Christian Glaus
Zuerst war die Ernüchterung gross. Ein Versuch mit einem Computerprogramm, das Polizisten dank künstlicher Intelligenz bei ihren Ermittlungen unterstützen soll, hatte bei der Luzerner Polizei nicht die erhofften Ergebnisse geliefert. Der Arbeitsaufwand bei der Auswertung von sichergestellten Daten liess sich nicht wie erhofft reduzieren.
Doch nun, nach einem zweiten Test, klingt Michael Muther, Chef Technik und Logistik der Luzerner Polizei, fast schon euphorisch. «Die zweite Phase war sehr erfolgreich», erklärt er auf Anfrage unserer Zeitung. Und nicht nur das: Die Luzerner Polizei hat die Absicht, die Software zu beschaffen. Läuft alles nach Plan, könnte diese ab nächstem Jahr eingesetzt werden. Ein massiver Entwicklungsschritt für die aufwendige Ermittlungsarbeit.
Enormer Aufwand für Ermittler
Doch alles der Reihe nach: Der technische Fortschritt stellt die Strafverfolger vor grosse Herausforderungen. Unmengen von Daten werden auf Smartphones, Computern und anderen Geräten gespeichert. Gerade bei Wirtschaftskriminalität, Vermögensdelikten oder bandenmässigen Straftaten wie Drogenhandel ist der Aufwand für die Ermittler enorm, um die Daten zu büscheln und Zusammenhänge zu erkennen. Vergleichbar mit der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen.
Bei komplexen Fällen kommen schnell Datenmengen von mehreren Terabyte zusammen. Die Polizisten können mehrere Monate mit der Auswertung beschäftigt sein.
Software an zwei echten Fällen getestet
In diesen Fällen erhofft sich die Luzerner Polizei Hilfe vom Programm Watson, welches von IBM entwickelt wurde und über künstliche Intelligenz verfügt. Dieses soll rasch Ordnung in die Daten bringen und kann dank seiner Lernfähigkeit auch Zusammenhänge aufzeigen. Computer seien dafür geeigneter als Menschen, ist Michael Muther überzeugt. Sämtliche Inhalte von Computerfestplatten, Handys oder digitalisierten Dokumenten werden indexiert. Die Ermittler können sich dann beispielsweise Zusammenhänge zwischen Namen, Adressen oder Kontonummern anzeigen lassen, die besonders häufig vorkommen. Oder sie können die Dokumente – ähnlich wie bei Google – durchsuchen.
Um die Fähigkeiten der Software zu testen, hat die Luzerner Polizei zwei echte Fälle nachgespielt. Im ersten ging es um Wirtschaftskriminalität. Dieser Test verlief wenig berauschend – auch, weil bei der Vorbereitung die Daten nicht ideal aufbereitet wurden. Die Luzerner Polizei hat deshalb die Testphase um drei Monate verlängert und einen zweiten Fall nachgespielt. Dabei ging es um Internetbetrug – ein typisches Vermögensdelikt der moderneren Art.
Polizei kommt schneller zu Ermittlungserfolgen
Der Fall ist echt: Im Herbst 2017 wurden mehrere Personen verhaftet, die rund 300 mal Waren im Internet unter Angabe falscher Adressen bestellt haben sollen. Diese Personen sassen bis kurz vor Weihnachten in Untersuchungshaft. Die manuelle Datenauswertung durch die Ermittler lieferte aber erst ab Januar Schritt für Schritt Ergebnisse. Die Personen waren also längst wieder auf freiem Fuss, als das ganze Ausmass der Straftat belegt werden konnte. «Mit dem Einsatz der Software hätten wir ungefähr zwei Mannmonate einsparen können», sagt Michael Muther. Die Resultate hätten noch vorgelegen, während die Personen in Untersuchungshaft sassen.
«Die Polizei kommt schneller zu Ermittlungserfolgen», betont Muther den Vorteil der Software. Es könne zielgerichteter, effizienter ermittelt werden. Die Polizisten müssen weniger Zeit im Büro verbringen, haben mehr Zeit für die Kriminalitätsbekämpfung und die präventive Präsenz. Ein Personalabbau ist wegen der ohnehin knappen personellen Ressourcen nicht vorgesehen. Ein weiterer Vorteil betrifft die Beschuldigten direkt: Bestätigt sich der Verdacht, können sie früher der Justiz zugeführt werden. Werden sie fälschlicherweise verdächtigt, können sie früher entlassen werden.
Beschaffung über das ordentliche Budget
Der genannte Fall ist für Muther ein perfektes Beispiel, um die Fähigkeiten von «Inspektor Watson» aufzuzeigen. Denn das gesamte Verfahren bestand aus 300 einzelnen Fällen. Die Zusammenhänge konnten erst im Laufe der Ermittlungen aufgezeigt werden. Positiv überrascht ist Muther, dass die Software auch bei weniger grossen Datenmengen eine Hilfe sein kann. Er ging ursprünglich davon aus, dass sich diese nur für grössere Fälle von Wirtschaftskriminalität eignet. Das mögliche Einsatzgebiet sei sogar grösser als angenommen.
Die Luzerner Polizei beabsichtigt, die Software Watson nun «so schnell wie möglich zu beschaffen». Muther rechnet mit Kosten im hohen fünfstelligen Bereich für Kauf und Unterhalt in den ersten drei Betriebsjahren. Die Beschaffung dürfte laut Muther wahrscheinlich schon im nächsten Jahr über das ordentliche Budget finanzierbar sein. Er sagt:
«Wenn man bedenkt, wie viele Personenmonate eingespart werden können, lohnt sich eine solche Investition.»
Die Software Watson wird bereits von der Kantonspolizei Zürich eingesetzt, die damit ebenfalls positive Erfahrungen macht. Inzwischen seien weitere Polizeikorps interessiert – auch solche aus der Zentralschweiz, sagt Muther. Er sieht dies als grosse Chance: «Die Polizeikorps können Erfahrungen austauschen und die Auswertungsmöglichkeiten gemeinsam weiterentwickeln.»