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Zug

Falsche Steine und Fugen verunstalten den beinahe 125 Jahre alten Zuger Stadtbahnviadukt

Seit dem Fahrplanwechsel am 13. Dezember 2020 fahren wieder Züge auf dem 255 Meter langen Stadtbahnviadukt durchs Zuger Stadtzentrum. Im Zuge einer zusätzlichen Öffnung an der Gotthardstrasse ist an diesem speziellen Objekt jedoch einiges schiefgelaufen.
Das Flickwerk an der Gotthardstrasse.

(Bild: Matthias Jurt (Zug, 06. Januar 2021) )

Marco Morosoli

Die Stadt Zug nutzte die Totalsperre der SBB-Strecke am Zugersee-Ostufer, sie dauerte vom Juni 2019 bis Dezember 2020, um beim nördlichen Trottoir der Gotthardstrasse einen Durchgang zu bauen. Dieses Nadelöhr für den Langsamverkehr war schon lange ein Ärgernis. Mehr noch: Wenn zwei Passanten unter der Eisenbahnbrücke über die Gotthardstrasse kreuzen mussten, blieb oft nur der gefährliche Schritt auf die Verkehrsfläche. So weit, so gut. Wer sich nun aber das einzigartige Mauerwerk nach der Fertigstellung des Durchgangs etwas genauer anschaut, den trifft fast der Schlag.

Ein fachkundiger Zuger, der lange Jahre mit Steinen aller Art zu tun hatte, nimmt kein Blatt vor den Mund: «Das ist Pfusch.» Nach der Einpassung der Elemente, welche den Durchgang bilden, sollte gemäss der Baubewilligung der ursprüngliche Zustand so gut wie möglich wieder hergestellt werden. Da ja der Mini-Fussgängertunnel horizontal wie auch vertikal Raum ausfüllte, hätten eigentlich genügend Steine aus der Brückenverkleidung zum erneuten Verbauen vorhanden sein müssen. Der vorerwähnte Fachmann findet es vor allem stossend, dass die ausführende Baufirma alt und neu einfach mischte. Das sogenannte Zyklopen- und Possensteinwerk, mit dem der Stadtviadukt ausgekleidet ist, zeichnet sich dadurch aus, dass grosse unregelmässige Steine sorgfältig aufeinandergeschichtet sind. Der Stein und nicht die Geometrie sorgt für die Gestalt einer Mauer.

Steine an einem Ort verbaut, wo sie kaum vorgesehen waren

Dieses Prinzip ist nun jedoch rund um den besagten Durchgang durchbrochen. Das Mauerwerk, welches den Stadtbahnviadukt ausmacht, ist beinahe 125 Jahre alt. Der Sandstein stammt zum Teil aus dem Steinbruch Lothenbach zwischen Zug Oberwil und Walchwil. Was diesen Sandstein auszeichnet: Er altert. Die Steine, welche der Bauunternehmer rund um den Durchgang einsetzte, sind, so der Fachmann, jedoch aus Guber-Quarz-Sandstein. Dieser ist nicht nur härter als derjenige aus dem Gebiet Lothenbach, sondern er lässt sich nicht gleich bearbeiten. Der Informant glaubt, dass die beiden Steine nie in der gleichen Art verwittern.

Der Mann mit dem Steinfachwissen kritisiert aber nicht nur die Steine, sondern auch die Scheinfugen. Diese füllten die Bauarbeiter aus und zogen oftmals am Schluss mittig einen Strich. Dies wohl, um eine Scheinfuge zu schaffen. Pfusch am Bau hat der Informant noch an anderen Orten entlang des 255 Meter langen Stadtbahnviadukts festgestellt. Dort treten die Verschlimmbesserungen einfach nicht in einem derartigen Ausmass auf wie beim Mini-Tunnel an der Gotthardstrasse.

Ein indirektes Schuldeingeständnis der Baufirma

Der Stadtingenieur Jascha Hager sagt auf Anfrage, dass er von diesem Vorgang Kenntnis habe: «Wir haben uns mit dem Bauunternehmer getroffen. Der Mitteleinsatz zur Behebung der Ungenauigkeiten wäre unverhältnismässig.» Die Faust aufs Auge bleibt somit «erhalten». Jascha Hager fügt dann noch an, dass die ausführende Firma einen Nachlass bei der Rechnung für die Baute gewährte. Der Zuger Stadtbahnviadukt ist im Inventar der schützenswerten Denkmäler aufgeführt, aber nicht geschützt. Diese Einordnung bewirkte, dass das kantonale Amt für Denkmalpflege und Archäologie im ganzen Verfahren nur eine beratende Funktion innehatte.

Ob sich Reklametafeln als Feigenblatt eignen?

Den 1897 gebauten Stadtbahnviadukt sanierten die SBB 1921, 1959 und 2019/2020 umfassend. Bauten dieser Art gibt es in der Schweiz nur wenige. Es seien hier Bauten in Grenchen, am Schaffhauser Rheinquai, dem Lorraineviadukt in Bern und dem Lettenviadukt in der Stadt Zürich erwähnt. Das Letztere hat mittlerweile durch den ersten Zürcher Tiefbahnhof den Verkehr verloren. In den dortigen umfassend renovierten Bögen sind in der Zeit von 2000 bis 2013 Verkaufslokale, Ateliers und Restaurants eingezogen. Auch in Zug gibt es Bemühungen, den Stadtbahnviadukt in ein besseres Licht zu rücken. Die neue Brücke über die Poststrasse zeigt, dass man das vor einigen Jahren auch fachgerecht ausführen konnte.

Normalerweise bemühen sich Bauherrschaften, Schandflecke zum Verschwinden zu bringen. In Zug hat die beauftragte Baufirma leider das Gegenteil verwirklicht. Vielleicht hilft es, beim Durchgang an der Gotthardstrasse mit Reklametafeln den Baupfusch zu verdecken. Ob er so aus den Köpfen verschwindet, ist jedoch eine andere Frage. Immerhin gibt es ja bald wieder ein Jubiläum zu feiern. Im Jahre 2022 hängt seit 100 Jahren Fahrdraht auf der Zugersee-Ost-Strecke. Im kommenden Jahr ist zudem noch der Zuger Bahnhof ein Thema. Wie Pläne aus dem Zuger Staatsarchiv zeigen, war dieser ursprünglich ganz woanders geplant. Aber das ist eine andere Geschichte.

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