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Zug

Ein Vater kämpft für seinen Sohn: «Ich schäme mich für den Kanton Zug»

Eine Walchwiler Familie geht gegen die Schuldirektion vor. Von dem Gerichtsentscheid könnte Signalwirkung ausgehen.
Peter Casanova und sein Sohn Alexander, der taub geboren wurde und zur Wahrnehmung akustischer Reize auf ein Implantat angewiesen ist. (Bild: Stefan Kaiser (Zug, 15. Januar 2020))

Raphael Biermayr

Peter Casanova ist der Verzweiflung nahe. Seinen Worten zufolge kämpft der Walchwiler um nichts Geringeres als «das Recht auf Bildung» für sein jüngstes von fünf Kindern. Der 10-jährige Alexander kam taub auf die Welt und trägt seit seinem 3. Lebensjahr ein sogenanntes CI, ein Cochlea-Implantat. Dieses ermöglicht ihm, akustische Reize wahrzunehmen. Aus anatomischen Gründen kann er nur eines tragen, was das Hören im Raum zusätzlich erschwert. Dies besonders, wenn mehrere Personen sprechen oder grundsätzlich weitere Geräusche vorhanden sind. «Da für ihn während mehr als zwei Lebensjahren absolute Stille herrschte, leidet er unter einem deutlichen Rückstand in der Sprachentwicklung», erklärt Peter Casanova.

Das geht aus Abklärungen bei Spezialisten hervor. Jene sind Bestandteile eines mehrere hundert Seiten umfassenden Dossiers, das der Bankfachmann angelegt hat und das unserer Redaktion vorliegt. Der Inhalt dieses Dossiers raubt Casanova einerseits Energie. Andererseits entnimmt er den dutzenden E-Mails, Expertenberichten und Gerichtsunterlagen immer wieder Hinweise, die für ihn Strohhalme sind, an die er seine Hoffnung klammert.

Hoffnung in einer seit 2018 anhaltenden juristischen Auseinandersetzung zwischen den Casanovas und der Gemeinde Walchwil sowie der Bildungsdirektion des Kantons Zug wegen des Schulzuweisungsentscheids (siehe Box unten). Es geht vor allem um zwei Fragen: Erstens, ob Alexander wegen seiner Behinderung statt an die öffentliche Schule an die Privatschule Elementa zugewiesen werden soll. Zweitens, ob und wie lange sich Gemeinde und Kanton an den Kosten für den Audiopädagogischen Dienst (APD) beteiligen müssen, auch wenn Alexander ohne Zuweisung durch die Gemeinde, also auf Kosten der Eltern, eine Privatschule besucht. Der APD unterstützt und fördert hörgeschädigte Personen mitunter durch Einzelbetreuung.

Weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt, nehmen weder der Zuger Bildungsdirektor Stephan Schleiss noch der Walchwiler Schulpräsident Manuel Studer noch der Rektor Beat Schäli gegenüber unserer Zeitung Stellung zu diesem Fall.

Erstes Verfahren wegen eines Formfehlers beendet

Schäli ermutigte im Sommer 2018 den Vater jedenfalls darin, seinen eigenen Entscheid, Alexander der öffentlichen Schule zuzuweisen, anzufechten. Dies geht aus einer Sprachnachricht hervor, die unsere Zeitung von Peter Casanova erhalten hat. Für ihn ist diese Nachricht einer der erwähnten Strohhalme in dieser Auseinandersetzung. Daraus leitet er die Unterstützung der Gemeinde für seinen Kampf ab. Die Familie hatte dabei immer wieder Nackenschläge zu verkraften.

So endete das erste Verfahren vor dem Verwaltungsgericht abrupt: Es trat nicht auf die Beschwerde der Casanovas ein, weil deren Anwalt die zugrunde liegende Frist um einen Tag verpasst hatte. Damit sind alle Entscheide von Kanton und Gemeinde betreffend das Schuljahr 2018/19 nicht mehr anfechtbar. Seither reichten die Kläger in zwei Schreiben neue Anträge ein und erhoben nach deren Ablehnung Beschwerden. Diese betreffen das laufende Schuljahr sowie die Unterstützung für die verbleibende obligatorische Schulzeit. Beide Verfahren sind gegenwärtig vor dem Verwaltungsgericht hängig.

Parallel zum juristischen Schriftwechsel führte der Vater Peter Casanova Korrespondenz über Vergleichsvorschläge. Beim Kanton ging man nicht darauf ein. Anders in Walchwil, wo die Verantwortlichen um aussergerichtliche Lösungen bestrebt sind. So trug die Gemeinde die Auslagen für den APD für das Schuljahr 2018/19 freiwillig. Seit August 2019 müssen die Casanovas entsprechend selbst dafür aufkommen. Dies gilt im Kanton Zug, nicht aber im Kanton Schwyz, wie die Familie in Erfahrung brachte. Dort besteht für die audiopädagogische Unterstützung nämlich eine rechtliche Grundlage, in Zug gibt es hingegen keine.

Das hat auch das Zuger Verwaltungsgericht festgehalten. «Deshalb», sagt Casanova, «geht es mir bei meinem Kampf nicht nur um meinen Sohn. Es geht mir um die Gleichbehandlung von Hörgeschädigten im Vergleich zu anderen Behinderten.» Was er damit meint: Der Kanton Zug und die Wohngemeinde beteiligen sich hälftig an den Kosten für den Logopädieunterricht von Schülern mit Sprachstörungen – auch von jenen, die ohne Zuweisung eine Privatschule besuchen. Diese Praxis fusst auf einem Entscheid des Regierungsrats aus dem Jahr 2010. Dass dieser das Ergebnis eines Beschwerdeverfahrens war, ist für Peter Casanova mit Blick auf seinen Rechtsstreit ebenfalls ein Strohhalm.

Casanova hat weitere Abklärungen getroffen. Denen zufolge werden nicht nur in Schwyz, sondern auch in anderen – mitunter umliegenden – Kantonen die Kosten für den APD beim selbst gewählten Besuch einer Privatschule von der öffentlichen Hand getragen. Casanova kann nicht verstehen, dass gerade der wohlhabende Kanton Zug aus der Reihe tanzt. Und dass die Gemeinde Walchwil ihn bei seinem Kampf gegen die Schuldirektion, der er «Diskriminierung» vorwirft, aus seiner Sicht nicht genügend unterstützt.

Die Gemeinde zahlt noch bis zu den Frühlingsferien

Was das Finanzielle anbelangt, zeigen sich Schulpräsident Studer und Rektor Schäli hingegen weiterhin gesprächsbereit. In einem Vergleichsvorschlag haben sie die Übernahme der Kosten für Alexanders Förderung durch den APD angeboten: bis maximal 10000 Franken ab dem neuen Jahr, bis zum Beginn der Frühlingsferien im April. Zunächst war diese Gutsprache an Bedingungen wie etwa Stillschweigen geknüpft. Peter Casanova war damit nicht einverstanden und erhält die Unterstützung nun tatsächlich vorbehaltlos.

Dass der mit diesem Artikel erfolgte Schritt an die Öffentlichkeit wohl das Ende möglicher weiterer aussergerichtlicher Verhandlungen über finanzielle Unterstützung bedeutet, nimmt der Vater in Kauf. «Mein Sohn und ich haben nichts mehr zu verlieren», sagt er und hält fest: «Ich schäme mich für den Kanton, in dem ich seit 1994 wohne.»

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