Marco Morosoli
«Du hast viel in dich investiert. Mach was Grosses. Beweg die Schweiz.» Das ist die Botschaft eines kurzen SBB-Films über einen neuartigen Ansatz bei der Teamführung:
Die Hauptdarstellerinnen in diesen bewegten Bildern sind Gwendolyn Gisler (39) und Linda Trapletti (23). Die beiden Frauen teilen sich die Führung des neunköpfigen Teams, welches die SBB-Reisezentren in Rotkreuz, Cham und Baar an sechs Tagen in der Woche betreibt.
Das Spezielle an dieser Konstellation ist, dass Linda Trapletti (60 Prozent) und Gwendolyn Gisler (50 Prozent) Teilzeit arbeiten. Das Modell der Doppelspitze unter diesen Gegebenheiten funktioniert gut. Dies sagt Andreas Schwengeler im vorerwähnten SBB-Film. Er ist SBB-Vertriebsgebietsleiter der Zentralschweiz und hat die beiden Frauen zusammengebracht:
«Ich hatte die beiden Mitarbeiterinnen schon lange auf dem Radar.»
Schwengeler stellt nicht in Abrede, dass der Aufwand für das Zuger Team am Anfang umfangreicher gewesen sei. Der Schlüssel für das Gelingen eines solchen Stellenmodells ist für Andreas Schwengeler, dass «die Beteiligten sehr offen miteinander kommunizieren können». Dann können alle «von diesem System nur profitieren».
Das ist umso erstaunlicher, weil sich die beiden Fachfrauen zwar in regelmässigen Abständen sehen, doch abseits dieser Tage in Doppelbesetzung in Eigenregie entscheiden müssen. Dabei gilt es, die gemeinsam definierten Führungsleitlinien zu beachten.
Stelle ermöglicht berufsbegleitendes Studium
Die zugerische SBB-Doppelspitze könnte nicht unterschiedlicher sein. Gwendolyn Gisler wohnt im Urnerland und ist Familienfrau. Derweil steckt ihre Kollegin Linda Trapletti aus Steinhausen noch voll in einer Ausbildung. Die Stellenaufteilung im Führungsbereich ermöglicht ihr ein berufsbegleitendes Studium. So gesehen profitiert die 23-Jährige gleich doppelt. Ihr Studiengang Wirtschaftspsychologie beinhaltet viele Module, welche bei der Arbeit mit den Kunden, mit dem Team sowie auch für administrative Arbeiten sehr nützlich sind.
Ohne Motivation könnte aber die praktizierte geteilte Führung der Zuger Teams auch nicht funktionieren. Gwendolyn Gisler sagt:
«Ich stehe täglich vor kleinen und grösseren Herausforderungen.»
Das breite Spektrum, welches ihre Arbeit abdecke, führe zwar immer wieder zu neuen Fragen. Diese schrecken aber Gisler in keiner Weise ab. Da sie wie ihre Teamleitungskollegin immer auch noch an der Front arbeitet, bemerkt sie natürlich schneller, sollte irgendwo in der Kundenbetreuung der Schuh drücken.
Breites Fachwissen ist auch heute noch ein wichtiges Arbeitsinstrument
Diese Abwechslung mit dem Tragen von verschiedenen Hüten schätzt Linda Trapletti sehr. Es lasse sich kaum vermeiden, dass sie bei einem Einsatz in einem der drei Reisezentren ab und an die falsche Schublade öffne. Aber das gehöre einfach dazu. Ein breites Fachwissen, im Speziellen Kenntnisse in Schweizer Geografie, so Trapletti, sei sehr hilfreich. Noch besser sei es, zu «wissen, wo ich suchen muss, um die Antwort auf eine Frage zu finden».
Ihre Kollegin Gwendolyn Gisler pflichtet ihr bei und streicht einen anderen Aspekt heraus: «Es ist sehr wichtig, sich für den Kunden Zeit für die Beratung zu nehmen.» Dazu gehöre zum Beispiel auch, die Möglichkeiten in der SBB-App aufzuzeigen, damit der potenzielle Kunde für Billette und viel anderes, das kurzfristig erledigbar ist, sich nicht mehr in der Warteschlange einordnen muss.
Angst, dass es ihren Job dereinst nicht mehr geben könnte, haben die beiden Führungsfrauen nicht. Gwendolyn Gisler sagt es so:
«Den persönlichen Kontakt mit den Kunden wird es immer geben.»
Ihre jüngere Kollegin ortet «eine Veränderung des Berufsbildes», jedoch keine Maschine, welche die Beratung übernimmt. Fakt ist, dass die Reisezentren vor allem bei komplizierteren Anfragen nach wie vor die erste Anlaufstelle für die SBB-Kundschaft sind.
Beide Fachkräfte arbeiten gerne bei den SBB. Linda Trapletti ist sich bewusst, dass sie noch wenig Führungserfahrung habe. Sie und Gwendolyn Gisler hätten als Führungsduo bereits Verbesserungsmöglichkeiten geortet. Die Führungskultur der Doppelspitze müsse, so Trapletti, auch laufend analysiert werden. Was die junge SBB-Teamchefin auch schätzt:
«Ich kann mir bei Entscheiden zuerst eine Zweitmeinung abholen.»
Beide sagen auf Nachfrage auch, dass sie sich in der von ihnen gelebten geteilten Führung auf Augenhöhe begegnen.
Auch ein Projekt, bei dem zwei Generationen an einem Strang ziehen
Ebenso wichtig ist neben den geteilten Werten auch, dass die beiden Frauen zwei Generationen abdecken. Als wertvolles Element kommt noch hinzu, dass sich beide in der einen oder anderen Art mit dem öffentlichen Verkehr sozialisiert haben. Sie kommen mit dem Bus oder mit dem Zug zur Arbeit, sind somit nah am Geschehen und wissen daher, was ihre Kunden wollen. Auch das ist ein geteilter Wert, wie ihre Führungsart. Der Leitsatz «Gemeinsam sind wir stark» gilt auf allen Stufen, selbst in einer Führungsposition.