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Zug

Finanzdirektor Heinz Tännler: «Der Föderalismus steht auf dem Prüfstand»

Immer wieder sorgte die Machtfülle, mit der der Bundesrat zu Beginn der Coronapandemie ausgestattet war für Irritation – vor allem je länger diese Phase dauerte. Immer wieder wurde die Missachtung des Föderalismusprinzips moniert.
Der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler anlässlich der Medienkonferenz vom 24. März, als die Regierung Massnahmen zur Coronakrise bekannt gab. (Bild: Stefan Kaiser (Zug, 24. März 2020))

Harry Ziegler

Die Coronapandemie hat es aufgezeigt: Der Föderalismus in der Schweiz stösst ab und zu an Grenzen. Eine Arbeitsgruppe der Kantone und des Bundes beschäftigt sich mit aktuellen Fragen dazu. Auch in Zug wird die Föderalismusfrage aufgrund eines Arbeitspapiers aus der kantonalen Finanzdirektion, das unserer Zeitung vorliegt diskutiert. Finanzdirektor Heinz Tännler erklärt, weshalb eine solche Diskussion notwendig ist.

Heinz Tännler, warum diese Diskussion, weshalb gerade jetzt?Seit einiger Zeit zeichnet sich eine Tendenz ab, wonach der Bund Aufgaben und Kompetenzen an sich zieht. Die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen ist denn auch immer wieder Thema. Aktuell befasst sich eine Arbeitsgruppe mit Bundes- und Kantonsvertretern damit. Unter dem Einfluss der Coronakrise zog der Bundesrat eine umfangreiche Machtfülle an sich und regierte im Notrecht durch. Angesichts der Bedrohungslage war dies gerechtfertigt. Dennoch kamen Fragen auf, ob man nicht früher hätte in die Regelstrukturen zurückkehren können. Ist das Modell des Föderalismus denn überholt?Nein, der Föderalismus an sich steht aber auf dem Prüfstand. Ist er angesichts rasant fortschreitender Digitalisierung, internationaler Verflechtung und globaler Herausforderungen noch zeitgemäss, oder ist er ein Relikt einer vergangenen Zeit mit handkolorierter Postkartenromantik? Was ist das Ziel dieser Diskussion?Eine Auslegeordnung zu Stärken und Schwächen des Föderalismus und einer möglichen zeitgemässen Strukturierung desselben tut Not. Die Vorteile des Föderalismus sind offensichtlich, legt doch die Stärke des Erfolgsmodells Schweiz Zeugnis davon ab. Es stellt sich nun die Frage, wie den Schwächen begegnet werden kann, sodass der föderale Bundesstaat agiler aber immer noch subsidiär, volksnah und differenziert auf unvermittelt auftauchende Herausforderungen reagieren kann. Es geht also darum, den Föderalismus zu stärken und fit für die Herausforderungen unserer Zeit zu machen. Dazu ist es aber auch nötig, dass die Vorteile des Föderalismus in der Bevölkerung bekannt sind und seine Akzeptanz gestärkt wird. Das «Problem» in Sachen Föderalismus stellt sich ja nicht nur dem Kanton Zug. Ist geplant ein allfälliges Resultat in den verschiedenen Regierungskonferenzen zur Debatte zu stellen? Als erstes ist eine interne Diskussion und Meinungsbildung angedacht. In welcher Form die Ergebnisse weitergetragen werden sollen, ist noch nicht besprochen. Natürlich ist es aber sinnvoll, die Erkenntnisse zu teilen und die Diskussion weiterzuführen. Können Sie ein, zwei Beispiele machen, wo eine regionale Differenzierung Sinn macht und wo nicht?Auf den ersten Blick mag es irritieren, dass jeder Kanton für sich entscheidet, welche Fremdsprache in der Primarschule zuerst unterrichtet wird. Auf den zweiten Blick ist es allerdings einleuchtend: So wird ein zweisprachiger Kanton oder einer an der Sprachgrenze wohl der anderen Landessprache den Vorzug geben, während in Zug mit starker internationaler Ausrichtung Englisch im Vordergrund steht. Ein weiteres Beispiel ist die ökologische Sanierung von Seen: Einerseits betrifft dies nur Kantone mit Seen, andererseits ist die Betroffenheit unterschiedlich, je nach