Rahel Hug
661 Kilometer und 50 000 Höhenmeter am Stück rennen und das in acht Tagen – das Programm des «Goldsteig Ultrarace», das heute im bayrischen Marktredwitz startet, ist in jeder Hinsicht extrem. «More is not possible», heisst es entsprechend auf der Homepage des Laufanlasses, «mehr ist nicht möglich».
Weshalb tut man sich so etwas an? Dies mag sich mancher fragen, der mit Extremsport nichts am Hut hat. Der Stadtzuger Daniel Huber hat eine klare Antwort auf diese Frage: «Die Vorstellung, etwas für mich wohl Unmögliches zu schaffen, reizt mich sehr. Ich möchte meine Komfort-Zone verlassen, über mich hinauswachsen.»
Im hohen Alter noch kochen gelernt
Daniel Huber, 52-jährig und Personalchef des Energiekonzerns Alpiq, ist der einzige Schweizer, der sich dieses Jahr dem Non-Stop-Lauf stellt. Insgesamt nehmen 39 Personen aus der ganzen Welt am Rennen teil, vier davon sind Frauen. Der Startschuss fällt heute Mittag um 12 Uhr. Seit 2014 wird das «Goldsteig Ultrarace» jeweils im Herbst ausgetragen – der Lauf folgt der ganzen Länge des Fernwanderwegs Goldsteig.
Begleitet wird Daniel Huber auf seinem Abenteuer von seinem Vater Peter Huber. Der 78-Jährige wird mit einem Wohnmobil vor Ort sein, für seinen Sohn an vordefinierten Stationen warme Mahlzeiten zubereiten, Ersatzkleider bereithalten, ihm unterwegs mental zur Seite stehen. «Er ist quasi mein rollendes Base-Camp», wie Daniel Huber es nennt. Beim Interview mit den beiden wird schnell klar: Es handelt sich hier um ein Vater-Sohn-Projekt, das beide mit grosser Euphorie verfolgen. Peter Huber hat sich akribisch vorbereitet. Er zeigt einen Ordner mit Kartenmaterial und Tabellen – die Standorte und Zeiten, an denen er seinen Sohn erwarten wird und wo dieser sich für kurze Zeit hinlegen kann. «Ich wollte wahnsinnig gern dabei sein», erzählt er. Extra für dieses Abenteuer hat Peter Huber im hohen Alter noch kochen gelernt. «Sehr zum Entzücken meiner Mutter», wie Daniel Huber lachend ergänzt.
Sein Vater war es auch, der den Zuger schon in jungen Jahren für den Sport begeistert hat. «Wir waren zusammen im Leichtathletikclub. Da hat mich die Freude am Laufen gepackt», berichtet Daniel Huber. Es folgten erste Wettkämpfe, dann Halbmarathons, Marathons und 2002 der erste 100-Kilometer-Lauf. 2009 nahm Huber am «Marathon des Sables» durch die Sahara teil (230 Kilometer) und 2016 am «Atacama Crossing» in der Atacama-Wüste (250 Kilometer).
Mentale Vorbereitung ist sehr wichtig
«Es ist wie eine Sucht», erzählt der zweifache Familienvater. «Beim Rennen spüre ich ein tiefes Glücksempfinden.» Um zu trainieren, rennt er Tag und Nacht durch die ganze Schweiz. Wenn die Familie seine Eltern in Meggen (LU) besucht, zieht er die Laufschuhe an und joggt los, während seine Frau und die zwei Söhne mit dem ÖV oder dem Auto unterwegs sind. «Beim Laufen sind meine Gedanken frei, das ist meine Psychohygiene.» Doch das viele Training neben seiner 100-Prozent-Stelle bedingt Abstriche beim Privatleben. «Für die Familie ist meine Leidenschaft eine grosse Herausforderung», räumt er ein. «Meine Frau trägt unglaublich viel. Dafür bin ich ihr dankbar.»
Neben der körperlichen Vorbereitung ist die mentale genau so bedeutend, wenn nicht sogar bedeutender. «Das wichtigste Organ eines Extremsportlers ist das Hirn», ist der durchtrainierte Zuger überzeugt. «In meinem Kopf habe ich mir den Moment, in dem ich das Ziel erreiche, schon 100 Mal vorgestellt. Es ist wie eine Vision, ein Leuchtturm, der mich antreibt.» Insofern gebe es einige Parallelen zwischen dem Management einer Firma und dem Extremsport. Vor dem grössten Wettkampf seines Lebens hat der 52-Jährige «unendlichen Respekt», wie er sagt. Zum Teil sei ihm fast schlecht vor Angst, doch auch die Vorfreude sei riesig. Auf die Frage, was ihm genau Angst mache, sagt Huber: «Die Dimensionen dieses Laufs, und die Nächte, in welchen Navigation und Konzentration besonders anspruchsvoll sind.» Und die Angst vor dem Scheitern? Schliesslich schaffen es nur rund 30 Prozent der Teilnehmer ans Ziel. «Das Wort aufgeben gibt es bei mir nicht», sagt Daniel Huber zu dieser Frage. «Klar werde ich auf meinen Körper hören. Doch ich weiss, ich kann es schaffen.» Man spürt: Dieser Mann hat einen riesigen Willen.
Das Abenteuer in Deutschland ist für ihn gleichzeitig Höhepunkt wie auch Schlusspunkt: «Ich habe den Zenit meiner Leistungsfähigkeit erreicht. Danach werde ich einen Gang runterschalten.» Wenn er heute Mittag, ausgerüstet mit einem kleinen Rucksack und einem Navigationsgerät, losrennt, wird er etwas Weiteres im Gepäck haben: Musik. «Beim Laufen höre ich oft Musik, und zwar querbeet. Das ist mein Doping», sagt Daniel Huber. Er hat sich ganz genau überlegt, welches Lied er beim Zieleinlauf des 661-Kilometer-Rennens hören wird. Klar vor Augen hat er auch, wie er mit seinem Vater und Coach auf das Erreichte anstossen wird. Es sind Vorstellungen, die den abenteuerlustigen Zuger zu Höchstleistungen animieren.