Sandra Peter
Ende August geht der Leiter der Berufs- und Studienberatung Nidwalden in Pension. Der in Oberkirch wohnhafte Werner Mehr hat die Anlaufstelle 19 Jahre lang geführt. Ihm war es dabei stets wichtig, auch selber noch zu beraten, nicht ausschliesslich zu leiten, erläutert er in unserem Gespräch. «Dann erfährt man direkt von den Sorgen und Nöten der Jugendlichen und Eltern. So ist man näher dran», ist der ausgebildete Sozialpädagoge und Psychologe überzeugt. Nicht nur Jugendliche suchen eine Berufsberatung, etwa die Hälfte machen Erwachsene aus.
Einige benötigen Betreuung über mehrere Jahre
Der heute 65-Jährige hat als Projektleiter das vom Bund geforderte sogenannte Case Management für den Kanton Nidwalden mitaufgebaut. Damit werden Jugendliche bis 25 Jahre, die noch keine Grundausbildung haben und mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen haben, unterstützt. Dafür arbeiten mehrere Stellen wie das Sozialamt, teilweise die Jugendanwaltschaft oder die Berufsberatung zusammen und dürfen bei Einverständnis der Jugendlichen oder deren Vertreter auch Informationen und Daten austauschen. Eine solche Betreuung dauert in der Regel mehrere Jahre.
Mehr hat solche Fälle auch selber betreut. «Das war eine spannende Tätigkeit», erklärt er. Denn es benötige einerseits viel Beziehungsarbeit, anderseits einen langen Atem, weil man auch mit Misserfolgen oder Rückschlägen zu kämpfen habe. «Da reicht das Aufgleisen nicht aus, das sind keine Selbstläufer.» Pro Jahr gibt es etwa ein Dutzend solcher Fälle. Die Jugendlichen werden von Heilpädagogen oder der Schulsozialarbeit für das Case Management vorgeschlagen, andere von der Jugendanwaltschaft. «Es gibt auch solche, die ein paar Jahre auf der Strasse gelebt haben und das ändern wollen», weiss Mehr.
Berufsberater kitten heute Schnittstellen
Im Laufe der Zeit hat sich die Arbeit von Mehr und seinem Team verändert. Früher lebte die Beratungsstelle davon, dass sie das Wissen über die verschiedenen Berufe und Anforderungen hütete. Viel davon ist heute online oder in den Berufsinformationszentren zu finden. «Heute muss jemand neugierig sein auf das Vis-à-Vis, damit eine empathische Beziehung entsteht. Wenn dies gelingt, kann gemeinsam eine gute Lösung anvisiert werden», befindet Mehr. Ein Berufsberater müsse auch die Eltern einbeziehen sowie den Kontakt zu Schulen und dem Gewerbe pflegen und mitunter vermitteln. «Die Berufsberatung muss rausgehen und als Türöffner fungieren», ist Mehr überzeugt.
Geändert hat sich auch die Lehrstellensuche. Früher gab es mehr Bewerber als Lehrstellen, heute ist es umgekehrt. Das führt dazu, dass Betriebe geeignete Lehrlinge möglichst früh vertraglich binden wollen, meist schon zu Beginn der 2. Oberstufe. Das bedauert Mehr:
«Das ist viel zu früh. Der Prozess der Berufswahl ist dann erst gestartet und einige haben ausschliesslich in einen Beruf reingeschnuppert.»
Mehr machte die Erfahrung, dass Kinder heute nicht mehr wissen, in welchem Beruf konkret welche Tätigkeiten ausgeführt werden, wie es in einer Sägerei riecht oder in einer Werkstatthalle klingt. Deswegen sind die Berufsinformationstage eingeführt worden. So können Jugendliche einen Beruf kennen lernen und sehen in einem Betrieb, wie es zu- und hergeht.
Unterschiedliche Erwartungen prallen aufeinander
Mitunter hätten auch die Eltern die Vorstellung, ihr Kind müsse einen akademischen Weg einschlagen, damit es ihm «einmal besser gehe» als ihnen, sagt Mehr. Oft ginge es den Eltern aber sehr gut. In der Beratung ist dann Fingerspitzengefühl gefragt, ebenso wenn der Berufswunsch nicht mit den Fähigkeiten eines Jugendlichen übereinstimmt. «Dann versuchen wir, Alternativen oder andere Wege aufzuzeigen, ohne sie komplett zu entmutigen», erklärt Mehr.
Er würde sich wünschen, dass bereits bei den Informationsanlässen in der sechsten Primarklasse, wenn es um den Übertritt in die Oberstufe geht, die Berufsberatung beigezogen würde. «Vielleicht würden dann weniger das Gymnasium abbrechen.» Mehr selber hat drei mittlerweile erwachsene Kinder. Ihnen habe er bei der Berufslaufbahn Ratschläge gegeben, wenn sie ihn darum gebeten hätten.
Gefreut hat sich der bald pensionierten Leiter der Berufs- und Studienberatung über die Erfolge seiner Schützlinge. «Ich kann mich an einen Fall erinnern, bei dem sich der Case-Management-Teilnehmer zunächst komplett geweigert hat, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir konnten ihn aber doch noch motivieren, ein Arbeitstraining auszuprobieren», erzählt Mehr. «Er war zunächst skeptisch und sagte im Voraus, er werde nur eine Stunde reinschnuppern. Wider Erwarten hat dies aber dann geklappt. Man sieht dem Teilnehmer heute an, dass er zufrieden ist; er hat sich geöffnet und ist richtig aufgeblüht.»
Garten, Töff und Stiftung warten auf Mehr
Gedeihen soll auch der grosse Garten, dem der 65-Jährige demnächst mehr Zeit widmen will. Ebenso dem Töfffahren. Und ganz loslassen wird er nicht: Er engagiert sich für eine gemeinnützige Stiftung im Ausbildungsbereich. Auch wenn er pensioniert wird, macht sich Mehr über die Zukunft der Berufsberatung Gedanken und wagt einen Ausblick: «Die persönlichen und aufwendigen Beratungen wird es weiterhin geben. Gerade, wer weniger pflegeleicht, unentschlossen oder benachteiligt ist, benötigt menschliche Unterstützung.» Zudem würden wegen der Digitalisierung auch bereits Berufstätige vermehrt Weiterbildungen und Beratung benötigen.