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Fotografisches Gedächtnis Nidwaldens aufgefrischt

Im Nidwaldner Museum sind zurzeit neunzig Schwarzweissbilder des landesweit bekannten Fotografen Leonard von Matt zu bestaunen. Damit lebt eine Welt nochmals auf, die es im Halbkanton seit gut fünfzig Jahren so nicht mehr gibt.

«Der Nidwaldner Fotograf Leonard von Matt hat sein frühes Nidwaldner Werk als ‹Minderwaar› betrachtet», sagt die Historikerin Brigitt Flüeler im Nidwaldner Museum. Fügt dann aber sogleich hinzu: «Wenn er sich nur einmal in seinem Leben geirrt hätte, dann wäre es damit der Fall gewesen!» In der Tat: Die von Kuratorin Patrizia Keller äusserst sorgfältig, aussagekräftig und mit einem Begleittext auch informativ gestaltete Ausstellung im Pavillon und im Winkelriedhaus beweist mehr als eindrücklich das Gegenteil. Davon zeigt sich an der Vernissage auch Museumsleiter Stefan Zollinger überzeugt, als er sagt: «Das Wunderbare an alten Fotografien ist, dass sie uns so direkt in die Vergangenheit führen wie nichts anderes.»

Im Unterschied zur Malerei und alten Zeichnungen aber würden sie etwas abbilden, das wirklich einmal so existiert habe. Selbst wenn der Fotograf mit dem gewählten Ausschnitt die Sicht auf die Welt um sich herum subjektiv einschränke, blieben Fotografien Ausschnitte aus der Wirklichkeit. Eingefrorene und für eine andere Zeit konservierte Momentaufnahmen seien es.

Genau so empfinden es die vielen Besucherinnen und Besucher. Immer wieder hört man: «Ja, genau so hat es auf dem Stanser Dorfplatz einmal ausgesehen, und genau solche Kleider und Hüte haben wir damals getragen!»

Bürgenberg in nostalgischer Sicht

«Es genügt, wenn wir uns einfach vor die Bilder hinstellen und aufmerksam schauen, und schon beginnen sie uns die Geschichte von einem Nidwalden zu erzählen, wie es dieses seit fünfzig Jahren nicht mehr gibt», verspricht Kulturdirektor Res Schmid den Besuchern. Und treten dann diese ihre Entdeckungsreise zu verschiedenen Orten und Themen – vom reichen Brauchtum etwa, der alten Landsgemeinde und Chilbi hin zum Bauernwesen oder zu Schnee und Bergen – an, bleiben sie vor den Bildern immer wieder stehen. Ganz verloren in Gedanken. Lange schauen sie hin: staunend darüber, wie sehr sich die Welt vor der eigenen Haustür gewandelt hat. Oder auch schwelgend in nostalgischen Erinnerungen.

Ein fast magischer Anziehungspunkt ist etwa der Blick vom Ennerberg hinüber zum verschneiten Bürgenberg in den 1940er-Jahren: Bauernhäuser und Scheuern, Obstbäume ohne Zahl sieht man auf der Fotografie. Aber noch gar nichts von den Betonbauten, die heute in dieser einstmals lieblichen Landschaft immer höher klettern. Manch wehmütiger Seufzer wird da laut. Dann wieder hört man im Pavillon heiteres Lachen: dann etwa, wenn man das kleine Mädchen in der Schulsuppe Engelberg entdeckt, einen riesigen Milcheimer zum Mund führt, um ja auch den letzten Tropfen zu kosten! Oder: wenn Vater Mathis vom «Gerbi» ob Wolfenschiessen seine Frau und seine elf Kinder für den Fotografen vor seinem Haus richtig platziert.

Lange verharrt man auch vor den einfühlsam und genau festgehaltenen Porträts, die Lebensgeschichten erzählen: Da ist das auf einem Hag sitzende Marieli Christen aus den 1940er-Jahren mit den langen Zöpfen. Genauso wie jenes des Wolfenschiesser Schlossers und Erfinders «Zingelmänz» samt Tabakpfeifchen. Und erst das berühmte Bild der Wäscherin «Ängelini» mit der obligaten Brissago im Mund, das auch den Umschlag des auf den Ausstellungsbeginn neuen Fotobildbandes ziert, der pünktlich zum Ausstellungsbeginn erschienen ist.

Der Erzähler mit der Kamera

Leonard von Matt hat von 1909 bis 1988 in Stans gelebt. Ermutigt von seiner Ehefrau Brigitte und später unterstützt von seiner Tochter Madeleine, trat der gelernte Buchhändler 1937 den alles andere als Sicherheit versprechenden Weg als Fotograf an. Er begann als Autodidakt, doch schon bald fotografierte Mann mit dem guten Auge für besondere Bilder in Italien, Griechenland, Spanien und Frankreich. Es entstanden über 50 Bildbände: vor allem zur Kunst, Architektur und Religion.

Einer, der Leonard von Matt schon als Kind gekannt und bewundert hatte, ist der Literaturwissenschaftler Peter von Matt. Diesem gelingt es denn auch, Worte zu finden, die das Wesen seines Onkels mit ebenso fotografischer Präzision umschreiben: «Er war einer der freisten Menschen, die ich je gekannt habe», schreibt er. Und lobt dann: «Viele noch unberührte Landschaften, viele Szenen aus dem bald ärmlichen, bald traditionsfreudigen bäuerlichen Leben hat uns Leonard von Matts Kamera erhalten.»

Das beste aus 10 000 Bildern

«Das Frühwerk des Stanser Fotografen Leonard von Matt umfasst etwa 10 000 Bilder», eröffnete Historikerin Brigitt Flüeler den vielen Gästen an der gestrigen Vernissage im Nidwaldner Museum. Zusammen mit dem Kunstschaffenden Jos Näpflin hat sie den reichen Schatz an historisch aussagekräftigen und künstlerisch überaus wertvollen Schwarz-Weiss-Fotografien gesichtet und eine erste Auswahl der besten getroffen. Der neue Fotobildband – herausgegeben im Limmat-Verlag Zürich – zeigt nun 87 grossformatige Abbildungen. Dazu, am Anfang und am Schluss, 32 Archivkarten mit zahlreichen weiteren Sujets. Das Buch überzeugt, grafisch wie textlich. Leonard von Matt lädt mit ebenso viel Fotokunst wie oft auch Augenzwinkern ein zu einer Reise ins Nidwalden zwischen 1936 und 1946. Warum und wie der gelernte Buchhändler zu einem der angesehensten Schweizer Fotografen wurde, erläutern in lesenswerten Erinnerungen und Betrachtungen Brigitt Flüeler, der Literaturwissenschafter Peter von Matt, Sabine Münzenmaier von der Fotostiftung Schweiz und Patrizia Keller vom Nidwaldner Museum.

Hinweis: Leonard von Matt – Frühe Fotografien 192 Seiten mit zahlreichen Fotografien. Limmatt-Verlag Zürich. 58 Franken.

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