Kilian Küttel
Herr Schneider, Anfang 2020 bezifferten Sie den Anteil der Schattenwirtschaft in der Schweiz auf 5,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Ende Jahr lag er bei 5,9 Prozent. Wieso diese Zunahme?Nicht nur in der Schweiz, auch im übrigen Europa ist der Anteil gestiegen. Aufgrund der Lockdowns in den europäischen Wirtschaften werden viele Betroffene versuchen, die erlittenen Einkommensverluste durch Schwarzarbeit zu kompensieren. Somit dient die Schattenwirtschaft auch als Puffer. Ohne sie wären die wirtschaftlichen Einbussen durch die Coronapandemie wohl noch grösser.Verglichen mit unseren Nachbarn weist die Schweiz den niedrigsten Anteil der Schattenwirtschaft am BIP aus. Dennoch breiten sich nach Aussagen von Branchenvertretern kriminelle Strukturen und Schwarzarbeit aus, etwa im Zentralschweizer Bauwesen. Überrascht Sie das?Nein, ganz und gar nicht. Das Baugewerbe war nebst der Gastronomie und der privaten Beschäftigung in Kinderbetreuung und Haushalt schon immer ein Hotspot für Schwarzarbeit – und wird es immer bleiben. Solche Systeme, wie Sie sie schildern, kann man auch in Österreich und anderen EU-Ländern beobachten.Heisst, wir haben ein Problem?Man muss sich beim Phänomen Schwarzarbeit immer fragen, wer verliert und wer gewinnt. Der grösste Verlierer ist der Staat, dem Sozialversicherungsbeiträge entgehen. Gleichzeitig aber profitieren wir als Individuen. Damit meine ich jeden, der schwarzarbeiten lässt oder der schwarzarbeitet. Viele Eigenheime gäbe es ohne Schwarzarbeit nicht. Besonders in der Schweiz mit dem hohen Lohnniveau ist es schlicht nicht realistisch, wenn man glaubt, ein Haus wird vom ersten Spatenstich bis zum letzten Pinselstrich ohne Schwarzarbeit gebaut. Nur muss man auch wissen: Zwei Drittel des schwarz verdienten Geldes fliessen über Ausgaben zurück; auch die Steuerverluste für den Staat relativieren sich bis zu einem gewissen Grad, weil das Geld später ordentlich versteuert wird.Sie sagen, in der Schweiz wird kaum ein Haus ohne Schwarzarbeit gebaut. Also muss man davon ausgehen, dass auf jeder Schweizer Baustelle Kriminelle hinter der Arbeit stecken?Nein. 66 Prozent der Wertschöpfung, die mit der Schwarzarbeit erwirtschaftet wird, kommt von Personen, die selbstständig oder unselbstständig sind, die also die volle Steuer- und Abgabenlast tragen und nur die schwarzen Überstunden nicht versteuern. 17 Prozent der Schwarzarbeit leisten Arbeitslose oder Pensionierte. 16 Prozent entfallen schliesslich auf das organisierte Verbrechen wie etwa im Bereich der Prostitution oder eben im Bauwesen.Was müsste man Ihrer Ansicht nach tun, um die unerwünschten Folgen der Schwarzarbeit nachhaltig einzudämmen?Hier kann ich nur für Österreich reden, wobei die Lage in der Schweiz vergleichbar sein wird. Wenn man die Auswirkungen der kalten Progression umgehen würde, liesse sich der Anteil der Schattenwirtschaft in Österreich um bis zu 500 Millionen Euro im Jahr reduzieren (als kalte Progression wird das Phänomen bezeichnet, bei dem Arbeitnehmer aufgrund des Teuerungsausgleichs in eine höhere Steuerklasse kommen, ohne über mehr Kaufkraft zu verfügen; Anm. d. Redaktion.). Weiter müssten haushaltsnahe Dienstleistungen und Investitionen im Haushalt bis zu 2000 Euro pro Jahr steuerlich abgesetzt werden können. Eine Senkung der Lohnnebenkosten würde ebenfalls weniger Anreize für Schwarzarbeit bieten. Und schliesslich müssten Unternehmen für drei bis fünf Jahre für öffentliche Aufträge gesperrt werden, wenn sie schwarzarbeiten lassen (diese Möglichkeit ist im Schweizer Bundesgesetz über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit vorgesehen, Anm. d. Red.).