Höhenlage, umgebender Landwirtschaft, Industrie und Siedlungsdichte. Natürlich können Kantone mit ähnlicher Ausgangslage zusammenarbeiten – und sollten das auch. Es gibt aber auch Herausforderungen, bei denen regionale Differenzierungen keinen Sinn mehr machen und eine fokussierte Bündelung der Kräfte zielführender ist.Zum Beispiel?Ein typisches Beispiel ist Internetkriminalität, die vor Grenzen nicht Halt macht, sondern im Gegenteil sich hinter unterschiedlichen Rechtsnormen versteckt. Hier ist es viel effektiver und effizienter, wenn der Bund die Führung übernimmt. Im Papier steht, dass die Geduld aufgrund erodierenden Wissens um die staatspolitischen Prozesse, schwinde, und ebendiesen Prozessen die nötige Zeit zu geben sei. Wie äussert sich das im politischen Alltag?Globale Ereignisse oder solche, die globale Aufmerksamkeit erregen, können zu importierter Betroffenheit führen und zur unreflektierten Übernahme von ausländischen Verhaltensmustern. Wenn in Ländern mit eingeschränkten Bürgerrechten, Willkür und Diskriminierung, allenfalls kombiniert mit schwachen rechtsstaatlichen Strukturen, die Menschen auf die Strasse gehen, um zu demonstrieren, habe ich dafür Verständnis. Auch wenn dabei Gesetze übertreten werden, die zur Unterdrückung der Opposition dienen. Aber wenn in unserer direkten Demokratie mit ausgebauten Bürgerrechten zu teilweise illegalen Mitteln gegriffen wird, zeigt das, dass das Wissen um die Funktionsweise eines föderalen demokratischen Rechtsstaats fehlt, oder dass es zumindest ignoriert wird. Gerade in einer direkten Demokratie ist es wichtig, dass die Menschen ihre Rechte und Pflichten kennen und sich damit identifizieren. Das hat uns in der Vergangenheit Stabilität und Wohlstand gebracht.Ist es richtig, anzunehmen, dass das Zentralisieren staatlicher Leistungen nur im äussersten Notfall eine Lösung wäre, der Föderalismus eher in Richtung innerkantonaler Kooperationen, beispielsweise Regionen weiter entwickelt werden soll? Falls ja, wie müsste man sich das vorstellen? Und gibt es heute bereits Beispiele einer solchen Weiterentwicklung in Richtung Kooperationen?Das muss man differenziert sehen. Es gibt auch ausserhalb des Notfalls Problemstellungen, die idealerweise zentral vom Bund angegangen werden, weil sie sich in allen Kantonen vergleichbar stellen und die Umsetzungen komplex und sehr teuer sind. Die Zentralisierung vereinfacht die Lösung. Man stelle sich das Chaos vor, wenn jeder Kanton eine eigene Eisenbahn unterhalten würde, womöglich noch mit unterschiedlicher Spurweite. Das schliesst aber nicht aus, dass man in anderen Themen, den Kantonen die Kompetenzen lässt. Diese organisieren sich heute schon in regionalen und thematischen Konferenzen, um sich abzustimmen und mit gemeinsamen Ressourcen Aufgaben zu bewältigen. Konkret arbeitet der Kanton mit den anderen Zentralschweizer Kantonen oder mit Kantonen und Städten des Grossraums Zürich zusammen. Solche Kooperationen können ausgebaut werden.Wann wird das Papier in der Regierung besprochen?Es ist vorerst ein gedanklicher Entwurf, über welchen die Regierung nicht befinden muss, der aber eine Grundlage für fundamentale staatspolitische Überlegungen sein kann. Insofern werde ich es auf informeller Basis einbringen. Was halten Sie persönlich vom Modell Föderalismus?Die Gründung des schweizerischen Bundesstaats 1848 ist eine hochspannende Geschichte. Damals stand unser Land unter hohem innen- und aussenpolitischen Druck. Die neu geschaffenen Strukturen transformierten die Schweiz von einem Entwicklungsland in einen modernen Staat mit hohem Wohlstandsniveau. Das Funktionieren dieser Willensnation sollte an den Schulen vermehrt vermittelt werden, bietet es doch auch heute noch Antworten auf aktuelle Fragen.
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