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Luzern

«Eine Gemeinde ist kein Unternehmen» –Ermenseer Gemeindepräsident tritt ab

Wieder mehr Zeit für Familie und Beruf: FDP-Politiker Reto Spörri hört nach neun Jahren im Amt auf. Im Gespräch zieht der 36-Jährige Bilanz – und nimmt Stellung zu einem überraschenden Rücktritt.
Reto Spörri, abtretender Gemeindepräsident von Ermensee, spaziert am Aabach. Ermensees Dorfkern ist ein Ortsbild von nationaler Bedeutung und unterliegt speziellen Bauvorschriften. (Bild: Pius Amrein (Ermensee, 12. Juli 2021) )

Reto Bieri

Reto Spörri, Ihren Abschied haben Sie sich wohl anders vorgestellt: Kurz vor Ende Ihrer Amtszeit ist Gemeinderätin Ester Zogg überraschend zurückgetreten. In einem offenen Brief spricht sie von unterschiedlichen Auffassungen im Gemeinderat. Was ist vorgefallen?In einer Kollegialbehörde muss man einen Konsens finden, sich aber auch in politische Prozesse einfügen können. Bei vielen Themen kann man nicht einfach frei entscheiden, wie sich das Ester Zogg als Unternehmerin vielleicht gewohnt ist.Die Gemeinde schrieb in einer Stellungnahme unter anderem, Zogg sei auch aus Enttäuschung über die Wahl des neuen Gemeindepräsidenten zurückgetreten. Sie dementiert dies allerdings.Die Gemeinde nahm Bezug auf das öffentliche Flugblatt. Dort wirft sie dem Gemeinderat zu wenig Veränderungswillen vor. Auch der neu gewählte Gemeindepräsident habe sich dahin gehend geäussert. Darauf basiert die Äusserung der Gemeinde.Was für Ideen und Vorschläge hat Ester Zogg denn eingebracht?Ein Thema, das zu diskutieren gab, ist das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz ISOS, das für den Dorfkern von Ermensee gilt. Festgeschrieben ist dies in einem Bebauungsrichtplan. Man kann die vorgeschriebenen Bauberater wie auch den Richtplan nicht einfach abschaffen. Es stimmt übrigens nicht, dass der Gemeinderat die Meinung von Ester Zogg nicht ernst genommen hat. Wir haben immer eine sachliche Abwägung vorgenommen und waren gewillt, den Handlungsspielraum auszunützen.Der Gemeinderat Ermensee besteht nur aus drei Mitgliedern. Das heisst, bei der «fehlenden Zusammenarbeit» sind auch Sie gemeint, notabene ein Parteikollege.Da kann ich nur folgende Auskunft geben: Es geht in der Gemeindepolitik um Sachgeschäfte, nicht um Parteipolitik.Aber Sie haben das Heu offensichtlich nicht auf gleicher Bühne.Ich betone nochmals, dass wir immer im Sinne der Gemeinde abgewogen haben. Eine Bevölkerungsumfrage, wie Ester Zogg sie zum Beispiel vorschlug, muss man finanziell und personell stemmen können. Eine Gemeinde ist kein Einzelunternehmen, wo ich heute entscheiden und umsetzen kann, das ist eine grosse Differenz zur Gemeindepolitik. Diesen Zusammenhang muss man verstehen, sonst ist es schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden.Die Wahlen vom Juni haben im Dorf zu Spannungen geführt. Beunruhigt Sie das?Die Entwicklung ist nicht gut, das muss man sicher sagen. Es haben sich verschiedene Lager gebildet, und in gewissen Kreisen ging die objektive Ebene verloren. Die Stimmbevölkerung hat sich aber entschieden, die Wahl muss man akzeptieren.Müsste man nicht die SVP-Ortspartei vermehrt einbinden, so wie dies Ester Zogg versucht hat?Es ist immer ideal, wenn alle Interessengruppen eingebunden werden und Verantwortung übernehmen können. Aber die Wahl ist nun mal anders ausgefallen. Mein Standpunkt ist, dass man das Resultat akzeptieren und weiter konstruktiv miteinander arbeiten soll.Warum treten Sie zurück?Hauptsächlich, weil bald unser drittes Kind zur Welt kommt. Auch beruflich bin ich stark gefordert. Ich unterrichte als Berufsschullehrer am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg im Aargau und bin dort in der Geschäftsleitung.Welche politischen Pflöcke konnten Sie in ihrer neunjährigen Amtszeit einschlagen?Wir konnten meines Erachtens die Gemeinde stärken und weiterbringen, Ermensee ist gut aufgestellt für die kommenden Jahre. Ein wichtiges Thema war die Gesamtsanierung der Schule und der Mehrzweckhalle für drei Millionen Franken. Weiter konnten wir die Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden stärken. Zusammen mit Hitzkirch konnten wir das brachliegende Granador-Areal weiterentwickeln und in eine Wohn- und Arbeitszone umzonen.Ermensee ist eine Rückzonungsgemeinde und muss knapp 5000 Quadratmeter Bauland rückzonen. Der Gemeinderat musste viel Kritik einstecken, insbesondere wegen der mangelhaften Kommunikation.Das war sicher das schwierigste Geschäft meiner Amtszeit. Bei Rückzonungen kommen rasch Emotionen hoch. Wir waren eine der ersten Luzerner Gemeinden, welche diese in Angriff nahm. Sicher hätten wir den einen oder anderen Teilschritt anders angehen können. Doch schlussendlich ist es für die Betroffenen immer ein Hammerschlag, wenn die eigene Parzelle betroffen ist. Wir haben uns im Verhandlungsprozess eingesetzt, dass wir das Maximum herausholen können für die Betroffenen.Wie ist der Stand der Dinge?Im Spätherbst soll die öffentliche Auflage der Gesamtrevision der Ortsplanung erfolgen. Gewisse Rückzonungsflächen konnten wir reduzieren. Unser Handlungsspielraum ist allerdings begrenzt. Als Gemeinderat muss man kantonale sowie Bundesvorgaben umsetzen. Das zeigt sich aktuell bei der Ausscheidung der Gewässerräume, konkret beim Aabach. Da ist unser Handlungsspielraum praktisch null.Ermensee zählt rund 1000 Einwohner, ist also eher klein. Die Gemeinde will aber eigenständig bleiben. Was braucht es dazu in Zukunft?Gute Kooperationen und die nötige Finanzkraft. In den letzten Jahren haben wir uns gut und stabil entwickelt. Klar, mit 2.10 Einheiten haben wir keinen tiefen Steuerfuss. Eine eigenständige Gemeinde braucht zudem eine Schule. Wenn die Ermenseer Schülerzahlen aber weiterhin so abnehmen, wird es herausfordernd.
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