ein Kalenderspruch, trifft hier eins zu eins zu. Trotzdem steht Müller nicht in erster Linie für Umbruch, sondern verspricht, sehr sorgfältig mit dem öffentlichen Wald umzugehen: «Wir Forstleute lieben die Bäume und den Wald. Es ist unser Leben.»

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