Michael Wyss
«In eine eigene Welt einzutauchen, abzuschalten und sich auf die Aufgabe zu fokussieren, ist die ganz grosse Herausforderung», sagt Sabine Alt über Haidong Gumdo. Das ist eine koreanische Schwertkunst, die die 50-Jährige ausübt. Alt gehört dem Baarer Verein Chon Ji Dojang an und ist Trägerin des 2. Dan. Das ist ein Gürtelgrad, verliehen nach technischen Fähigkeiten; der höchste ist der 10.Dan. Alt entdeckte Haidong Gumdo erst 2008 dank eines Zeitungsartikels und hat eine grosse Leidenschaft dafür entwickelt. Noch heute lerne sie jeden Tag dazu. Und sie gibt ihr Wissen auch weiter: Die gebürtige Deutsche mit Schweizer Pass, die in Weggis lebt, ist seit 2015 auch Instruktorin.
Am vergangenen Wochenende an den Schweizer Meisterschaften im aargauischen Widen fügte Sabine Alt ihrer grossen Medaillensammlung einige Exemplare hinzu. Sie gewann im Einzel die Wettkämpfe im Kerzenlöschen und im Ballschneiden, ausserdem holte sie Bronze im Einzel-Formenlauf. In den Gruppendisziplinen mit je vier Teilnehmern siegte sie im Papierschneiden und wurde Zweite im Formenlauf. Als Königsdisziplin gilt wegen des Schwierigkeitsgrads das Bambusschneiden.
Im Video sieht man Sabine Alt unter anderem beim Kerzenlöschen und beim Bambusschneiden:
Übrigens: Frauen und Männer treten gegeneinander zu Wettkämpfen an. Da in diesem Schwertkampf die Geistesverfassung und die erlernte Technik wichtiger seien als die Körperkraft, könnten die Frauen mit den Männern konkurrieren.
Positive Auswirkungen auf Körper und Geist
Ihren Lebensunterhalt verdient Alt als Ärztin in einer Gemeinschaftspraxis in der Stadt Luzern. Ihre Hobbys – neben dem Schwertkampf sind das Malen, Yoga und Wandern – seien ihre Abwechslung zum Berufsalltag. «Hier kann ich Energie tanken und abschalten», sagt Alt. Das Haidong Gumdo hilft ihr dabei besonders, habe es doch positive Auswirkungen auf Achtsamkeit, Selbstsicherheit, Stressabbau, Kondition, Körperwahrnehmung, Kraft, Reaktionsfähigkeit und die Kontrolle der Gedanken. «Ein Vorteil ist auch, dass diese Sportart für Einsteiger keine besonderen athletischen Voraussetzungen benötigt. Es ist altersunabhängig und auch spielt es keine Rolle, ob jemand 50 oder 120 Kilogramm wiegt. Die Schwertkunst steht allen Personen offen», erklärt Alt.
Ein halbes Jahr, nachdem sie dem Verein beigetreten war, folgten ihr ihre beiden Söhne Johannes (heute 22) und Leander (20). «Wir gehen auch als Team an Wettkämpfe. Es ist schön, dass wir als Familie eine Verbindung über den Sport haben und gemeinsam diese Zeit erleben können», sagt Sabine Alt. Und was ist mit dem Vater Thomas? «Er begleitet uns immer wieder zu Wettkämpfen, drückt die Daumen und sorgt für unser leibliches Wohl, wenn wir nach dem Sport hungrig nach Hause kommen.»
Wie erwähnt, hat Sabine Alt bereits zahlreiche Medaillen gewonnen. Nicht nur an Schweizer Meisterschaften, sondern auch an internationalen Wettkämpfen. Von ihren vielen Erfolgen ist ihr besonders der EM-Titel 2014 in Erinnerung geblieben. In ihrer Alterskategorie 40+ erreichte sie in den Disziplinen die höchste Punktzahl und gewann ausserdem einen Award für ihre besonderen Leistungen. Vor rund einem Monat feierte Alt am Rheinland-Pfalz-Cup in Deutschland einen grossartigen Erfolg mit dem Schweizer-Nationalteam: 15 Einzel- und 2 Gruppenmedaillen lautete die Bilanz.
Für die Weggiserin zählen aber nicht nur Erfolge. Sie erklärt:
«Medaillen und Pokale sind schön und entschädigen für den Aufwand, den man betreibt. Sie sind aber nicht entscheidend. Der Weg zählt und ist das Ziel. Der Fortschritt und die Entwicklung, die ich durchlebe, machen den Sport aus. Das vermittle ich als Instruktorin auch den Jüngsten im Verein.»
Die Schwertkampfszene in der Schweiz ist überschaubar. Entsprechend familiär geht es zu und her. «Ein Konkurrenzdenken gibt es nicht bei den Wettkämpfen», sagt Alt. Das hänge nicht nur mit der Vertrautheit der Wettkämpfer zusammen: «Haidong Gumdo ist ein ehrlicher Sport, der einem seine Stärken und Schwächen klar aufzeigt», erklärt sie.
Sabine Alt steht eine Prüfung bevor
In Baar, wo Alt trainiert und als Instruktorin unterrichtet, kann sie auf die Erfahrung von Master Chul-Kyung Lee zählen. Der koreanische Meister, der im Kanton Aargau wohnt, ist seit 2016 Headmaster der Schweiz und technischer Direktor für Europa. Sabine Alt assistiert ihm und vertritt ihn auch im Trainingsraum. Sie selbst investiert pro Woche bis zu zehn Stunden in ihren Sport.
Bald kann Sabine Alt wieder unter Beweis stellen, was sie gelernt hat: Im November wartet die Prüfung zum 3. Dan.