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Luzern

«Ein Zeitzeugnis erster Güte»: Architekten eilen den Hausbesetzern beim Eichwäldli zu Hilfe

Diverse Architekten melden sich beim Fall Eichwäldli zu Wort: Das Gebäude sei historisch bedeutsam und erhaltenswert. Der Luzerner Stadtrat zeigt sich unbeeindruckt.
Die Soldatenstube am Murmattweg 2 ist bereits umzäunt. (Bilder: Pius Amrein (Luzern, 15. Februar 2021))
Dieter Geissbühler

Simon Mathis

Simon Mathis

Simon Mathis

Simon Mathis

Bei der Soldatenstube am Murmattweg 2 kommt es bald zum Showdown: Bis spätestens Donnerstagmorgen müssen die Hausbesetzer das Gebäude verlassen haben, sonst drohen ihnen Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch. Die Stadt Luzern als Eigentümerin will das Gebäude rückbauen. Die «Familie Eichwäldli», wie sich die Besetzer nennen, haben die Hoffnung indes noch nicht aufgegeben: In einer Mitteilung zitieren sie zwei Architekten, die den Abbruchentscheid des Stadtrates anzweifeln.

Es handelt sich dabei um den Berner Architekten Rolf Mühlethaler und den Luzerner Dieter Geissbühler, einem ehemaligen Architektur-Dozenten an der Hochschule Luzern (HSLU). Die beiden seien Teil einer kurzfristig zusammengesetzten Expertengruppe, die den Zustand der Soldatenstube neu beurteilen solle, so die Besetzer.

Sozialbau eines Ur-Liberalen

Mühlethaler betont laut Mitteilung die «kulturhistorische, städtebauliche, freiräumliche und architektonische Bedeutung» der alten Soldatenstube. Das Gebäude «könne mit angemessenen und verhältnismässigen Mitteln instand gesetzt, wo notwendig gesichert, repariert und damit weiterhin und ohne weiteres genutzt werden». Damit widerspricht er direkt dem Stadtrat, der die Instandstellung des Gebäudes unverhältnismässig nennt. Der Luzerner Dieter Geissbühler setzt sich laut Mitteilung für einen Aufschub des Abbruchs ein:

«Das spezielle Gebäude des wohl bedeutendsten Luzerner Architekten Armin Meili bedarf höchster Sorgfalt bei der Abwägung seiner Erhaltungswürdigkeit. Die Zeit dazu muss sichergestellt werden.»

Rolf Mühlethaler war am Dienstag nicht für nähere Nachfragen erreichbar. Dieter Geissbühler allerdings bestätigt auf Anfrage, Teil der Expertengruppe zu sein. «Dieses Gebäude ist ein Zeitzeugnis erster Güte», sagt er. Die historische Bedeutung dieses Baus sei in der öffentlichen Debatte bisher nicht gewürdigt worden. «Einen Architekten vom Kaliber Armin Meili gibt es in Luzern nur ein einziges Mal – und er hat schliesslich nicht nur das frühere Kunst- und Kongresshaus gebaut.»

Soldatenstuben als Gebäudetyp gebe es in der Schweiz nur noch äusserst wenige; sie seien einmalig und daher schützenswert. Dahinter liege auch eine gewisse Symbolik:

«Vergessen wir nicht, dass Meili ein Ur-Liberaler war, also alles andere als links. Als Oberst in der Schweizer Armee wurde er 1940 zum Beauftragten für die Festungsbauten ernannt.»

Das Holzhaus mit Baujahr 1935 habe der Gemeinschaft unter den Soldaten gedient, sei also ein eigentlicher Sozialbau. In diesem Gebäude habe man sich fernab von den Offizieren austauschen können. Auch Geissbühler ist der Überzeugung: «Ein oberirdischer Holzbau kann problemlos instand gesetzt werden.» Die Details müsse man nun noch überprüfen, aber er habe keine Bedenken – auch in Sachen Wirtschaftlichkeit nicht.

«Ungutes Gefühl» beim Heimatschutz

Mühlethaler und Geissbühler sind nicht die einzigen Vertreter ihrer Zunft, die dieser Auffassung sind. Auch andere Architekten, die mit der Situation im Eichwäldli vertraut sind, teilen auf Anfrage diese Einschätzung. Unserer Zeitung liegt zudem erstmals ein Schreiben des Innerschweizer Heimatschutzes (IHS) vor. Er ist datiert auf Mitte Dezember 2020 und adressiert an den Stadtrat.

Im Schreiben steht, dass der Rückbau der Soldatenstube beim IHS ein «ungutes Gefühl» hinterlasse. Der IHS hält fest, dass das Gebäude im Bauinventar als erhaltenswert eingestuft wird. «Weder ökonomische noch ökologische Gründe genügen, um ein Objekt aus dem Schutzstatus zu entlassen», heisst es im Schreiben weiter. Nach Meinung des IHS und weiterer Fachleute sei die Schutzwürdigkeit der Soldatenstube «klar gegeben». Der Heimatschutz bezeichnet die Abrisspläne als «deutlich verfrüht und in keiner Weise als zielführend».

Stadtrat bleibt bei Abbruchplan

Von alledem lässt sich der Luzerner Stadtrat nicht beeindrucken. Baudirektorin Manuela Jost (GLP) sagt auf Anfrage: «Die ‹Familie Eichwäldli› hatte über zwei Jahre Zeit, Belege wie Kostenschätzungen und Gutachten für ihre Aussage der ‹Instandsetzung mit verhältnismässigen Mitteln› vorzulegen. Der Stadt sind keine bekannt.» Auch durch die Einschätzungen der Architekten ergebe sich kein neues Bild.

2019 hätte sich die «Familie Eichwäldli» mit dem vorgeschlagenen Expertenteam einverstanden erklärt. Dieses habe das vorliegende Gutachten schliesslich erstellt. Nach Fertigstellung des Gutachtens hätten die Bewohner das Gespräch abgebrochen. Den Vorwurf, die Stadt hätte kein anders Gutachten gelten lassen, weist Jost zurück:

«Die Stadt hat keine Ablehnung anderer Gutachten signalisiert.»

Bleibt die Frage: Kommt diese Diskussion nicht viel zu spät? Dazu sagt ein Mitglied der «Familie Eichwäldli»: «Vielleicht ist es zu spät. Aber es geht uns darum, nicht aufzugeben.»

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